Gemeinden sollten fusionieren - Interview mit Lüneburgs Oberbürgermeister Ulrich Mädge

Klamme Kommunen in Niedersachsen sollen sich zusammenschließen, lautete das einhellige Credo im Landtag in Hannover. Doch nach der Wahl ist es still geworden um die Fusionen, die neue Regierung aus SPD und Grünen setzt auf Freiwilligkeit. Das Abendblatt sprach darüber mit Fusions-Befürworter Ulrich Mädge (SPD), der für seine Stadt seit Jahren die Selbstständigkeit propagiert und Präsident des Niedersächsischen Städtetags ist.

Hamburger Abendblatt:

Herr Mädge, die CDU-FDP-Landesregierung hatte vor der Wahl mit Zwangsfusionierungen gedroht, sollten Landkreise sich mittelfristig nicht freiwillig zusammenschließen. Die neue Regierung aus SPD und Grünen geht bei dem Thema einen großen Schritt zurück. Wie sehen Sie das als Präsident des niedersächsischen Städtetags?

Ulrich Mädge:

Als Städtetag haben wir immer auf die kommunale Selbstverwaltung verwiesen. Es muss vor Ort über freiwillige Zusammenschlüsse entschieden werden, dort wo sie wirtschaftlich und strukturell sinnvoll sind. Wir haben gesagt, wir warten auf die Signale der Landesregierung.

Und wie sieht der Oberbürgermeister einer Stadt mit 72 000 Einwohnern diesen Schritt zurück?

Der wünscht sich, dass die neue Landesregierung sich dieses Themas annimmt. Nach vier Wochen im Amt kann man aber noch keine Entscheidungen erwarten. Alle im Landtag wissen, dass etwas getan werden muss. Und alle waren sich vor der Wahl einig. Es hieß, erst kommt der Zukunftsvertrag, und ab 2014 geht es los mit der Gebietsreform: Wer sich nicht bewegt, wird bewegt.

In der Koalitionsvereinbarung steht nichts Konkretes über die Zukunft der kommunalen Strukturen.

In ihrem Wahlprogramm hat die SPD angekündigt, eine Enquete-Kommission einzusetzen. Nun ist die neue Regierung erst vier Wochen im Amt, aber die Diskussion muss neu begonnen werden. Das Gutachten von Professor Joachim Hesse zu den Kommunalstrukturen in Niedersachsen ist wegen politischer Vorgaben immer mehr verwässert worden.

Joachim Hesse vom Institut für Staats- und Europawissenschaften hat die zweite Überarbeitung seines 2010 erstmals vorgestellten Gutachtens präsentiert. Wo sehen Sie Einfluss von außen?

Vor allem bei den Fusionen Wolfsburg und Helmstedt sowie Göttingen, Northeim und Osterode, aber auch bei der Auflösung des Kreises Lüchow-Dannenberg. Die Datenlage ist exzellent, aber der politische Einfluss hat Misstrauen hervorgerufen über die Unabhängigkeit des Gutachters.

Ende März läuft die Bewerbungsfrist für den Entschuldungsfonds ab, fast eine Milliarde Euro fließen aus Hannover bislang in klamme Kommunen. Reicht das, um Gemeinden langfristig vor dem Bankrott zu bewahren?

Das war ein erster Schritt, ist aber zu wenig. Die Hansestadt Lüneburg zum Beispiel hat eine Zinsentlastung von 800.000 Euro, ab 2014 aber zusätzliche Kosten durch Krippen, ÖPNV und Asylbewerber in Höhe von zwei Millionen Euro. Die Dauerfinanzierung unserer kommunalen Aufgaben muss sichergestellt werden, über höhere Zuweisungen oder Strukturveränderungen.

Plädieren Sie in diesem Zusammenhang für eine Gebietsreform?

Ja. Ich bin für Kommunalstrukturen, die wirtschaftlich sind und die regionale Identität mitnehmen. Wir können nicht in Strukturen von 1972 leben, Stichwort Demografie. Eine Gemeinde von unter 10.000 Einwohnern kann nicht mehr wirtschaftlich arbeiten. Wir müssen die Größen neu definieren. Thüringen hat die Grenze für Gemeinden gerade auf 12.000 hinaufgesetzt. Ich könnte mir auch vorstellen, Landkreise wie etwa Uelzen zu teilen. Doch da herrschen im Hesse-Gutachten Denkverbote.

Für die Kreisstadt Lüneburg geben Sie seit Jahren Unabhängigkeit als Ziel aus. Umliegende Kommunen wehren sich aber gegen die Eingemeindung zur großen selbstständigen Stadt. Wie lange bleiben Sie noch bei Ihrer Linie?

Ich halte sie nach wie vor für die richtige und setze auf die Einsicht der Bürgerschaft, auf Diskussionen, Geduld und Nachdenken. Es werden Generationen kommen, denen Service und Dienstleistungen eines Oberzentrums wichtiger sind als ideologische Strukturen.

Und was machen Sie, bis sich diese Erkenntnis durchgesetzt hat?

Wenn ich das entscheiden würde, gäbe es auch ohne Eingemeindungen ein kreisfreies Oberzentrum Lüneburg mit 80.000 Einwohnern, das ist unsere Wachstumsprognose für 2020. Auch Delmenhorst mit 75.000 und Emden mit 52.000 Einwohnern sind kreisfrei. Wichtig ist das Signal der Landesregierung, und ich werde dafür in Hannover werben.

Wie muss es nach Ihrer Ansicht auf Landesebene jetzt mit dem Thema Gebietsreform weitergehen?

Zunächst habe ich Verständnis dafür, dass die neue Landesregierung mit ihrer Einstimmen-Mehrheit das Thema zögerlich angeht. Wir müssen aber Leitplanken verabreden, eine Enquete-Kommission wäre der Aufbruch dorthin.