Langer Winter beschert ein Naturschauspiel mit tausenden von balzenden Zugvögeln. Für Zugvögel wie Gänse, Störche oder Kraniche ist es zu kräftezehrend gegen den Wind zu fliegen.

Oldendorf/Kutenholz. Der lange Atem des Winters und die Großwetterlage beschert in einigen Gegenden des Landkreises Stade ein außergewöhnliches Naturschauspiel. Tausende Kraniche rasten auf Wiesen und Feldern, die sie normalerweise bei ihrem Frühjahrszug in die nördlichen Brutgebiete nur eilig überfliegen.

"Grund für diesen Zugstau auf dem Weg nach Norden ist der anhaltende stramme Wind aus Nord, Nordost", sagt Rainer von Brook vom Nabu Stade. Für Zugvögel wie Gänse, Störche oder Kraniche sei es zu kräftezehrend gegen den Wind zu fliegen. Deshalb rasten die Vögel und nutzen die Gelegenheit zum Fressen. Vogelexperte Thomas Bock vom Natureum Niederelbe hat beobachtet, dass sogar Vogelschwärme aus Richtung Norden wieder zurückgeflogen sind. Denn bei der noch eisigen Witterung im Norden sei dort unter Schnee und Eis zu wenig Futter zu finden.

"Größere Kranichansammlungen um diese Jahreszeit sind in der Elbe-Weser-Region eher ungewöhnlich, da Kraniche zu diesem Zeitpunkt meist längst ihre Brutreviere besetzt haben", sagt Helma Heyken, Sprecherin des Niedersächsischen Landesbetriebes für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN). Die Mitarbeiter der Vogelschutzwarte im NLWKN sehen in der ungewöhnlich langen kühlen Witterung zeitliche Verschiebungen bei der Ankunft in den nordischen Brutgebieten als mögliche Ursache.

So gibt es momentan die seltene Gelegenheit, in der Nähe des Oldendorfer und Elmer Hochmoores und zwischen Kutenholz und der Kreisgrenze zu Rotenburg die überaus scheuen Vögel mit dem roten Kopffleck in großen Ansammlungen zu sehen.

Besonders eindrucksvoll sind ihre Balzrituale, bei denen Stoppelfelder nun zur Ballettbühne werden. Mit anmutigen Verbeugungen, leichtfüßigen Sprüngen, Lauffiguren und Flügelschlagen wird die Angebetete umtanzt und ihre Aufmerksamkeit erregt. Das für Kraniche typische Trompeten und Rufen entfaltet sich zur Begleitmusik zum Hochzeitstanz, einer Musik, die offensichtlich auf die imposanten, bis zu sechs Kilogramm schweren Großvögel ansteckend wirkt und sie in Balzstimmung bringt. Ein paar Verwegene lassen sich zu Imponiergehabe animieren und prahlen vor den Artgenossen in artistischen Posen und Schrittkombinationen, Pirouetten und Arabesquen.

Ob Solo oder Pas de deux, auf dieser Naturbühne scheint alles möglich, was den Zuschauer beeindruckt. Einige der grau Gefiederten greifen in ihrer Ekstase, Zweige, Pflanzenteile, kleine Steine und Erdbröckchen, um sie in die Luft zu werfen. Ein faszinierendes Liebesritual, denn Kraniche werden etwa 15 bis 20 Jahre alt und die Paare bleiben ein Leben lang zusammen.

Was wir Menschen als Kranichballett interpretieren, sind Paarungsrituale, mit denen die rund 1,20 Meter großen "Glücksvögel" ihre Fressorgien auf Feld- und Ackerflächen kurz unterbrechen. Denn die meiste Zeit ihrer Rast widmen die Kranichverbände der Nahrungsaufnahme. Je nach Jahreszeit liegen die Vorlieben bei tierischer und pflanzlicher Kost. Im Sommer stehen eher Regenwürmer, Insekten, Frösche, Schnecken und Mäuse auf dem Speiseplan, während der Rastzeiten vor dem Zug in die Winter- oder Sommerquartiere wird kohlenhydratreiches Körnerfutter, wie Mais, Sämereien, oder Eicheln bevorzugt.

Mit dem Frühjahrszug in die Brutgebiete und dem Herbstzug in südliche Überwinterungsgebiete hat sich der Graue Kranich (Grus grus), auch Europäischer Kranich genannt, ganz Europa erschlossen. Bis zu 3000 Kilometer fliegt er zwischen Brutrevier und Winterquartier hin und zurück. Dabei absolvieren die eleganten Flugkünstler, die eine Flügelspannweite von etwa 2,20 Meter haben, Tagesstrecken von einigen hundert Kilometern.

Etwa 7.000 Brutpaare bleiben inzwischen in Deutschland, die meisten in den wasserreichen Regionen zwischen Oderbruch, Mecklenburg und Brandenburg. Auch in Niedersachsen haben sich etwa 600 Brutpaare in moornahen Feuchtgebieten wieder angesiedelt. Seit einigen Jahren brüten auch Kraniche im Großraum Hamburg, etwa im Duvenstedter Brook, allerdings nur, weil während der Brutzeit die Wege zum Kranichgebiet gesperrt werden.

Nach etwa vier Wochen Brutzeit führen die Alttiere meist zwei Küken. Die Nestflüchter bleiben bis zu elf Monate in der Obhut der Eltern, bei denen sie den Kurs für ihre langen Flugrouten erlernen.