Mehr Erzieher in die Kitas? Bei St. Petrus in Heimfeld ist schon Realität, was andernorts noch lange nicht geschafft ist.

Harburg. Wenn Nico Fandree in die Kita St. Petrus kommt, fühlt er sich zuweilen wie ein "kleiner Rockstar". Es findet sich fast immer eine Gruppe von Kindern, die den 31-Jährigen sofort umringen. Dabei trägt er bevorzugt schwarze Kleidung, gern auch mal mit Totenkopf. Beim Film könnte er spielend als Pirat durchgehen. In Wirklichkeit aber ist er beinharter Anhänger der Kiezkicker vom FC St. Pauli, dem Verein mit der Totenkopfflagge. Und Kindergärtner, ebenso wie sein Kollege Thomas Schmitz.

Während Männer als Mitarbeiter an deutschen Kitas noch immer Exoten sind, ist die weibliche Leitung der Evangelischen Kindertagesstätte St. Petrus in der Heimfelder Haakestraße 98 stolz, dass sie gleich zwei dieser raren Exemplare für sich gewinnen konnte. "Das Leben besteht nun mal aus Frauen und Männern", sagt Kita-Leiterin Irmgard Wenzel, da gebe es doch überhaupt keinen Grund, warum das in Kindergärten anders sein sollte: "Unsere Kollegen sind bei den Kindern sehr beliebt. Übrigens nicht nur bei den Jungen, auch Mädchen finden Erzieher toll. Frühzeitig männliche Sicht- und Verhaltensweisen bei der Erziehung einzubringen, halte ich für überaus wichtig."

Das sieht das Bundesfamilienministerium offenbar ebenso und hat im Sommer 2010 das Programm "Mehr Männer in Kitas" aufgelegt, um den Anteil an männlichen Erziehern in Kitas deutlich zu steigern. Die Früchte der Initiative lassen indes noch auf sich warten. Trotz einer flankierenden Imagekampagne des Paritätischen Wohlfahrtsverbands mit dem verheißungsvollen Titel "Vielfalt Mann!" sind in Hamburg nur knapp 1300 der rund 12.000 Mitarbeiter an Kindertagesstätten männlichen Geschlechts. Das sind laut Statistikamt Nord gerade 10,8 Prozent. Und damit nur 0,5 Prozent mehr als zwölf Monate zuvor. Mittelfristig soll der Anteil männlicher Erzieher auf 20 Prozent verdoppelt werden. "Dieses Ziel zu erreichen wird schwierig, wenn sich das Rollenverständnis in unserer Gesellschaft nicht grundlegend ändert", sagt Thomas Schmitz. Für den 41 Jahre alten Vater zweier Söhne (13, 14) war es von Beginn an völlig normal, sich an der Erziehung und Betreuung seiner Kinder aktiv zu beteiligen. "Für die Entwicklung der Kinder, für die Ausprägung einer Identität sind männliche Sichtweisen wesentlich und wertvoll", erklärt Schmitz, der sich zuvor beruflich seit Jahren in der sozialpädagogischen Familienhilfe engagiert hat.

Was Erzieher in Kitas leisten, werde von vielen noch immer unterschätzt, weiß sein Kollege Nico Fandree. So habe ein befreundeter Gerüstbauer mal behauptet, den Job in der Kita würde er doch mit links erledigen. "Da habe ich ihn mal für einen Tag als Hospitant eingeladen. Seitdem redet er ganz anders", berichtet Fandree. Er hat sich durch den Konfirmandenunterricht und ehrenamtliche Kinder- und Jugendarbeit in der Gemeinde wie das Konfi-Café oder Freizeitreisen für den Beruf des Erziehers begeistern lassen. Fandree: "Ich bin nun mal kein Büromensch und brauche einen gewissen Lärmpegel. Deshalb bin ich hier genau richtig."

Für das Gespann Schmitz/Fandree bedeutet ihre Profession eine spannende, vor allem aber lohnende Aufgabe. Man(n) bekomme von den Kindern viel mehr zurück, als mancher denke. "Kinder lassen sich in einem Maße begeistern und mitreißen, wie das bei Erwachsenen kaum noch möglich ist", sagt Fandree, der vornehmlich mit den Vorschülern in den Bereichen Bewegung, Musik und Sprachförderung arbeitet. "Mit uns können die Kinder auch mal raufen und dürfen laut sein, das kommt doch oft viel zu kurz", so Fandree. Der die größten Begeisterungsstürme erntet, wenn er zur Gitarre greift und mit der "Wackelzahn"-Bande Lieder singt.

Auch Schmitz, der sogar die Kleinsten in der Krippengruppe von St. Petrus betreut, schätzt die direkte, kindliche Emotionalität seiner Schützlinge. "Da passiert natürlich vieles noch nonverbal. Doch dass man fast immer mit offenen Armen empfangen wird und durch den Ansturm der Kinder manchmal kaum zur Tür rein kommt, verschafft ein wirklich gutes Gefühl", sagt Schmitz. Dabei bestehe sein Tagwerk ja nicht nur aus Vorlesen, Singen und Spielen. Doch die positive Grundstimmung werde selbst durch weniger kreative Tätigkeiten wie die notwendige Unterstützung bei den Mahlzeiten oder das Windeln wechseln nicht getrübt.

Das sei bei der anderen Hälfte seines Jobs schon manchmal anders, gibt Thomas Schmitz zu. Denn ab 13 Uhr gehören Nico Fandree und er zum Stab jener Erzieher, die den Nachmittagsbetrieb an der benachbarten Grundschule Am Kiefernberg organisieren. "Da stehen wir plötzlich vor ganz anderen Anforderungen, müssen allein zwischen 18 und 23 Schüler der dritten und vierten Klassen betreuen", so Schmitz. Da stoße man schnell mal an seine Grenzen. Zumal sich diese Kinder ohnehin in einem deutlich schwierigeren Alter befänden.

Kita-Chefin Irmgard Wenzel ist unterdessen froh über diese Konstellation: "Ohne die Kooperation mit der Grundschule wäre der Einsatz unserer Männer bei uns kaum möglich gewesen. So kommen sie wenigstens auf eine akzeptable Stundenzahl, die ihnen einen halbwegs vernünftigen Verdienst sichert." Genau hier liegt ein weiterer wesentlicher Grund für den Männermangel an Kitas: So lange Erzieherstellen finanziell nicht deutlich aufgewertet werden, wird die Verdopplung der Männerquote in Kindergärten wohl nur eine Vision bleiben.