Petra Heldt arbeitet als Jugendschöffin für das Landgericht in Stade. Ihr ehrenamtlicher Job ist arbeits- und zeitintensiv

Stade. Wenn der Postbote mal wieder einen Brief vom Landgericht Stade in den Ginsterweg bringt und bei der Übergabe an die Empfängerin ein wenig betreten dreinschaut, dann muss Petra Heldt unweigerlich schmunzeln. "Der hält mich bestimmt für eine notorische Schwerverbrecherin", sagt sie. Und tatsächlich ist die 53-jährige Zevenerin regelmäßig wegen krimineller Machenschaften im Gerichtssaal zu Gast. Doch das hat einen ganz unverfänglichen Grund: Sie arbeitet seit fünf Jahren ehrenamtlich als Jugendschöffin und unterstützt die Stader Berufsrichter bei der Urteilsfindung in Prozessen gegen jugendliche Straftäter. Mit der Post werden ihr die angesetzten Sitzungstermine mitgeteilt.

"In dieses verantwortungsvolle Ehrenamt bin ich ganz zufällig hineingerutscht", erinnert sich Petra Heldt. Ihre Kirchengemeinde, für die sie damals im Vorstand tätig war, habe sie bereits vor 15 Jahren als potenzielle Schöffin auf die Vorschlagsliste setzen lassen. Weil sich Heldt zudem für "Wildwasser" engagierte, einen Verein gegen sexualisierte Gewalt, hielt auch das Landgericht Stade sie für geeignet und berief die Zevenerin schließlich vor fünf Jahren zur Jugendschöffin. Seither entscheidet die Finanzbeamtin in der zweiten und 13. Großen Strafkammer mit gleichem Stimmrecht wie die Berufsrichter über das Strafmaß.

Der Einsatz von Schöffen geht auf die politische Aufklärung im 19. Jahrhundert und die Emanzipation des Bürgertums zurück. Die Beteiligung von Nichtjuristen an der Rechtsprechung sollte den Einfluss der Obrigkeit verringern; die Schöffen wirkten als Vermittler zwischen Justiz und Bevölkerung. Das sei auch heute noch eine spannende und wichtige Aufgabe, findet Petra Heldt, auf die sie sich jedes Mal aufs Neue unvoreingenommen und aufmerksam einlasse. "Zum einen, weil man das dem Angeklagten einfach schuldig ist. Zum anderen, weil es auch gar nicht anders geht. Wenn ich ins Gericht fahre, weiß ich nämlich nichts über das Verfahren, an dem ich als Schöffin beteiligt bin. Was anliegt, wird uns erst fünf Minuten vor Verhandlungsbeginn gesagt, damit wir mit einem unverfälschten, neutralen Blick Tat und Täter beurteilen können."

Diese traditionelle "Informationspolitik" der Gerichte habe allerdings nicht nur Vorteile, sagt Heldt. "Es wird ja nicht alles chronologisch verhandelt. Und gerade bei umfangreichen Verfahren dauert es manchmal lange, bis man sich als Nicht-Jurist den Sachverhalt voll erschlossen hat. Das gilt im Übrigen auch für einige komplizierte Anträge der Anwälte, die man als Laie nicht sofort versteht." In solchen Fällen habe sie sich bislang jedoch voll auf die Unterstützung der Berufsrichter verlassen können. "Die haben sich immer Zeit für meine Fragen genommen und mich aktiv am Entscheidungsprozess beteiligt. Das ist enorm wichtig, weil ich mit meiner Stimme ja schlussendlich über die Zukunft eines Menschen urteile."

Nicht immer sei das leicht zu verdauen, sagt Heldt. Gerade zu Beginn ihrer Amtszeit als Schöffin hätten sie Details aus den Verhandlungen aufgewühlt und umgetrieben. "Der Kontakt zum Angeklagten ist näher als man sich das zunächst vorstellt. Man sitzt der Person Tage oder Wochen lang im Abstand von einem Meter gegenüber, muss aufmerksam zuhören und zuschauen, sieht jede Regung im Gesicht des Angeklagten. Bei der Urteilsverkündung fallen dann alle Masken. Das ist anstrengend und manchmal kann das auch emotional belasten", erklärt die Schöffin.

Nichtsdestotrotz mache ihr die Arbeit am Landgericht nach wie vor großen Spaß. Auch, weil sie ihr einen ganz anderen Blick auf den Ablauf einer Verhandlung und auf die vermeintlichen Taten ermöglicht. "Ich habe gelernt, dass man auch vor Gericht vermutlich nie bis ins kleinste Detail erfahren wird, was wirklich passiert ist. Von den Angeklagten hört man oft kein einziges Wort, weil die Anwälte für sie sprechen. Und die wissen, was sie sagen müssen, um eine Aussage in einem anderen Licht erscheinen zu lassen", betont Heldt. Nicht immer habe sie in den vergangenen Jahren das Verhalten der Anwälte gutheißen können. "Die meisten beschränken sich nüchtern auf die Faktenlage. Aber einige nutzten den Gerichtssaal, um sich selbst in Szene zu setzen, Zeugen anzugreifen. Die Befragung gehe manchmal über Tage. In einem Fall, so erinnert sie sich, zielte sie darauf ab, gestandene Polizisten mit 30-jähriger Berufserfahrung mürbe zu machen, weil sie sich nicht an jedes Detail erinnern können. Dabei liegen einige Taten tatsächlich schon Jahre zurück. Das kann dann schon eine unangenehme Situation sein, in der sie da sitzen und interessiert zuhören müssen", betont Heldt. Die Mitarbeit der Schöffen, die oft einen beachtlichen Teil ihrer Arbeits- und Freizeit den Gerichtsverfahren opfern, wird von der Justiz geschätzt: "Sie sind für uns unendlich wichtige Multiplikatoren", betont Willi Wirth, Direktor des Amtsgerichts in Stade. "Auch, weil sie uns dazu anhalten, den Sachverhalt noch mal so zu schildern, dass auch Nicht-Juristen ihn verstehen." Verstanden hat Petra Heldt auch, dass der erste Eindruck nicht immer die ganze Wahrheit über einen Menschen sagt: "Manchmal lässt mich das, was sich in einer Verhandlung so an Abgründen auftut, mit großem Staunen zurück."