Mehr als 1000 Einbrüche gab es 2012 allein im Landkreis Harburg. Eine Spurensuche bei Opfern und Tätern

Das Gesetz schlägt um 21.34 Uhr zu. "Auf den Boden!", brüllen die maskierten Männer, als sie das Internetcafé in der Veringstraße in Wilhelmsburg stürmen. "Los, hinlegen!" Mit Maschinenpistolen im Anschlag zwingt das Mobile Einsatzkommando aus Lüneburg die Kunden zu Boden. Wer nicht folgt, wird niedergerissen, bekommt Tritte ab. Ein Gast kollabiert, liegt zuckend am Boden. Nach wenigen Minuten wissen die Beamten: Der Mann, den sie eigentlich suchen, ist nicht hier.

Alex B.*, Ende 20 und mutmaßlicher Serien-Einbrecher, sitzt an diesem Freitagabend im Februar mit seiner Freundin Ana S.* beim Abendessen, nur einige Häuser weiter. Das Sozialamt bezahlt ihre kleine Wohnung, an deren Tür nun Zivilbeamte klopfen. Als Alex B. öffnet, klicken die Handschellen. Die Polizisten durchsuchen Zimmer für Zimmer, tragen Kiste um Kiste die Treppen hinunter. Darin: all die Dinge, von denen Alex' Freundin den Beamten sagt, sie seien vom Flohmarkt.

An jenem Abend werden neben Alex B. zwei weitere Männer festgenommen. Der Vorwurf: bandenmäßiger Diebstahl, mindestens 120 Einbrüche in Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein. Wert der Beute: rund 500.000 Euro. Beschlagnahmt werden in dieser Nacht über 400 Gegenstände - goldene Ringe und Ketten, teure Uhren, Flachbildfernseher, Keyboards, Tennisschläger. Dazu fünf Privatwagen der Täter, darunter ein Audi Q7 und ein A8.

Mindestens 80-mal schlug die Bande im Landkreis Harburg zu. Seit Jahren steigen hier die Einbruchszahlen, 2012 registrierte die Polizei 35 Prozent mehr Einbrüche als im Vorjahr. Mehr als 1000 Fälle wurden angezeigt - fast drei jeden Tag.

In ganz Deutschland nimmt die Zahl der Wohnungseinbrüche zu. Die einen geben der Wirtschaftskrise im südlichen Europa die Schuld, die anderen der Öffnung der Grenzen nach Osten. Meist trifft es die Großstädte. Doch zunehmend gehen die Täter dorthin, wo es viele Straßen und wenige Nachbarn gibt: Banden wie die von Alex B. suchen für ihre Einbruchstouren das Umland auf. Hier steigen sie in Häuser ein, nehmen mit, was Geld verspricht, und hinterlassen Menschen in Angst.

Es ist Ende November, als der Polizei ein "auffälliger Mercedes" in Hollenstedt gemeldet wird. Eine Stunde später winken Beamte das Auto an der A 1 bei Stillhorn aus dem Verkehr. Kaum steht der Wagen, hechten vier Männer heraus. Drei springen über die Leitplanken und flüchten quer über die Autobahn, Alex B. ist einer von ihnen. Im Kofferraum finden die Polizisten teure Winterjacken - die kurz zuvor aus einem Haus in Jesteburg verschwunden waren.

Die Jacken gehören Michael Schwarz*. Der 40-Jährige wohnt mit seinem Partner in einer Gegend mit Einfamilienhäusern, hohen Hecken und Bushäuschen mit Reetdächern. Als Schwarz im November nachts von einem Kurzurlaub auf Sylt zurückkommt, wundert er sich über lose Zettel auf dem Steinfußboden im Eingang: "Ich dachte, das wäre die Haushälterin gewesen." Doch auch der Schrank steht offen, und die Terrassentür im Wohnzimmer. Kalte Herbstluft weht herein. Die Designerlampe liegt auf dem Boden.

Auf der Rückseite des Hauses hatte die Bande um Alex B. ein Fenster aufgehebelt. Zwei Männer blieben im Erdgeschoss, einer ging nach oben. Sie stahlen: die Jacken, Uhren und zwei Laptops. In derselben Nacht brachen sie noch in zwei Nachbarhäuser ein.

Für die meisten Menschen ist die Gewissheit, dass Fremde das eigene Heim durchwühlt haben, eine traumatisierende Erfahrung. "Viele Einbruchsopfer verspüren noch lange Zeit nach der Tat Ängste - vor allem davor, allein die Wohnung zu betreten", sagt Tillmann Bartsch vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen. Die Opfer leiden unter Schlafstörungen und Panikattacken. Bei einer Befragung von 400 Einbruchsopfern fand Bartsch heraus: 18 Prozent der Betroffenen empfanden die Verletzung ihrer Privatsphäre als so massiv, die psychischen Folgen als so unerträglich, dass sie anschließend auszogen.

Michael Schwarz geht mit der Erfahrung gelassener um. Wenn es soweit ist, will er sogar zum Prozess gegen die Einbrecher gehen. "Ich will die Menschen sehen, die in meiner Wohnung waren", sagt er. Dabei kann er von Glück reden, dass er die Einbrecher überhaupt zu Gesicht bekommen wird. Im Kreis Harburg werden im Schnitt nur 18 Prozent aller Einbruchdiebstähle aufgeklärt, deutschlandweit liegt die Aufklärungsquote noch darunter, bei 16 Prozent. Für die Polizei ist das kein gutes Zeugnis. Die Jagd auf Einbrecher ist schwierig und meistens erfolglos.

Hier im Landkreis versuchen es die Fahnder seit Ende 2012 mit Sonderstreifen: Bis zu sieben Wagen durchkämmen täglich das Gebiet, nur auf der Suche nach potenziellen Einbrechern. Als verdächtig gelten: Wagen mit Kurzzeit- oder Ausfuhrkennzeichen oder ältere Autos mit "mehreren Insassen, die schon ein bisschen ausländisch aussehen", sagt Kriminalhauptkommissar Michael Düker. Er sagt, dass er niemanden diskriminieren will. "Aber die Aussagen der Zeugen gehen meist in diese Richtung."

Eine Woche ist seit dem Zugriff in Wilhelmsburg vergangen, als Düker und sein Kollege in der Zivilstreife 04/47 Patrouille fahren. In Metzendorf, im Dreieck zwischen den Autobahnen 1, 7 und 261, erreicht sie gegen Mittag ein Funkspruch: "Einbruchversuch an der Autobahn 1, Anschlussstelle Heidenau." Eine Frau ist in ihrem Haus unvermittelt auf zwei Einbrecher getroffen. Die Täter flüchteten. Gesucht wird ein roter Fiat.

Der Polizist am Steuer des schwarzen BMW tritt aufs Gaspedal, Düker heftet das Blaulicht ans Autodach. Die Beamten rasen über die B 75 von Tötensen nach Nenndorf. Ein Tempo-70-Schild fliegt vorbei, das Heulen der Sirene peitscht von den überholten Autos zurück. Der Tatort sei nur 200 Meter von der Auffahrt zur A 1 entfernt, quäkt das Funkgerät.

Mit 18 Autobahnauffahrten bietet der Landkreis Harburg ideale Bedingungen für Täter aus Hamburg und Bremen. Sie nutzen die Infrastruktur, um schnell an ihre Beute zu kommen - und schnell wieder weg. Als im Herbst der Ausbau der A 1 auf drei Spuren abgeschlossen war, verzeichneten die Fahnder sprunghaft mehr Einbrüche. Ähnliches stellten die Kollegen im Nachbarkreis fest: Seit die S-Bahn bis nach Stade rollt, reisen hier mehr Täter mit dem Zug an - und mit Taschen voller Beute wieder ab.

Am Buchholzer Dreieck halten Düker und sein Kollege auf dem Standstreifen und beobachten den Verkehr Richtung Hamburg. Fünf weitere Streifen haben jetzt das Gebiet "verpostet", wie die Beamten es nennen. Den roten Fiat entdecken sie nicht. "Ich bin mir sicher, dass die heute noch weiterziehen", sagt Düker. "Für die hat der Arbeitstag gerade erst angefangen."

Weil die Polizei meist machtlos ist, setzt sie vermehrt auf Prävention. Nur wenige Stunden später sitzen etwa hundert Anwohner an langen Tischen im Saal der Dorfgaststätte von Holvede - zufällig nur zwei Minuten von der A 1 und vom heutigen Tatort entfernt. Die Polizei hat zu einem Informationsabend geladen. Hauptkommissar Heinz-Walter Johanßon gibt Ratschläge zur Aufrüstung des eigenen Hauses: Er empfiehlt einbruchhemmende Fensterbeschläge, Pilzkopfverriegelungen, aufschraubbare Nachrüstsicherungen, Stangenschlösser, Glasbruchmelder, Videotechnik. Johanßon lässt seine Kollegen auch zu Hausbesuchen ausschwärmen. Wessen Haus "offensichtliche Sicherungsmängel" aufweist, der bekommt eine "Mängelmeldung" ausgestellt.

Bundesweit macht die Polizei Stimmung für die technische Aufrüstung, Initiativen wie "K-EINBRUCH" oder "Nicht bei mir!" sollen Hausbesitzer sensibilisieren. Gesponsert werden die Programme von Unternehmen wie dem Alarmanlagenhersteller Daitem oder der Sicherheitsfirma Abus. Wenn Bürger sich fürchten, profitieren Wachdienste und Schlosshersteller.

Zur Präventionsstrategie der Polizei gehört auch, die Bürger zur Mithilfe zu animieren. "Melden Sie Fremde, die nicht in ihre Wohngebiete gehören", mahnt eine Polizistin in Holvede. Bei auswärtigen Fahrzeugen sollten Kennzeichen notiert werden, Details zu Insassen sind erwünscht. "Die 110 dürfen Sie gern für solche Hinweise benutzen." Hauptkommissar Düker freut sich über die gewachsene Aufmerksamkeit: "Wir bekommen neuerdings extrem viele Hinweise." Die Bürger machten das "teilweise richtig gut".

Auch bei der Suche nach Alex B. und seinen Komplizen waren die ersten Hinweise aus der Bevölkerung gekommen: Mehrfach meldeten Anwohner einen Opel Vectra. Als das Fahrzeug kurz vor Weihnachten in einen Unfall auf der A 7 verwickelt wird, kann die Polizei die Personalien der Insassen aufnehmen. Jetzt hat sie Namen, die Ermittlungen laufen an. Wohnungen werden beobachtet, Telefone abgehört. Ende Februar haben die Fahnder genug Beweise für einen Haftbefehl und den Zugriff: In Hamburg rücken Polizisten zu fünf Wohnungen und einer Gaststätte aus. In Wilhelmsburg stürmt das Einsatzkommando das Internetcafé und um die Ecke klopfen die Beamten an der Tür von Alex B.

Seine Freundin Ana S. hat viel geweint in der vergangenen Woche. Acht Tage nach der Festnahme sitzt sie in der niedrigen Küche, ihren Säugling auf dem Schoß, und raucht Marlboro Red. Nicht ganz zwei Jahre ist sie mit Alex B. zusammen. Beide sind in Deutschland nur geduldet, obwohl sie hier aufwuchsen. Kennen gelernt haben sie sich auf einer Party, schnell war sie das erste Mal schwanger. Bis zum Tag der Festnahme vor vier Wochen lebten sie als kleine Familie in Wilhelmsburg.

Alex sei oft weg gewesen, ja, auch nachts. Ana S. sagt, sie müsse nicht immer alles wissen. Alex habe eben seine Privatsphäre. Nett sei er, und höflich, erzählt Ana. "Ein ganz Lieber." Kein Verbrecher. Inzwischen weiß sie, dass sie wieder von ihm schwanger ist. Er weiß es noch nicht.

Die Staatsanwaltschaft hofft, dass das Hauptverfahren gegen die Bande in fünf bis sechs Monaten eröffnet wird. Alex B. droht eine Haftstrafe zwischen sechs Monaten und zehn Jahren - oder, im schlimmsten Fall, die Abschiebung.

*Namen von der Redaktion geändert