Der Hamburger Bürgermeister lässt im Rieckhof keine Frage unbeantwortet. Doch sonderlich hart nehmen in die Zuschauer auch nicht in die Mangel

Harburg. Ein wenig fühlte man sich an die Hollywood-Komödie "Und täglich grüßt das Murmeltier" erinnert. Immer, wenn Olaf Scholz zur Bürgersprechstunde in den Hamburger Süden kommt, fungieren die Aktivisten von Libertare Harburg praktisch als ungebetenes Empfangskomitee. Vor dem Eingang des Rieckhofs verteilten sie auch am Montagabend wieder fleißig ihre Handzettel, auf dem sie unter dem Titel "Nicht vergessen" aufgelistet haben, was sich Hamburgs Bürgermeister im Laufe seiner politischen Laufbahn nach ihrer Ansicht so alles hat zu Schulden kommen lassen. Etwa die Einführung des "menschenunwürdigen Brechmitteleinsatzes" in seiner Zeit als Hamburger Innensenator. Oder sein Engagement bei der Durchsetzung der "Agenda 2010- und Hartz-Gesetze" als SPD-Generalsekretär. So war das auch schon bei der Scholz-Stippvisite Ende Januar des Vorjahres im Bürgerzentrum Feuervogel im Phoenix-Viertel.

Doch wenn die "anarchistische, freiheitlich-sozialistische Stadtteilgruppe" - so ihre Selbstdefinition - glaubte, sie könne auf diese Weise das Klima des Bürgerforums im Rieckhof beeinflussen, und dem lausigen Wetter draußen vor der Tür anpassen, so sah sie sich getäuscht. Denn drinnen ging es nachgerade warmherzig und überaus freundlich, ja fast familiär zu. Denn Harburgs SPD-Kreischef Frank Richter konnte neben Scholz nicht nur viele SPD-Abgeordnete aus Bürgerschaft und Harburger Bezirksversammlung sowie Parteifreund und Bezirksamtsleiter Thomas Völsch begrüßen. Unter den etwa 200 Gästen im Auditorium - weit weniger, als von den Genossen erhofft - fanden sich offenbar viele weitere "sozialdemokratisch orientierte", dem Bürgermeister auf alle Fälle wohlgesonnene Besucher.

Dass die SPD diesmal ausgerechnet den Rieckhof für ihre Veranstaltung wählte, hätte, so Richter, absolut nichts mit den jüngsten Unstimmigkeiten zwischen der SPD im Bezirk und dem Kulturzentrum Rieckhof wegen der gekürzten Mittel aus dem Fonds für die offene Kinder- und Jugendarbeit zu tun. Der Rieckhof sei eben ein Kulturzentrum und deshalb ideal für solche Veranstaltungen. Überdies seien SPD und Rieckhof gerade in guten, konstruktiven Gesprächen, um wieder einen gemeinsamen Weg zu finden, wie Richter betonte.

An dieser Einschätzung vermochte auch die kritische Nachfrage eines Gastes nichts zu ändern, der Scholz fragte, warum diese traditionsreiche Stätte von der hiesigen SPD offenbar "kaputt gespart werde". Scholz konterte die Frage mit dem Hinweis darauf, dass die Stadt den Rieckhof jährlich mit gut 600.000 Euro ausstatte. Das ist wohl wahr, aber eben nur die halbe Wahrheit. Denn nicht gesagt hat der Bürgermeister, dass 286.500 Euro von der Finanzbehörde als Miete gleich wieder zurückgefordert werden.

"Fakt ist, dass wir heute weniger Geld zur Verfügung haben, als Bürgermeister Hans-Ullrich Klose dem Rieckhof am 26. Mai 1981 in der Drucksache 9/3487 an Finanzbedarf zugestanden hatte", sagte Rieckhof-Geschäftsführer Jörn Hansen. Der überdies Wert auf die Feststellung legte, dass der Frager keineswegs von ihm beauftragt gewesen sein. Vielmehr zeige die Wortmeldung ja, wie sehr das Thema die Bürger beschäftige, denen sich die Mittelkürzungen bis heute nicht erschließe.

Ansonsten präsentierte sich Scholz einmal mehr bestens aufgelegt. 40 Minuten referierte er wortgewandt, witzig und ohne Manuskript über die Energiewende, die angespannte Finanzlage, das ehrgeizige Wohnungsbauprogramm und die Familienpolitik seines Senats. Das plätschert sympathisch von der Bühne, kein einziger Buhruf stört den Vortrag des Politprofis. Scholz erklärt, was sein Senat bereits angeschoben hat, was noch kommen wird, und wo Hamburg in zehn Jahren stehen soll. "Ich will, dass Hamburg eine Stadt mit Chancen für jeden seiner Bewohner ist", sagt er. Und das nehmen ihm die meisten im Rieckhof auch ab.

Später, die Fragestunde hat längst begonnen, wird der Bürgermeister von einer alleinerziehenden Mutter aus dem Publikum gefragt, was er gegen "die hohen Mietsteigerungen der SAGA/GWG und gegen die Gentrifizierung, die inzwischen auch Harburg und Wilhelmsburg erreicht hat" unternehmen wolle. "Wenn man nicht viel Geld hat", so der Bürgermeister, "ist jede Mieterhöhung doof. Aber unsere Wohnungsgesellschaften SAGA/GWG schöpfen bei weitem nicht den Rahmen für Mietkosten aus. Sie liegen mit ihren Mieten weit unter dem Möglichen."

Scholz bleibt souverän. Ein wenig Dresche für den Vorgänger-Senat, ein wenig Eigenlob für die SPD, die in Hamburg die Studiengebühren sofort zurück genommen habe. Scholz vertreibt soziale Aufbruchstimmung. Keine Frage scheint ihn aus der Ruhe bringen zu können. Auf die Frage eines älteren Herrn aus dem Publikum, was er denke, wenn er das Wort Elbphilharmonie höre, antwortet der Bürgermeister lachend: "Wahrscheinlich dasselbe wie Sie." Er gibt sich bürgernah, spricht davon, dass jeder Schulabgänger, der etwas aus seinem Leben machen wolle, auch die Chance auf eine "anständige Ausbildung" in dieser Stadt bekommen müsse. Er erklärt einer jungen Frau, wie Hartz-IV funktioniert. Sie beklagt sich bei ihm, dass sie mit ihrer Ausbildung jetzt fertig sei. Aber von zu Hause ausziehen müsse, weil ihre Eltern Hartz-IV beziehen, und andernfalls mehr als die Hälfte ihres Gehalts von den Bezügen ihrer Eltern abgezogen würde.

Um 21.15 Uhr ist die offizielle Fragestunde beendet. Doch es ist Scholzsche Sitte, keine Frage ungestellt zu lassen. Also gibt er anschließend eine weitere Stunde in Zwiegesprächen weitere Antworten. Zugewandt, diplomatisch, ausdauernd - ein Politprofi eben.