Stefan Brumder forscht nach den Umständen seiner Adoption. Seine Mutter, eine Amerikanerin, brachte ihn in Lüneburg zur Welt.

Lüneburg. Stefan Brumder ist 15 Jahre alt und mit der katholischen Jugend auf dem Weg zum Nordkap, da stellt ihm eine Freundin eine Frage, die er sich selbst noch nie gestellt hat: Sieht er seinen Eltern eigentlich ähnlich? Mit ihrer Antwort darauf fängt für Stefan eine Suche an, die bis heute nicht beendet ist. 54 Jahre ist er heute alt - und wer sein leiblicher Vater ist, weiß Stefan Brumder immer noch nicht. Und damit auch nicht wirklich, wer er selbst ist.

"Mir war nie aufgefallen, dass ich meinen Eltern gar nicht ähnlich sehe", sagt der Mann, dem der Hinweis der Freundin als Jugendlichem den Boden unter den Füßen wegzieht. Dem schwindelt bei diesem Gedanken. Der fortan jede Stunde allein zu Hause dazu nutzt, Schreibtische und Schränke zu durchsuchen, auch das sprichwörtliche Nähkästchen der Mutter. Auf der Suche nach seiner Identität.

Als er nach einer Woche ein zweites Mal in Vaters Schreibtisch kramt, findet er ihn, versteckt auf der linken Seite unter der untersten Schublade: den Beweis, dass seine Eltern gar nicht seine Eltern sind - sondern seine Adoptiveltern. Er findet den Kindesannahmevertrag, den die beiden 1958 unterschrieben haben. Weil sie selbst kein Kind bekommen konnten und sich doch so sehnlich eines gewünscht hatten.

Dass sie Stefan adoptiert haben, erzählen die Eltern dem Sohn nicht. Erst ist er zu klein dafür, dann kommt er in die Schule, aufs Gymnasium, in die Pubertät. "Meine Eltern haben es einfach nicht übers Herz gebracht", sagt der Erwachsene heute. "Vielleicht, weil sie selbst so gern meine leiblichen Eltern gewesen wären."

Als der Jugendliche seinen Freunden von seiner Entdeckung erzählt, merkt er: Die meisten wissen das längst. Nur gesagt hat es ihm keiner.

Seine Adoptiveltern sind mittlerweile beide verstorben, Verwandte gibt es keine. "Ich bin familienlos", sagt der adoptierte Sohn. Und wünscht sich doch so sehr eine. Von seinen Wurzeln weiß er nur, dass sie in Amerika liegen. Den Rest will er nun endlich herausfinden - in der großen Hoffnung, seinen Vater zu finden. Den Vater, dem er ähnlich sieht.

Fast 40 Jahre dauert die Suche mittlerweile, viel Kraft hat sie Stefan Brumder gekostet. Mehrere Psychotherapien hat er hinter sich. Doch Ruhe hat er nicht gefunden.

Immerhin aber einige Fakten zu seiner Geschichte: Seine Mutter heißt (June) Ellen Brumder und ist 23 Jahre alt, als sie ihn am 31. Oktober 1958 um 5.30 Uhr in Lüneburg zur Welt bringt. Sie ist mit einer Freundin bei Familie von Behring in Wetzlar zu Besuch, als ihre Schwangerschaft auffliegt. Sie der Familie zu beichten, kommt für die im Freundeskreis "Mousie" genannte katholische Collegeabsolventin nicht in Frage: zu konservativ, zu angesehen, zu einflussreich sind die Brumders in Milwaukee, Wisconsin.

Eine Cousine mit Kontakten nach Lüneburg und Hamburg gibt der Verzweifelten einen Tipp am Telefon: Bring das Baby in der Kleinstadt fern der Heimat zur Welt und gib es zur Adoption frei. Die Cousine fliegt nach Deutschland, fährt die Schwangere im Cabrio zur Klinik Dr. Havemann in Lüneburg. Die junge Amerikanerin bringt einen gesunden Jungen zur Welt - und gibt als Erzeuger einen falschen Namen an. Die von Behrings erzählen dem Erwachsenen Jahrzehnte später, seine Mutter sei in einer heißen Faschingsnacht während eines Skiurlaubs in Innsbruck schwanger geworden - doch ob das stimmt, weiß der Sohn nicht. Er weiß nur: Seine Mutter trägt heute einen anderen Nachnamen, hat vier erwachsene Kinder und will mit ihrem Sohn in Deutschland nichts zu tun haben. Nennt ihn Betrüger, Stalker.

Der Sohn aber sehnt sich nach seiner Familie in Amerika, trägt seit drei Jahren den Nachnamen seiner leiblichen Mutter, hat die deutsche und die amerikanische Staatsbürgerschaft - und weiß trotzdem nicht, wer er eigentlich ist. Woher er wirklich stammt. Wer sein Erzeuger ist, sein Ursprung, seine DNA.

Stefan Brumder hat einen Entschluss gefasst. Er will einigen Verwandten in Wisconsin Briefe schicken mit Dokumenten darin, die beweisen, wer er wirklich ist. Das zu sagen, hat ihm seine leibliche Mutter verboten, als er ihr im Jahr 2004 bei einem großen Familientreffen in den USA zum ersten und bisher letzten Mal gegenüberstand. Ein Cousin seiner Mutter, der Familienchronist, hatte ihn zu dem Treffen eingeladen - kennen gelernt hatte Stefan Brumder den Verwandten 2001 bei seiner ersten Recherchereise nach Wisconsin. Ihm hatte er seine Herkunft am Ende des Treffens offenbart, die anderen log er auf Geheiß seiner Mutter an: "Ich musste sagen, ich sei nur ein Freund. Dabei hätte ich meinem Großonkel so gern gesagt, dass ich tatsächlich sein Großneffe bin."

Dass sich nach den Briefen etwas tut im Land seiner Wurzeln, in seiner Familie, das ist seiner Hoffnung Teil eins. Teil zwei ist, dass sich jemand bei ihm meldet, der etwas weiß aus dem Jahr 1958, als eine Amerikanerin in Lüneburg mit einem Cabrio an der Geburtsklinik vorfuhr, ein Baby bekam und es zur Adoption freigab. Oder der die Cousine seiner amerikanischen Mutter kennt - Ende 70 müsste sie heute sein.

"Es geht um meine Identität", sagt der Diplom-Sozialpädagoge, der gerade an einer Promotion arbeitet. "Es geht darum, wer ich bin. Und dass ich ein Recht darauf habe, das zu erfahren."

Wissen will er das schließlich schon seit fast 40 Jahren - seit eine Freundin ihm auf dem Weg zum Nordkap sagte, dass er seinen Eltern überhaupt nicht ähnlich sieht.

Wer Kontakt zu Stefan Brumder aufnehmen möchte, kann dies tun unter Telefon 04131/40 55 66 oder per E-Mail unter stefan.brumder@gmx.de