Interview mit der Schauspielerin Christiane Leuchtmann über politisch korrekte Veränderungen in klassischen Kinderbüchern.

Tostedt. Seit vielen Jahren bietet die Irene und Friedrich-Vorwerk-Stiftung in regelmäßigen Abständen kulturelle Veranstaltungen in Tostedt an. An diesem Sonnabend, 16. Februar, ist von 16 Uhr an das Schauspieler-Ehepaar Christiane Leuchtmann und Hans-Peter Korff mit ihrer Lesung "Kästner und Co." im Hotel Meierhof, Buxtehuderstraße 3, zu Gast. Im Interview mit dem Abendblatt verrät Christiane Leuchtmann, welche Werke ihr besonders gut gefallen und was sie von der aktuellen Diskussion um "politisch korrekte" Kinderbücher hält.

Abendblatt: Was erwartet Ihre Zuhörer bei der Szenischen Lesung in Tostedt?
Leuchtmann: Im Fokus steht bei uns das Satirische Potenzial von Erich Kästner. Da wir unsere Texte nicht nur lesen, sondern spielen, eignen sich seine humorvollen Beobachtungen hervorragend, um unserer Spielfreude Ausdruck zu verleihen. Je nach Laune und Stimmung des Publikums entscheiden wir bisweilen, wer dann die Konsorten sind und schöpfen aus einem sehr reichhaltigen Repertoire an Texten, Gedichten, Aphorismen oder Couplets von Morgenstern, Busch, Thoma bis Heino Jaeger, einem Harburger Satiriker.

Was verbindet Sie mit "Kästner und Co."?
Leuchtmann: Kästner als Autor für Kinder wie für Erwachsene begleitet einen natürlich seit frühester Kindheit. Er ist ein Chronist des letzten Jahrhunderts mit Herz und Humor. Humor ist für uns ein wichtiger Aspekt, aber auch sein kritischer Blick auf die Gesellschaft.

Haben Sie ein Lieblingsstück, das Sie besonders gern auf die Bühne bringen?
Leuchtmann: "Berliner Hetärengespräche" ist sehr schön. Da ist der Rausch Berlins in den Zwanzigern noch zu spüren - und den anschließenden Kater des Zweiten Weltkriegs beschreibt er unglaublich authentisch, wie dicht Tragik und Komik beieinander liegen.

Ist am Sonnabend auch Otfried Preußlers "Die kleine Hexe" dabei? Die Geschichte ist ja neuerdings wieder in aller Munde.
Leuchtmann: Vermutlich stellen sie uns auch deshalb diese Frage.

Stimmt. Was also halten Sie von der Diskussion um "politisch korrekte" Kinderbücher, wo aus Pippi Langstrumpfs Vater als "Negerkönig" kurzerhand ein "Südseekönig" wird und das Wort "Neger" ersatzlos aus Preußlers Geschichte verschwindet?
Leuchtmann: Abgesehen davon, dass es wunderbar ist, wenn Kinder heute überhaupt noch lesen und nicht nur vor dem Bildschirm abhängen, kann der "Negerkönig" bei Pippi Langstrumpf ruhig zum "Südseekönig" mutieren, das ist kein dramatischer Einschnitt. Zwar haben wir nicht den Eindruck, dass rechtsradikale Schlägertrupps "die kleine Hexe" oder "Pippi Langstrumpf" als Motivation nehmen, um Ausländer "platt zu machen", aber wenn Pippi mal wieder beim Schwindeln erwischt wird, tut es diesem Klassiker kein Abbruch, wenn sie behauptet, dass die "Marsmännchen" auch lügen, dass sich die Balken biegen, und nicht die Bürger Nicaraguas dafür herhalten müssen. Aber wer weiß, in ein paar Jahrzehnten, gehen vielleicht die Marsianer deswegen auf die Barrikaden.

Ist das Streichen von ganzen Worten oder das Abändern von Textpassagen also legitim?
Leuchtmann: Man erklärt Kindern so viele Dinge, auch bei Märchen, Liedern, Redewendungen wie: "Sie spann aus Stroh Gold", "Sieben auf einen Streich" oder "da haben die Dornen Rosen getragen". Die Frage müsste deshalb doch eher lauten, warum man einem Kind nicht auch sagen kann, dass die Menschen früher Neger gesagt haben, dass das Wort von niger-schwarz kommt. Warum kann man nicht davon erzählen, dass es Sklaverei gab und was sich verändert hat?

Greifen die Verlage in die künstlerische Freiheit eines Schriftstellers ein?
Leuchtmann: Schon. Sprache wird gereinigt, ungewohntes Vokabular dem Kunden nicht mehr zugemutet. Indem man die Reichhaltigkeit unserer Sprache eindampft, finden anspruchsvollere Texte kein Gehör mehr. Das Verlogene an dieser "Zensur" ist, dass Geschichte rückwirkend verfälscht und verleugnet wird.

Kennen Sie Kästners Gedicht "Die Zunge der Kultur reicht weit" und "Ursula geht in die Luft"? In allen kommt das Wort Neger vor. Sind die Werke trotzdem Bestandteil Ihrer Lesung?
Leuchtmann: Na, da sollten Sie sich mal die Highlights seiner Frauenhass-Tiraden zu Gemüte führen. Trotzdem gibt es keinen Grund wieder ein Publikationsverbot in Deutschland über ihn zu verhängen wie 1933. Kästner kommt bei uns nicht als Moralist oder Prediger sondern als scharfzüngiger herausragender Schriftsteller mit zeitkritischen Gedichten zu Wort und auch wegen seiner nicht bremsbaren Aktualität wie das beispielsweise bei "Der synthetische Mensch" oder "Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt" der Fall ist. Aber diese Texte haben wir nicht aus Feigheit, vorbeugendem Duckmäusertum vor den Übergriffen der politischen Korrektheit auf die Kunst, oder weil das Wort "Neger" nicht vorkommt ausgesucht, sondern einfach weil sie uns besonders gefallen haben.