Viele kennen Daniel Kehlmanns Erfolgsroman aus dem Kino. In Harburg ist jetzt die Bühnenversion zu sehen, mit Stephan Benson in der Hauptrolle.

Der Hamburger Schauspieler Stephan Benson schlüpft in die Rolle des großartigen deutschen Mathematikers Carl Friedrich Gauß (1777-1855). Das Harburger Theater präsentiert ab dem 21. Februar Dirk Englers Bühnenfassung von Daniel Kehlmanns Erfolgsroman "Die Vermessung der Welt". In einer fiktiven Doppelbiografie zeigt das Stück die Leben zweier Wissenschaftler, die unterschiedlicher nicht sein können: des Denkers Gauß in der Provinz und des weltreisenden Forschers Alexander von Humboldt (1769-1859). Das Abendblatt sprach mit Stephan Benson - der auch schon dem Hollywood-Schauspieler Daniel Craig für die deutsche Fassung des Films "Sylvia" seine Stimme lieh - in einer Probenpause bei Kirschsaftschorle und Espresso über seine Rolle als griesgrämiges Genie, die Komik der Inszenierung, die Bezahlung von Theaterschauspielern und den Reiz von Fernsehrollen.

Hamburger Abendblatt: Herr Benson, muss man eigentlich gut rechnen können, um ein Mathematikgenie wie Carl Friedrich Gauß zu spielen?

Stephan Benson: Tatsächlich kommt die von Gauß entdeckte "Osterformel" in dem Stück vor. Dieser komplizierte Satz von Gleichungen erlaubt die Berechnung des Osterdatums in jedem gegebenen Kalenderjahr. Es war mein Ehrgeiz, diese Formel korrekt wiederzugeben und live auf der Bühne zu rechnen. Das Auswendiglernen dieses kompletten Algorithmus war fürchterlich.

Wie interpretieren Sie Carl Friedrich Gauß auf der Bühne? Was war er für ein Mensch?

Benson: Als ich die Rolle angeboten bekam, hatte ich den Roman "Die Vermessung der Welt" kurz zuvor gelesen. Gauß scheint von sehr grüblerischer Natur gewesen zu sein. Eine zur Kommunikation unfähige Figur. Er versuchte allein mit der Kraft seines Geistes, die Geheimnisse der Welt zu entschlüsseln. Ich fand es interessant zu erforschen, was das mit einem Menschen macht. Ein wenig habe ich das Bild meines Bruders vor Augen: Der ist Professor für Physik - übrigens an der Humboldt-Universität!

Regisseur Christian Nickel hat einen komisch-pointierten Zugriff auf die Romanvorlage genommen...

Benson: In der Tat gibt es in Christian Nickels Inszenierung viele komische Situationen. Eine Szene beschreibt die Hochzeitsnacht des Mathematikgenies. Gauß fällt im Bett mit seiner Frau plötzlich ein, wie er ein bestimmtes mathematisches Problem lösen kann. Und das ist ihm viel wichtiger als bei ihr im Bett zu bleiben. Seine Idee verhilft ihm zu einem geistigen Orgasmus, viel befriedigender als der, den ihm seine Frau verschaffen könnte. Von bizarrer Komik ist, wenn von Humboldt als aufrechter Preuße in Hofkleidung durch den Dschungel marschiert.

Wie ist die Zusammenarbeit mit Christian Nickel?

Benson: Ich bin mit ihm auf einer Wellenlänge. Er gibt den Schauspielern Raum. Es ist eine sehr freie und angenehme Zusammenarbeit.

Als Sie das Stück zum ersten Mal Anfang 2011 am Altonaer Theater aufgeführt haben, gab es die Kinofassung von Detlev Buck noch nicht. Mittlerweile haben viele Menschen den Film gesehen. Weckt Bucks opulente 3-D-Kinoversion Erwartungshaltungen beim Publikum, unter denen das Theaterensemble leiden könnte?

Benson: Ich hoffe natürlich, dass sich die Kino-Erfahrung nicht negativ auswirkt. Eine Theateraufführung ist ein völlig anderes Erlebnis. Theater hat vielleicht nicht immer die Bildmächtigkeit des Kinos, aber es gelingt ihm leichter, die Seele des Zuschauers zu berühren.

Wie gelingt es Ausstatterin Birgit Voß eigentlich, von Humboldts Reise an den Amazonas auf die Bühne zu bringen?

Benson: Das Bühnenbild besteht aus Umzugskisten. Daraus baut man sich im Nu ein Floß oder den Dschungel. Im Theater kann man schnell reisen.

Haben Sie Erfahrung mit dem Publikum in Harburg? Reagiert es anders als das Publikum in der Hamburger City?

Benson: Ich habe in "Vier Männer im Nebel" am Harburger Theater gespielt und war von den vielen starken Reaktionen überrascht. Das Publikum hier scheint sehr offen zu sein. Ich freue mich auf die Vorstellungen in Harburg.

Die besondere Enge hinter der Bühne gilt als problematisch für die Schauspieler...

Benson: Es fehlen Seitenbühnen. Hinter dem Aushang beginnt gleich die Mauer. Wir werden noch einiges organisieren müssen, bei den vielen Auf- und Abgängen in "Die Vermessung der Welt".

Sie sind 1997 vom Theaterfach zu Film und Fernsehen gewechselt. Sie haben Rollen in "Tatort", "Großstadtrevier" oder "Cobra 11" gespielt. Sind Sie mehr Theater- oder Fernsehschauspieler?

Benson: Ich bin vorerst zum Bühnenschauspiel zurückgekehrt. Die Rollen, die ich im Fernsehen gespielt habe, sind nichts, was mich wirklich gereizt hat.

Wie viele andere Ihrer Schauspielkollegen sprechen Sie Hörbücher oder synchronisieren Filme aus dem Ausland. Wird am Theater denn tatsächlich so schlecht bezahlt?

Benson: Vom Theater allein könnte ich nicht leben. Heute muss ein Schauspieler auf vielen Hochzeiten tanzen, wenn er freischaffend arbeiten will. Die Leidenschaft, die Schauspieler für das Theater mitbringen, steht leider nicht im Verhältnis zur Höhe der Gagen. Dennoch: Eine Bühne ist staubig, Theater macht dreckig. Es ist eine ehrliche Arbeit, und das gefällt mir.

"Die Vermessung der Welt" nach dem Roman von Daniel Kehlmann, Harburger Theater, 21. Februar bis 2. März, Karten-Telefon: 040/428 713 604.