Klaudia Kapellmann baut Kulissen, entwirft Kleidung und Schmuck. Die Neu-Insulanerin sieht in Wilhelmsburg eine Künstlerszene entstehen

Wilhelmsburg. Ihre innere Uhr muss Klaudia Kapellmann erst noch synchronisieren. "Jetlag", sagt sie entschuldigend und nimmt einen Schluck aus der Kaffeetasse. Die Mattigkeit nach einer Zeitverschiebung kann sich auch auf einer innerdeutschen Strecke einstellen. Drei Wochen lang war die Diplom-Designerin in ihrer alten Heimat Dortmund in die Filmwelt eingetaucht. Mit Dreharbeiten in der Nacht für eine Low-Budget-Produktion bis sieben Uhr morgens in einem lausig kaltem Parkhaus. Zurück in ihrer neuen Wahlheimat Wilhelmsburg muss die 34-Jährige sich wieder auf den üblichen Tag- und Nacht-Rhythmus einstellen: Halbtagsjob im Body-Shop für den Broterwerb. So sieht das Leben einer freien Künstlerin aus.

Der frühere Arbeiterstadtteil Wilhelmsburg ist im Wandel. Viele junge Kreative haben hier mittlerweile ihre Heimat gefunden. Sie vermarkten ihre Arbeiten auf örtlichen Messen oder bei "DaWanda", dem Internet-Marktplatz für Handgemachtes. Meist arbeiten sie versteckt in winzigen Ateliers oder in der Mietwohnung. Kaum jemand dürfte aber so vielseitig sein wie Klaudia Kapellmann: Die studierte Designern für alles, was mit Objekt und Raum zu tun hat, gestaltet Lampen aus Muffin-Papier, hat eine eigene Mode-Kollektion entworfen, fertigt Handtaschen aus Pkw-Kopfstützen oder baut Kulissen für das Fernsehen. Noch bis Ende März stellt der Quartierstreff "Westend" in Wilhelmsburg Fotos, Collagen und Skulpturen von ihr aus.

Aufgewachsen ist Klaudia Kapellmann in Dortmund, hat dort an der Fachhochschule Design studiert. Ein früherer Mitstudent macht gerade seinen Bachelor-Abschluss in Regie und Drehbuch. Er dreht einen 45 Minuten langen Spielfilm und hat Klaudia Kapellmann für die Spezialeffektenmaske engagiert. Ihre Aufgabe dabei: Drei Wochen lang den Darstellern entstellte Gesichter zu erpassen. "Wunden und Narben, das mache ich gerne", sagt die 34-Jährige.

Eine Kulisse in dem Überschwemmungsszenario einer ZDF-Fernsehdokumentation war die bisher wohl prominenteste Arbeit der Designerin. Der Beitrag einer Bremer Produktionsfirma für die Fernsehreihe "Terra X" aus dem Jahr 2010 schildert den Untergang der sagenumwobenen Stadt Rungholt im nordfriesischen Wattenmeer im Jahr 1362. Titel: "Atlantis des Nordens". Aus Styropor-Blöcken hat Klaudia Kapellmann eine Pfadschneise ins Wattenmeer rekonstruiert - auch eine Art Narbe. Wie verrottetes Holz musste der Kunststoff aussehen, mit Algen behangen. "Ich habe drei Tage lang Muschelsuppe gekocht, um die Schalen als Dekoration zu benutzen", erzählt sie, wie ein Speiseplan beim Fernsehen entstehen kann.

Es folgte eine Festanstellung als Bühnenassistentin am Staatstheater Hannover. Klaudia Kapellmann ist wie Zuhause in der Bühnenwelt. Ihr Vater war Opernsänger. An der Jungen Oper durfte sie zwar Videokunst machen. Der Alltag als Bühnenassistentin war aber wenig kreativ: Ihre Aufgabe als Ansprechpartner für die freischaffenden Bühnenbildner bedeutete vor allem zu organisieren. "Bürokratische Sachen sind nicht so meins", sagt sie.

Die Künstlerin gab die Festanstellung und die damit verbundene finanzielle Sicherheit auf, folgte ihrem Freund nach Wilhelmsburg. Die jetzt wieder freischaffende Designerin lebt heute in einer Wohngemeinschaft. Ihr Zimmer mit den vielen liebevoll angeordneten Details erinnert an die Maske backstage im Theater. Menschen, die Ideen brauchen, können Klaudia Kapellmann engagieren.

Ihren künstlerischen Schwerpunkt sucht Klaudia Kapellmann selbst gerade. Meistens werde sie für Szenebilder oder Maske gebucht. Oder doch lieber Mode? Mit 17 Jahren entwarf sie ihre eigene Streetwear-Kollektion, entwickelte am Computer Modells mit Robotergesichtern. Animationsfilme mit selbst gebauten Puppen sind eine andere Leidenschaft von ihr. Eine Spezialisierung wird für die weitere Karriere nötig sein. Agenturen würden Vielseitigkeit als Schwäche bei der Vermarktung ansehen, sagt sie. Wohin die Reise beruflich führt, ist offen. "Ich bin ein wenig ein Freund des Zufalls", sagt Klaudia Kapellmann. Ein Trend, den sie auszumachen meint, könnte ihr in die Karten spielen: Unsere Gesellschaft, sagt die Designerin, gehe verstärkt in die Richtung zum Selbstgefertigten.

Hamburgs Stadtteil Wilhelmsburg könnte in naher Zukunft ein guter Ort für Künstler sein. Das Dockville-Kunstcamp hat die Neu-Insulanerin beeindruckt: "Ich habe das Gefühl, dass es hier eine Szene gibt, dass hier etwas im Entstehen ist."