Ein Opel Combo erfasste Daniela Schlegel an der K 75. Der Fahrer fuhr einfach weiter. Nun drohen dem 69-Jährigem fünf Jahre Haft.

Lüneburg/Gödenstorf . Wenn es stimmt, was die Staatsanwältin gerade vorgelesen hat, dann ist der Angeklagte ein skrupelloser Mann: Ferdinand S., 69, Kfz-Händler im Ruhestand aus Garlstorf, sei am 8. Januar 2011 mit einem Opel Combo auf der Kreisstraße 75 zwischen Gödenstorf und Lübberstedt unterwegs gewesen. Dabei habe sein Kleintransporter die Gödenstorferin Daniela Schlegel, 30, erfasst, die bei Einbruch der Dunkelheit rechts am Straßenrand ging. Sie schlug mit dem Kopf durch die Windschutzscheibe, ihre Mütze blieb im Fußraum liegen, das Opfer flog noch 25 bis 30 Meter und blieb am Straßenrand liegen.

"Dem Angeklagten war klar, dass er das Opfer verletzt hatte", sagt die Staatsanwältin an diesem Donnerstag im Saal 21 des Landgerichts Lüneburg. "Und es war ihm klar, dass Daniela Schlegel nicht entdeckt werden könnte." Somit habe Ferdinand S. billigend in Kauf genommen, dass die Gödenstorferin hätte sterben oder durch nachfolgende Wagen überrollt und dadurch getötet werden können.

Ein schwerer Vorwurf. Die Anklage lautet auf versuchten Totschlag durch Unterlassen. Im Falle einer Verurteilung drohen Ferdinand S. mindestens fünf Jahre Haft.

Franz Kompisch, der Vorsitzende Richter der 4. Großen Strafkammer, fragt den Angeklagten, der in Hausschuhen aus der JVA Lüneburg in den Gerichtssaal gekommen ist, ob er etwas sagen möchte. "Nein, ich sage nichts", antwortet Ferdinand S.

Das Opfer Daniela Schlegel kommt mit einem kleinen weißen Teddybären in der Hand in den Gerichtssaal. Die 30-Jährige ist geistig und körperlich behindert, das war sie schon vor dem schlimmen Unfall. Hören kann Daniela Schlegel gut, auf dem einen Auge ist sie blind, auf dem anderen ist die Sicht eingeschränkt. Der Richter stellt ihr viele Fragen, nicht gerade sehr empathisch. "Ich habe mich umgedreht, dann kam das Auto, und es hat Rums gemacht", sagt Daniela Schlegel mehrfach.

Die 30-Jährige hat ein medizinisches Martyrium hinter sich: Arme, Beine und Becken waren gebrochen, Halswirbel und Wirbelsäule schwer verletzt. Zwei Monate lag sie im Universitätsklinikum Eppendorf, davon drei Wochen auf der Intensivstation im Tiefschlaf. Danach zwei Monate Rehaklinik.

Polizisten hatten am Unfallort ein Autokennzeichen gefunden. Der Opel Combo mit diesem Nummernschild gehört Ferdinand S. Beamte stellten den Wagen auf dem Hof des Angeklagten sicher. Die Frontscheibe war auf der Beifahrerseite stark beschädigt. Und im Fahrerraum lag eine Mütze mit Blümchenmuster von C&A. Die wird an diesem Tag mit Blaulicht vom Amtsgericht Winsen in den Gerichtssaal gefahren. Danielas Stiefmutter Alicia Schlegel, 40, guckt sich die Mütze an: "Ja, die habe ich Daniela Weihnachten vor dem Unglück geschenkt."

Ulrich K., 25, aus Gödenstorf und Hendrik P., 23, aus Oelstorf kamen am 8. Januar 2011 an der Unfallstelle vorbei. Beide sind aktiv in der Freiwilligen Feuerwehr Gödenstorf-Oelstorf. Sie verständigten den Rettungsdienst und leisteten Erste Hilfe. Beide berichten dem Schwurgericht, dass sie Ferdinand S. kennen. Und beide berichten, dass der mit einem weißen VW-Bus T 4 an der Unfallstelle erschien, kurz nachdem der Rettungswagen vor Ort war.

Hendrik P. sprach sogar mit Ferdinand S. "Er fragte, was passiert ist, und ich habe ihm gesagt, dass eine Person angefahren wurde. Dann fragte er mich, wie er nach Gödenstorf kommt, weil die Kreisstraße gesperrt war. Das hat mich gewundert, weil er ja aus Garlstorf kommt und die Gegend kennt." Der Prozess wird am 13. Februar fortgesetzt.