Die freie Illustratorin Roswitha Stein entwirft die Strichmännchen der Elbinsel - auf Plakaten, in Logos und Comics.

Wilhelmsburg. Mal, grübel, pinsel, ächz. Mit ein paar Strichen erweckt Roswitha Stein den Herzog Georg Wilhelm (1624-1705) wieder zum Leben - zumindest auf dem Papier. Als Comicfigur kehrt der Namensgeber Wilhelmsburgs in den heutigen Hamburger Stadtteil zurück. Charakterlich ist der alte Dandy derselbe geblieben. Heute nimmt er die Gestalt eines Yuppies an, der Gäste aus Amerika empfängt, sein Designer-Fahrrad mit der Pferdekutsche herumfährt und die Gentrifizierung der Elbinsel vorantreibt.

Gentrifizierung nennt man die Aufwertung eines Stadtviertels, in dem gleich ganze Bevölkerungsteile, meist Einkommensschwache gegen Gutsituierte, ausgetauscht werden. Im Reiherstiegviertel in Wilhelmsburg, Stadtplaner sehen hier das Potenzial für das nächste Szeneviertel Hamburgs, haben anonyme Sprayer in deutlichen Botschaften auf die Fassaden der hübschen Jugendstilhäuser geschrieben, was sie davon halten: "No Gentrification" und verbal weniger Schmeichelhaftes steht auf den Wänden.

Hier im Wilhelmsburger Kiez lebt die 49 Jahre alte Illustratorin Roswitha Stein, Künstlername: "Rost", in einer kleinen Wohnung und zeichnet die Strichmännchen des Elbinsel-Comics, der anhand des Yuppie-Herzogs Aktuelles aus dem Stadtteil aufs Korn nimmt. Die Ideen liefert ihr der frühere Lehrer Hermann Kahle. Die kurzen Bildergeschichten erscheinen in einer von Einheimischen selbst produzierten Monatszeitung, dem "Insel-Rundblick".

Nicht die große Bühne - aber das ist typisch für Roswitha Stein. Die Elbinsel ist ihr Markt. Es gibt hier kaum eine soziale oder kulturelle Institution, die sich noch nicht mit einer der meist minimalistischen Strichfiguren aus dem Hause "Rost" einen Imagegewinn verschaffen wollte. "Ich zeichne gerade eine Strichfrau für eine Yoga-Anbieterin", sagt Roswitha Stein, stutzt und muss dann über den zweideutigen Ausdruck schmunzeln. An fünf bis zehn Projekten arbeitet die freie Illustratorin parallel.

Sympathische Tierfiguren, mit wenigen Federstrichen erschaffen, sind ein Markenzeichen von ihr. Roswitha Stein hat Plakate des früheren Open-Air-Sommerkinos, heute: Insel-Lichtspiele, illustriert. Genauso wie Plakate, Flyer und Kulissen für den kleinen Zirkus Willibald. Werbepostkarten für den Kinderbauernhof Kirchdorf stammen von ihr.

Roswitha Stein ist zwar nicht in Wilhelmsburg geboren, aber längst eine Einheimische. Mitte der 1990er-Jahre kam sie mit ihrem damaligen Mann, dem Comiczeichner Bernd Stein ("Dr. Stein"), aus Hamburg-Wandsbek auf die Elbinsel. Einen Teil ihrer Miete verdienten sich die beiden Kreativen als Hausmeister einer evangelisch-methodistischen Kirche. Damals hatte Wilhelmsburg im übrigen Hamburg noch den Ruf eines Viertels, an dem man besser vorbeifährt. Roswitha Stein kam und blieb. Wegen der fantastischen Natur. Weil damals noch Seeadler im Reiherstiegkanal fischten. Heute aber sei die Natur längst nicht mehr so schön. "Biotope werden zu Vorgärten", sagt sie.

Ursprünglich wollte Roswitha Stein die Welt sehen. Und dachte, Krankenschwester sei der richtige Beruf dazu. 14 Jahre später stieg sie aus der Branche aus. Als sie merkte, dass sie keine Zeit mehr zu Gesprächen mit den Patienten hatte. In der Schule habe sie ihre Hefte voll gemalt. Das habe sie am Leben gehalten, sagt sie. Im Jahr 2000 fing die Autodidaktin als Comiczeichnerin an, wollte Werbe-Maskottchen an Unternehmen verkaufen.

Beinahe hätte es die große Bühne werden können. Das Künstler-Duo "Rost & Dr. Stein" war in Verhandlungen mit dem Online-Marktplatz Ricardo. Aber Konkurrent Ebay setzte sich auf dem deutschen Markt durch. "Da waren wir weg vom Fenster", sagt Roswitha Stein ohne jede Wehmut.

Episoden des Scheiterns gehören zur Biografie eines jeden freien Künstlers. Einem geplanten Online-Magazin für übergewichtige Frauen hatte Roswitha Stein schon das Logo entworfen. Die Drohung einer bekannten Frauenzeitschrift, wegen Namensrechten vor Gericht zu ziehen, bedeutete aber das Aus für das Internetprojekt.

Der Comic in Deutschland erfährt mittlerweile mehr Bedeutung. Er wird in Feuilletons besprochen, als Graphic Novel in den Stand der Literatur erhoben. Viel Geld verdienen können aber nur wenige Zeichner damit. Mittlerweile wird auch der Markt auf der Elbinsel enger. Bauausstellung und Gartenschau ziehen immer mehr Kreative an. "Die wollen Agenturen haben, die größer sind als ich", sagt die Wilhelmsburger Illustratorin.

Roswitha Stein ist seit 13 Jahren am Markt. Sie hat es geschafft, von nicht entfremdeter Arbeit leben zu können. Strichfiguren zu zeichnen, sind keine Flausen im Kopf, sondern ist ein Beruf. Die Inspiration holt sich die Illustratorin beim ungezielten Suchen. "Ich setze mich in die S-Bahn in Richtung Pinneberg, nehme irgendwelche Werbung, Gespräche oder Gerüche auf", erklärt sie. Das klappt? "Wenn ich zurück bin, habe ich in der Regel gute Entwürfe."