Jürgen Koßel lebt für wenig Geld im Schwedenhaus auf dem Campingplatz in Stove. Zurück in die Stadt will er nicht mehr ziehen.

Stove. Mit einem kleinen Steilwandzelt fing alles an. Als aus dem Radio die ersten ABBA-Songs tönten, pachtete der Rahlstedter Jürgen Koßel eine 220 Quadratmeter große Parzelle auf einem Campingplatz in Stove und genoss mit seiner Frau Heike und seiner Tochter Simona den Himmel und die Weite in der Elbmarsch.

An diesem Januarnachmittag steht der 66-Jährige hinterm Herd und bereitet seinen Gästen Latte Macchiato aus der Dose. Er steht fast genau an der Stelle, wo früher das Steilwandzelt stand. Nur lebt er heute in einer "schönen Vier-Zimmer-Wohnung" mitten auf dem Campingplatz Camping Land - in einem 50 Quadratmeter großen Schwedenholzhaus, das er in rund 3300 Stunden mit eigenen Händen errichtet hat. "Mit Camping", sagt Jürgen Koßel, "hat das nichts mehr zu tun, ich habe hier den gleichen Komfort wie in einer Wohnung in der Stadt."

Bis Ende 2005 lebte Jürgen Koßel in einer 63 Quadratmeter großen Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung in Rahlstedt. 380 Euro Kaltmiete zahlte er an die Saga, die renovierte ein wenig, und die Miete stieg auf 500 Euro. Da zog der 125-Kilo-Hüne von Mann die Reißleine. Seine Frau hatte ihn schon lange gedrängelt, auf das Camping Land an der Elbe zu ziehen. Dort hatten viele Camper angefangen, an ihre Wohnwagen kleine Holzhäuschen anzubauen. Und so wurden auch die Koßels Dauercamper - mit allem Luxus, den sich ein Dauercamper wünscht: Badezimmer mit Wanne, zwei Fernseher, Internet- und Telefonanschluss und Strandkorb im Garten.

Auch Koßels Küche bietet alles, was der Koch begehrt: Gasherd, Backofen, Kühlschrank, Halterungen für Tassen und Löffel sowie Gewürzregal. Ein paar Schritte weiter gelangt man in den offenen Wohn-, Ess-, Arbeits- und Schlafbereich. Draußen im Garten liegen Beete, Stauden und Blumenkästen unter einer Schneedecke. In einer Ecke des Grundstücks steht ein Wohnwagen aus den 1960er-Jahren. "Das ist der Schuhschrank und Lagerort für die Sommergarderobe meiner Frau."

Solch eine Idylle muss finanziert sein. Für die Pacht, inklusive Kosten für Müll und Wasser, zahlt Jürgen Koßel 1300 Euro im Jahr. Hinzu kommen jährlich etwa 700 Euro für Strom und 400 Euro für die Gasflaschen zum Kochen und Heizen. "Einmal die Woche gehe ich in die Wanne, das muss einfach sein", sagt Jürgen Koßel. "Ansonsten habe ich ja noch die Duschen im Waschhaus, und im Sommer springe ich zum Abkühlen in die Elbe."

In einer Stadtwohnung wäre die finanzielle Lage eine andere. "Wir würden klarkommen, aber nicht so gut wie hier", sagt Jürgen Koßel. Er bekommt nur 280 Euro Rente, seine Frau arbeitet Vollzeit als Sachbearbeiterin bei Dello in Reinbek. "Meine Frau malocht für die Kosten, ich für den Spaß. Geld ist ein wichtiger Faktor, aber letztlich nicht ausschlaggebend."

Wichtiger für ihn sind die gute Nachbarschaft zu den anderen Dauercampern - darunter ein Drucker, eine Tierärztin, eine Heilpraktikerin, Lkw-Fahrer, Handwerker und drei Sekretärinnen - und das Leben in der Natur. "Auf meinem Pavillon im Garten sitzen die Waldohreulen, sagt Jürgen Koßel. "Morgens laufen Rehe am Waschhaus vorbei, wenn ich meine Runde mache. Und im Vogelhäuschen, da kämpft das Rotkehlchen mit der Amsel."

Jürgen Koßel hat nicht nur eine ungewöhnliche Wohnbiografie. Aufgewachsen ist er überwiegend bei seiner Großmutter in Jenfeld, Stiefväter hatte er mehrere. Nach der Volksschule begann der damals 15-Jährige eine Kellnerlehre im Reichshof in St. Georg. Die Ausbildung endete Knall auf Fall, weil er "einem Zuhältertypen" ein Glas Wasser ins Gesicht geschüttet hatte.

Danach arbeitete Jürgen Koßel als Tagelöhner in einer "Schiet-Gang". Seine Jobs: Öltanks reinigen, Fischmehl, Teppiche, Bananen und Kaffeesäcke aus Schiffen entladen, Straßenschilder putzen. "Ich hab' damals fast alles gemacht, das gab richtig gutes Geld."

Eigentlich wollte er mit der Kohle mit einem Kumpel um die Welt fahren. Aber der Kumpel sprang ab, und Jürgen Koßel zog alleine los. In der Schweiz gab er binnen sechs Wochen seine Ersparnisse aus. So heuerte er als Mess-Steward auf dem Passagierschiff Hanseatic an. Auf der Fahrt von Hamburg nach New York hing er fast nur über der Toilette. Nach vier Wochen ging er wieder von Bord.

1970 kaufte Jürgen Koßel einen Opel Admiral und machte sich als Taxifahrer selbstständig - erst 29 Jahre später hängte er diesen Job an den Nagel. Um sein Ein-Mann-Unternehmen zu finanzieren, verkaufte er anfangs noch an Hamburger Haustüren Blumen, die er früh morgens auf dem Großmarkt erstanden hatte.

Mit 42 Jahren bekam Jürgen Koßel dann noch einen Teilzeitjob: Er wurde Schauspieler. Nach zwei Miniauftritten in der TV-Serie "Diese Drombuschs" schlüpfte er gleich in drei Nebenrollen im Musical "Cabaret": Er spielte eine männliche Walküre, einen Matrosen und einen Rausschmeißer. Später mimte er dann im Fernsehen Penner, Schläger und Zuhälter, 2000 war er "Kettensägen-Rudi" im Kult-Kurzfilm "Staplerfahrer Klaus - Der erste Arbeitstag".

Heute steht Jürgen Koßel nur noch maximal acht Tage im Jahr vor der Kamera. Sonst ist er Hausmann und setzt die Ideen seiner Frau um. "Jürgen, mach mal!", sagt sie dann, und Jürgen macht, nach einiger Bedenkzeit, was seine Frau ihm aufgetragen hat: Er baut ihr eine Treppe zur Haustür, legt Beete an und baut Regale aus Holz und Steinmauern aus Feldsteinen.

"So ein Leben auf dem Campingplatz, das ist jetzt 'in'", sagt Jürgen Koßel. Nebenan auf dem Zeltplatz "Stover Strand" errichten Dauercamper Fertigholzhäuser, die etwa ab 45.000 Euro nackt kosten. Jürgen Koßel hat 25.000 Euro fürs Material ausgegeben und alles mit eigenen Händen gemacht. Bis zu 65 Quadratmeter dürfen die Holzhäuser für Dauercamper in Stove laut Flächennutzungsplan groß sein.

"Warum sollte ich groß wegfahren, wenn ich alles vor der Tür habe?", fragt Jürgen Koßel an diesem Tag. Mit seiner Heike fährt er mit dem Fahrrad die Ilmenau entlang nach Lüneburg. Oder sie schwingen sich auf ihre Motorroller. Im Sommer legt sich Jürgen Koßel in sein Kanu und lässt sich auf der Elbe treiben. "Und wenn ich mal Stress habe, dann setze ich mich in den Strandkorb und lese Comics. Das, was ich hier habe, habe ich in der Stadt nicht."