Henning Hinrichs singt witzig-frivole Gassenhauer aus den Zwanziger Jahren. Anfragen kommen auch von außerhalb der Kirche.

Reppenstedt. Henning Hinrichs singt gern und viel. Besonders gern Gassenhauer aus den Zwanziger Jahren. Allein: Die witzig-frivolen Texte gepaart mit ein bisschen Bühnendramatik gibt der musikalische Mann mit den fröhlichen grauen Locken nicht in Cafés zum Besten, sondern im Gemeindesaal seiner Kirche. Der 46-Jährige ist Pastor in Reppenstedt bei Lüneburg - und hat die Besucherzahlen der Gottesdienste in drei Jahren um fast 20 Prozent gesteigert.

Als Henning Hinrichs vor drei Jahren die Auferstehungs-Kirchengemeinde übernahm, da gab es noch einen regelmäßigen "Seniorennachmittag". Doch kaum einer nahm das Angebot wahr. Heute heißt das Ganze "Nachmittag für Menschen ab 65 und darunter" - und der Saal ist jedes Mal voll. Was der Pastor im Titel nur andeutet, wirkt bei den Veranstaltungen mit ganzer Kraft: Humor.

Seniorennachmittag - allein den Namen schon empfindet der 46-Jährige als für viele abschreckend. "Meine Eltern sind selbst Mitte 70, und würden sich niemals als ,Senioren' bezeichnen." Nun lockt ein neuer Name allein nicht regelmäßig 40 bis mehr als 100 Menschen in den Gemeindesaal eines 6800-Einwohner-Orts. Es ist in erster Linie das Programm.

Und das ist seit dem nun schon nicht mehr ganz neuen Pastor in Reppenstedt ein paar Kilometer westlich von Lüneburg meistens lustig. Hinrichs selbst hat mit der Organistin Almut Schacht und dem ehemaligen Posaunenchorleiter Christoph Sander eine Combo gegründet, die mittlerweile auch außerhalb der Kirchengemeinde angefragt wird: das "Gassenhauer-Ensemble".

Selbige aus den Zwanziger Jahren singen und spielen die drei auch. Von "Mein kleiner grüner Kaktus" über "Ich wollt, ich wär ein Huhn" und "Veronika, der Lenz ist da" bis "Ein Freund, ein guter Freund": Die Lieder des Trios sind jedem vertraut - und manch ein dementer Besucher verlässt den Raum mit leuchtenden, wacheren Augen als vorher.

"Humor soll in der Kirche keinen Platz haben? Das ist Quatsch. In der Kirche haben alle Lebensäußerungen ihren Platz", findet der Pastor - der im Übrigen nicht nur mit den "Gassenhauern" seine Zuhörer zum Lachen bringt, sondern auch mit dem ein oder anderen Witz am Anfang seiner Predigt. "Wer erst einmal gemeinsam gelacht hat, hat eine Basis, auf der dann später auch andere Themen angegangen werden können."

Dass er richtig liegt mit seinem Konzept, Kirche über den Weg des Humors als einen "ganz normalen Lebensraum" darzustellen, beweisen die Erhebungen der Gemeinde: Vor drei Jahren kamen im Jahresmittel durchschnittlich 113 Menschen zum Gottesdienst, im vergangenen Jahr waren es 138. Hinrichs sind die Zahlen wichtig, er hat eine Tabelle im Computer dafür angelegt. Denn er will aufzeigen, dass Kirche nicht nur ein Ort für Alter und Tod ist, "sondern dass es Spaß machen kann, dorthin zu gehen. Dass es durchaus einen Mehrwert gibt." Der kann sich auch mal in einem Spaghetti-Essen nach dem Gottesdienst zeigen - das nicht nur gut schmeckt, sondern auch Menschen nach der Predigt im Gemeindehaus bleiben lässt, die ansonsten vermutlich einfach nach Hause gegangen wären. Die "Gassenhauer" des Pastors und seines Trios sind im Ort mittlerweile so beliebt und berühmt, dass sie auch außerhalb der Kirche gebucht werden - etwa bei Hochzeiten oder demnächst zum Valentinstag am 14. Februar im Dorf-Gasthaus.

Nach Fortsetzung schreit auch ein bisher einmaliges Projekt im Kirchenkreis Soltau anlässlich der langen Nacht der Kirchen im Herbst vergangenen Jahres. Vier Pastoren boten Kabarett. "Das Stück war saumäßig gut, es strotzte vor frecher, angriffslustiger und liebevoller Humoreske", sagt Soltaus Superintendent Heiko Schütte. So persiflierten die Pastoren nicht nur die Präimplantationsdiagnostik, sondern spielten auch auf eine vor Ort debattierte mögliche Krankenhausschließung an.

Bei den Kirchenbesuchern kam das Kabarett dermaßen gut an, dass viele sich eine Wiederholung respektive Fortsetzung wünschen, weiß Schütte. "Die Chance des Humors ist die Verfremdung", sagt der Superintendent. "Ein Stück aus der Wirklichkeit auszuscheren und sich anschließend an den Kopf zu packen. Humor kann Schwere nehmen und tatsächlich auch dem Verzweifelten den Einstieg in eine andere Wirklichkeitswahrnehmung bieten." Doch Humor in der Kirche hat auch seine Grenze, stellt Schütte klar: das Heilige. Das, woran Menschen ihr Herz hängen und worum sie ringen: "Über das Letzte lässt sich nicht spaßen. Es bleibt immer die Furcht, dass der Spaß der letzte Ernst sein könnte."

Davor aber tut Humor gut, findet auch Lüneburgs Superintendentin Christine Schmid: "Ich spüre, dass Menschen gerne während einer Predigt etwas zu lachen haben. In der Seelsorge haben wir das Lachen wieder entdeckt. Es ist ein heilsames Gegengewicht zu Ängsten und Sorgen. In der Bibel heißt es: ,Wenn wir erlöst werden, wird unser Mund voll Lachen sein.'"

Allerdings brauche Humor auch eine Ethik: "Lachen geht nur, wenn dabei kein anderer eingeschüchtert wird. Und wenn damit nicht Trauer oder Leiden verdrängt werden. Zum Menschsein gehört eben immer beides: Lachen und Weinen."