Unter der musikalischen Leitung von Werner Lamm hat sich die Harburger Kantorei einen guten Namen ersungen

Harburg. "Ihr müsst die Töne ganz hoch anfassen", sagt Werner Lamm am Flügel im Gemeinderaum der Kirche St. Trinitatis. Er greift mit beiden Händen aus der Luft von oben nach unten. Er verbindet seine Erklärung mit einer Geste. "So behalten die Leute das im Gedächtnis", sagt er. Vor ihm im Halbkreis sitzen die Sopran-Stimmen der Harburger Kantorei. Lamm scheint jede einzelne Stimme seines Chores zu kennen, hört sofort Fehler heraus, stoppt den Chor, sobald eine Stelle nicht sauber gesungen wird. Die Frauen mit den hohen Sopranstimmen sind konzentriert auf Chorleiter Lamm und ihre Noten. Synkopen werden immer wieder geübt, bis sie sitzen. Bachs Werke sind anspruchsvoll. Bevor die übrigen Sänger des Chores an diesem Mittwochabend nach und nach zur Probe eintreffen, legt Lamm eine kurze Pause ein.

"Singen ist für mich eine große Freude. Niemand von uns mag alle Stücke, die wir singen, gleich gern, aber die Liebe zur Klassik haben wir alle. Das hält uns schon über so viele Jahre zusammen", sagt Stefan Wendt-Reese, Vorstandvorsitzender der Harburger Kantorei, ein Kirchenchor des Kirchenkreises Hamburg Ost. Ein bis zwei große Konzerte geben die etwa 120 Kirchensänger unter ihrem professionellen Chorleiter. Und die Säle sind zumeist ausverkauft. "Aber natürlich ist das bei jedem Konzert immer wieder ein Zittern, ob wir alle Karten verkaufen können. Denn so eine Veranstaltung kostet viel Geld", sagt Wendt-Reese, der für die Konzert-Organisation verantwortlich ist. Die Harburger Kantorei hat einen Namen weit über die Grenzen des Bezirks Harburg hinaus. Der Chor zählt zu den großen Chören. Deswegen, so Wendt-Reese, könne die Kantorei Werke aufführen, die kleine Chöre nicht singen können. In der Harburger Friedrich-Ebert-Halle treten die Sänger schon mal vor 800 Zuhörern auf. Zum Repertoire gehören unter anderem alle großen Werke von Bach.

Auch die Harburger Kantorei unterliegt der Fluktuation. Sänger steigen aus Altersgründen oder beruflichen Gründen aus, neue kommen dazu. Der älteste Sänger hat die 80 erreicht, aber viele junge Menschen entdecken das Chorsingen wieder für sich. Eine Altersgrenze hat die Harburger Kantorei nicht. Es gibt nur eine Voraussetzung, die neue Chormitglieder mitbringen sollten: Sie müssen singen können. "Ich erlebe die Chorgemeinschaft als fantastisch. Bei neuen Mitgliedern habe ich gemerkt, dass ich ihre Stimmfestigkeit abtesten muss. Wer diesen Test nicht besteht, den muss ich wieder nach Hause schicken", sagt Werner Lamm. Nur so kann ein Chor wie die Harburger Kantorei sein hohes Niveau halten. Seit zwölf Jahren dabei ist beispielsweise die Bezirksabgeordnete Sabine Boeddinghaus. Als Pastorentochter sei sie mit klassischer Musik aufgewachsen. "Ich habe große Affinität zur klassischen und geistlichen Musik", sagt die Politikerin, die Sopran singt.

Werner Lamm verstehe eine Menge von dem, was er den Sängern vermittelt, sagt Sabine Boeddinghaus. Das bestätigen auch andere Chormitglieder wie Wendt-Reese. So erklärt sich die gute Zusammenarbeit zwischen Chorleiter und Chor, nur so erklärt sich auch der Erfolg der Kantorei. 1960 gegründet, gehört sie keiner Gemeinde an. Im Laufe der Jahre hat sich der Chor zum größten A-Cappella- und Oratorienchor im Hamburger Süden entwickelt, Lamm nennt ihn den "ersten Chor am Platze". Werner Lamm leitet ihn seit 1998. Eines der nächsten großen Ziele der Harburger Kantorei ist die Aufführung der Carmina Burana. "Unser größtes Ziel aber ist die Missa solemnis von Beethoven", so Lamm. Das Werk zählt zu den bedeutendsten Werken Ludwig van Beethovens und zu den berühmtesten Messen.

Trotz aller Professionalität, trotz der hohen Ansprüche an die Sänger des Chors, große Nachwuchssorgen haben die Harburger Sänger nicht. "Wir sind natürlich immer auf der Suche nach neuen Stimmen, aber wir freuen uns, dass wir in den vergangenen Monaten 20 Neuzugänge zu verzeichnen hatten", sagt Stefan Wendt-Reese. Und die braucht ein Chor auch. Denn irgendwann im Alter lässt die Stimmkraft jedes Sängers nach.

Nach der Pause übt der Chor im Gemeindezentrum von St. Trinitatis jetzt komplett. Etwa 90 Chormitglieder sitzen jetzt vor Werner Lamm, der den Chor bei den Proben am Flügel begleitet. Das ganze Stimmenspektrum des Chors wird jetzt abgebildet. Die Kantorei probt die Bach-Motetten, die sie am 14. April in der Kirche St. Nikolai in Finkenwerder aufführen wird. "Natürlich transportieren wir mit unserer Musik, mit unseren Konzerten auch christliche Werte. Das gehört zu einem Kirchenchor dazu", sagt Stefan Wendt-Reese, der auch dieses Konzert wieder organisieren wird. "Werner Lamm ist ein ausgezeichneter Chorleiter, der sein Handwerk sehr gut versteht. Aber die Organisation unserer Konzerte machen wir lieber selbst, denn Werner ist wohl ein guter Chorleiter und Sänger. Für diesen Job aber ist er einfach zu chaotisch", sagt Wendt-Reese.

In Finkenwerder treten die Mitglieder zusammen mit dem Harburger Kammerchor und dem Harburger Kammerorchester auf - unter der Leitung von Werner Lamm.

www.harburger-kantorei.de