Senioren in Neu Wulmstorf mussten ihr angestammtes Zuhause verlassen, weil Betreiber insolvent ist. Sie wurden auf andere Anlagen verteilt.

Neu Wulmstorf. Die Frauen haken sich unter bei ihrem "Kurtchen". Eine links, die andere rechts. "Komm, jetzt gehen wir kuscheln", scherzt Jacqueline Benzmann, 32, lacht und drückt seinen Arm, als sie sich in der Bibliothek des Pro Vita Seniorenpflegeheims "An den Moorlanden" in Neu Wulmstorf aufs Sofa setzen. Bettina Eichhorn, 33, überfliegt die Buchrücken im Regal und empfiehlt die Arztromane, so dass Kurt Sombrowski laut lacht und meint, so etwas jedenfalls nicht lesen zu wollen. Spätestens jetzt in der Bibliothek wird klar, dass die Ankündigung, die zwei Pflegekräfte und der Rentner seien so etwas wie eine Familie, nicht untertrieben war.

Allerdings ist die Familie nicht komplett. Sie war vorher größer und woanders untergebracht - in der Heide-Residenz Zum Voßberg an der Hauptstraße in Neu Wulmstorf. Das war vor der Insolvenz. Ende September ist das Verfahren gegen den Betreiber der Heide-Residenz - die SenVita Seniorenheimbetreibergesellschaft - eingeleitet worden. "Wir sollten sofort raus. Ich kam mir vor, als wären wir auf der Flucht", sagt Kurt Sombrowski. An einem Montagvormittag wurde verkündet, dass das Heim geschlossen wird. Einen Tag später musste alles leer sein.

Dass in dem Pflegeheim nicht alles rund lief, war schon länger klar. Die Insolvenz von SenVita im September war bereits die zweite.

Schon im Frühjahr gab es die ersten gravierenden Probleme. Der langjährige Pächter des Seniorenheims, die Seniorenbetreuungsgesellschaft Neu Wulmstorf mbH, war nicht mehr in der Lage, die Pacht zu zahlen. Die GmbH meldete Insolvenz an. Zu diesem Zeitpunkt hatte das seit 1996 bestehende Haus 42 Mitarbeiter. Von 53 Betten waren 44 belegt.

Es musste ein Träger als "Feuerwehr" einspringen, da so schnell kein anderer Heimbetreiber gefunden werden konnte. Die Konzepta, eine Fondsgesellschaft, der das Haus gehört, entschied sich, ein Unternehmen aus ihrer Gesellschafterrunde zu bestimmen. Und so übernahm die SenVita das Haus am 1. Juni. Ein Unternehmen, das nicht branchenfremd ist, da es in Stelle auch ein Heim betreibt. Alle frohlockten. Der Insolvenzverwalter, die Schultze & Braun GmbH aus Achern, verkündete Ende Juni noch die Rettung der Heide-Residenz.

Wie Ingo Schorlemmer, Pressesprecher von Schultze & Braun, erklärt, sah das Konzept der SenVita vor, 23 von den 42 Mitarbeitern zu kündigen, darunter auch Pflegefachkräfte. Die Küche, Reinigung, Hauswirtschaft und Haustechnik wurden ausgelagert. Langjährige Mitarbeiter mussten gehen. Das Problem war, dass dies eine weitere Kündigungswelle nach sich zog.

Das Heim versuchte, sich mit Zeitarbeits- und Leasingkräften über Wasser zu halten, was aber den Pflegeablauf empfindlich störte. Es soll zu lückenhaften Dokumentationen gekommen sein. "Es war nicht klar, wann die Bewohner zuletzt Flüssigkeit bekommen haben und wann sie gelagert wurden", sagt Bettina Eichhorn. Sie entschied, nicht mehr die Verantwortung übernehmen zu können und kündigte zum 31. August. Zu dem Zeitpunkt war Jacqueline Benzmann, die in dem Haus stellvertretende Pflegedienstleiterin war, schon längst nicht mehr da, weil sie freigestellt wurde. "Ich durfte nicht mehr arbeiten", sagt sie.

Die Geschehnisse blieben natürlich von Herbert Böttger, Leiter der Heimaufsicht im Landkreis Harburg, nicht unbemerkt. "Es gab immer wieder Gespräche und Qualitätsprüfungen", sagt er. "Aber wenn der Anteil der Festangestellten zu gering ist und das Personal ständig wechselt, weil das Haus überwiegend mit Zeit- und Leasingkräften arbeitet, ist die gesicherte Versorgung der Bewohner nicht mehr gewährleistet", sagt Böttger. Die Gefahr, dass die Bewohner unregelmäßig oder nicht korrekte Medikamente bekämen, sei zu groß gewesen. "Wenn die Mitarbeiter sich im Haus nicht auskennen und auch die Bewohner ihnen fremd sind, wird die Versorgung schwierig. Argumente und Handlungen der Heimleitung wirkten laienhaft und wie angelesen."

Böttger zog die Notbremse. Im Juli verhängte die Heimaufsicht einen Aufnahmestopp und ließ pflegeintensive Fälle verlegen. Zusammen mit dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung lehnte er den Antrag auf Versorgungsvertrag mit der Pflegekasse ab. Am Ende waren nur noch 22 Bewohner da. Die mussten dann so schnell das Heim verlassen, weil es wegen des fehlenden Versorgungsvertrages keine rechtliche Grundlage mehr gegeben habe, das Heim zu betreiben, erklärt Ingo Schorlemmer. "Eine ganz traurige Geschichte", sagt Rolf Thinius, geschäftsführender Gesellschafter der Eigentümergesellschafter Die Konzepta. Er betont aber, dass nicht SenVita, sondern der vorherige Pächter schuld an der Misere sei. "Der Wurm war schon lange vorher drin. Die Pflege wurde immer schlechter, bevor SenVita einstieg. Mit den 22 Bewohnern am Schluss lässt sich so ein Betrieb wirtschaftlich nicht führen. Es war unmöglich, das Haus noch flott zu kriegen."

Für den 78-Jährigen Kurt Sombrowski ist im letzten Jahr eine heile Welt zusammengebrochen. Zwei Jahre hatte er in der Heide-Residenz gelebt. Die Pflegefachkräfte waren immer zur Stelle, wenn die Bewohner etwas wünschten. "Es war so, als wenn wir uns schon Jahre gekannt hätten, als wenn wir zusammengehörten", sagt Kurt Sombrowski. "Zuletzt war es nur noch ein Sauhaufen." Er ist froh, dass er jetzt im Pro Vita Seniorenpflegeheim "An den Moorlanden" zumindest einen Teil seiner alten Familie um sich hat. Insgesamt fünf Pflegefachkräfte und zwei Pflegehelfer hat Suzana Vidra, Leiterin des Heims "An den Moorlanden", von der Heide-Residenz aufgenommen. Und wie geht es weiter? Rolf Thinius ist zuversichtlich, dass das Heim im Frühjahr wieder öffnen kann: "Wir sind mit verschiedenen Betreibergesellschaften in konkreten Verhandlungen."