Der Verein Inselatelier will die Hochhaussiedlung Kirchdorf-Süd kulturell beleben. Morgen gibt es eine Vernissage im Freizeithaus.

Wilhelmsburg. Wer in der Wüste die Oase finden will, muss sich schon ziemlich gut auskennen. Das gilt auch für alle, die in Kirchdorf-Süd auf der Suche nach dem Inselatelier sind. In den zugigen Schluchten der Hochhaussiedlung sieht vieles ziemlich uniform aus - Beton, wohin das Auge blickt. Dazu das monotone Rauschen der Autobahn 1, die bei steifer Ostbrise mitten durch die Siedlung zu führen scheint.

Kirchdorf-Süd gilt als multikulturell. Was sich allerdings einzig darauf beziehen kann, dass fast 60 Prozent der 5700 Einwohner Migrationshintergrund haben. Kulturell jedenfalls hatte das Wilhelmsburger Quartier viele Jahre herzlich wenig zu bieten. Bis das Behindertenhilfe Sozialkontor im Juni 2011 die Malerin Maren Fiebig, 50, beauftragte, ein integratives Kunstprojekt zu entwickeln. Menschen mit und ohne Behinderung sollten gemeinsam Kunst machen - und dabei respektvoll miteinander kommunizieren.

"Auf sechs Wochen war es anfangs ausgelegt. Inzwischen gibt es uns 18 Monate. Und wie es aussieht noch deutlich länger", sagt Fiebig. Seit dem 13. November ist das Inselatelier als gemeinnütziger Verein aktenkundig. Zehn Mitglieder hat er schon, Tendenz steigend.

Domizil des Vereins ist eine ehemalige Sauna im Dahlgrünring 3. Wer die Räumlichkeiten am Fuße eines der gesichtslosen Häuserblocks betritt, dem ist die frühere Nutzung noch ganz gegenwärtig. Dumpfe Feuchtigkeit liegt noch immer in der Luft. Die Sauna ist inzwischen in ein Materiallager umgewidmet. Und das einstige Tauchbecken haben Kinder in eine Elblandschaft verwandelt, mit Gräsern, Schilf und Steinen. "An die Wand soll demnächst noch ein Atomkraftwerk gemalt werden", berichtet Maren Fiebig, Brunsbüttel elbab- und Krümmel elbaufwärts lassen grüßen.

Im Atelier, dem größten Raum des 85 Quadratmeter großen Areals, geht es an drei Tagen in der Woche hoch her. In momentan drei Kursen können die Besucher ihren kreativen Potenzialen dort freien Lauf lassen - malend, textend, klebend. "Wir machen da keine Vorgaben", so Fiebig, "alle künstlerischen Ausdrucksformen sind willkommen, egal ob dabei nun ein Bild, ein Gedicht oder eine Collage entsteht."

So viel wahrhaft künstlerische Freiheit kommt an. Der Bedarf an solchen Angeboten in Kirchdorf-Süd scheint riesig, das Inselatelier hat nach wie vor enormen Zulauf. "Wir könnten gut und gern jeden Tag einen Kurs anbieten und würden der Nachfrage doch nicht gerecht werden", sagt Ursula Töllner, die stellvertretende Vereinsvorsitzende.

50 regelmäßige Besucher verzeichnet die Führungscrew des Inselateliers aktuell, davon sind die Hälfte Kinder. Töllner: "Die Jugendarbeit hat bei uns oberste Priorität." Die Hobbymalerin weiß, wie wichtig Kunst und Kultur als fundamentale Bildungsangebote für die Entwicklung von Kindern sind. "Das hilft ihnen, sich die Welt zu erschließen, sich in ihr zurechtzufinden. Und sie leisten einen wichtigen Beitrag zur Integration", so die ehemalige Deutsch- und Kunstlehrerin.

Das bestätigt zum Beispiel die Fünftklässlerin Selin: "Hier spielt es keine Rolle, ob ich Deutsche bin oder Türkin, das ist unheimlich schön." Und ihre Klassenkameradin Rozerin weiß zu berichten, dass man im Atelier auch Leute treffen kann, die im Rollstuhl sitzen: "Die können richtig gut zeichnen, von denen kann man viel lernen."

Weil die Kapazitäten im Inselatelier nun mal begrenzt sind, hat das Inselatelier inzwischen auch eine Kooperationsmodell für den Ganztagsbetrieb an der benachbarten Integrativen Regelschule An der Burgweide entwickelt. Dort bietet Maren Fiebig inzwischen spezielle Kurse an, in denen sich die Schüler über Malerei und die Fotografie mit ihrem Umfeld kreativ auseinander setzen.

Wie vielseitig, bunt und kreativ ist, was in den Kursen des Vereins Inselatelier entsteht, kann morgen ab 18 Uhr in den Räumen des Freizeithauses Kirchdorf-Süd, Stübenhofer Weg 11, begutachtet werden. "Zu sehen sind Bilder und Installationen von professionellen Künstlern und Laien", sagt Margret Meisterernst, 62, als Kassenwartin ebenfalls Vorstandsmitglied des Vereins. Bevorzugte Themen seien Umwelt, Natur und Verkehr, aber auch das "Gespenst der Gier", eine "Installation am Puls unserer Zeit", wie es "Maggie" Meisterernst formuliert.

Eingeladen haben die drei Damen vom Atelier zudem das Kabarett "Notausgang" der evangelischen Paul-Gerhardt-Gemeinde Wilhelmsburg. Und Kinder aus Kirchdorf-Süd, die eigene Texte vortragen wollen.

"Wir hoffen, dass wir bei der Vernissage viele neue Kontakte knüpfen können, um uns noch professioneller aufstellen zu können", sagt Maren Fiebig. Wenn das Projekt tatsächlich nachhaltige Wirkung entfalten soll, brauche es Sponsoren und tatkräftige Unterstützer. "Das Schlimmste wäre doch, wenn die Skeptiker am Ende Recht behielten, die immer schon gesagt haben, dass in Kirchdorf-Süd gar nichts geht."