Aufmerksamer Chronist: Der Neugrabener Fotograf Heiner Kalhorn stellt seinen Stadtbezirk in überraschenden Bildern vor.

Neugraben. Wenn Heiner Kalhorn das Haus verlässt, dann nie ohne eine seiner Fotokameras. Das hält der 68-Jährige schon seit Jahrzehnten so. Denn er ist nicht nur ein begeisterter Hobbyfotograf, sondern auch ein aufmerksamer Chronist der rasanten Entwicklung, die seine Heimat Harburg im Laufe der Zeit grundlegend verändert hat. Diesen Wandel hat er in unzähligen Bildern festgehalten. Die 30 schönsten hat er jetzt für eine Fotoschau unter dem Titel "Harburg - ,Altstadt' und Hafen" zusammengestellt. Zu sehen ist sie noch bis Ende Dezember an einem recht ungewöhnlichen Ort - in einem Schaufenster der Straße Lütt Enn, mitten in Neugrabens Fußgängerzone.

"Mag schon sein, dass es über Harburg viel zu meckern gibt", sagt Kalhorn. Die städtebaulichen Sünden der Nachkriegsjahre seien ja allgegenwärtig, die Harburger City furchtbar verbaut. Schöne Perspektiven findet der Fotograf deshalb eher jenseits von B 73 und Bahntrasse, im Binnenhafen. "Hier ist das neue Harburg wirklich fotogen, durch den Mix aus Altem und Neuem überaus reizvoll", so Kalhorn.

Dem ist mit Blick auf das große Foto oben auf dieser Seite kaum zu widersprechen. Und das nicht nur, weil ein recht ansehnliches Model auf einer großen Werbetafel Unterwäsche präsentiert. Vielmehr entfaltet das Foto vor allem durch die Kombination der roten Flachdächer am Karnapp und einem der markanten Bürohochhäuser am Schellerdamm seine besondere Wirkung. Im optischen Zusammenspiel verschmelzen Vergangenheit und Zukunft auf anziehende, attraktive Weise.

Allerdings, gibt der Fotokünstler zu bedenken, gerieten ihm zahlreiche Neubauten zunehmend zu uniform. Da würde er sich architektonisch hier und da schon etwas mehr Abwechslung wünschen. Kalhorn: "Anderenfalls sehe ich die große Gefahr, dass uns die hypermodernen Ensembles aus Glas, Stahl und Beton in zehn Jahren mächtig langweilen könnten."

Der gebürtige Buxtehuder hat indes auch einen Blick fürs Detail. So hat er unter anderem den eleganten "Koberer" aus Pappmaché im Bild festgehalten, der Gäste ins Café Oktober am Schlossmühlendamm locken soll. Und nur ein paar Schritte weiter ebenso einen der beiden Löwen, die vor der gleichnamigen Apotheke Wache halten.

Schon während seines Lehramtsstudium an der Uni Hamburg hat Heiner Kalhorn gern und viel fotografiert, sich damit nebenbei Geld verdient. "Ich hatte Aufträge von Firmen, habe aber auch Laborarbeiten übernommen. Das Entwickeln der Bilder in der Dunkelkammer war im analogen Zeitalter ja noch richtig Arbeit", sagt er. Diese Kenntnisse und die Lust an der Fotografie habe er später als Realschullehrer auch seinen Schützlingen zu vermittelt versucht: "Ich habe Fotokurse angeboten und den verdunkelbaren Chemieraum kurzerhand in ein Labor verwandelt", berichtet Kalhorn.

Eines der größten Projekte verwirklichte er mit seiner Fotocrew zum Jubiläum des 100-jährigen Bestehens der Schule Hausbruch 1989/90. Seinerzeit wurden alle 500 Schüler und Lehrer porträtiert und auf einer riesigen Leinwand präsentiert. "Die musste anschließend sogar bewacht werden, weil Schüler versucht hatten, Fotos von sich oder besonders hübschen Mädchen zu entwenden", so Kalhorn.

Diese Gefahr besteht heute nicht mehr. Seit 1996 hat der Fotograf in der kleinen Straße Lütt Enn ein Schaufenster gemietet, das er in eine Minigalerie verwandelt hat. Hinter der großen, dicken Scheibe waren seitdem insgesamt 55 Ausstellungen zu 38 verschiedenen Themen zu sehen. In seinen Bildern hat Kalhorn moderne Architektur und Ballettszenen gezeigt, Windmühlen und Oldtimer, Stillleben und Porträts, maritime Motive und immer wieder norddeutsche Städte und Landschaften.

Da er stets auch einen gedruckten Hinweis mit seiner Telefonnummer hinterlässt, erhält er immer wieder ein lebhaftes Feedback zu seinen Arbeiten. So wurde eine benachbarte Apotheke auf historische Aufnahmen aus seinem Fundus aufmerksam, die sie erworben hat und jetzt selbst ausstellt. "Es gibt aber auch Lob und Tadel, was mich beides gleichermaßen freut", sagt Heiner Kalhorn. "Weil es zeigt, dass die Leute meine Fotos wahrnehmen - und sich mit ihnen auseinandersetzen."