Mit vollem Einsatz

Offener Brief an Niedersachsens Kultusminister zum Thema Schule

Sehr geehrter Herr Dr. Althusmann, im Jahre 2005 führte die CDU-geführte Landesregierung in Niedersachsens das sogenannte G8 ein. Heute - sieben Jahre später - müssen wir Schüler unter diesem System lernen und leben. Welche Auswirkungen das G8 mit seinen 12 statt 13 Unterrichtsjahren auf Schüler hat, war vermutlich niemandem so richtig bewusst. Dass man 13 Jahre Schule schlecht in 12 Jahren unterbringen kann, sollte jedem einleuchten und man sollte meinen, dass man nun im Stoff kürzen müsste. Das Gegenteil ist leider die Realität. Die logische Folge war der Ausbau vieler Schulen hier in Lüneburg zu sogenannten "Ganztagsschulen". Für uns Schüler bedeutet das in der Regel acht Stunden Unterricht in den 9. und 10. Klassen sowie ungefähr neun Stunden in der Oberstufe. Ein Instrument zu lernen oder Sport zu treiben, ist meistens nicht mehr möglich. Weiterhin sehen wir die Schule als einen Ort, der weit mehr als Bildung vermittelt. Eine Schule hat die Aufgabe, uns Schülern auf dem Weg zum "Erwachsenwerden" zu begleiten. Wie soll eine Schule das leisten können, wenn viele Schüler das Gymnasium mit 17 Jahren verlassen? Wussten Sie mit 17 Jahren schon, dass sie später einmal Kultusminister werden wollen?

An dieser Stelle fragen wir Schüler uns nach dem Sinn des "Turbo-Abis". Wozu müssen wir unter derartigem Stress leiden, wozu müssen wir unsere Ehrenämter, sportlichen Aktivitäten und künstlerischen Hobbys aufgeben, um dann am Ende ein weiteres Jahr zur Orientierung dranzuhängen? Gerade in der Oberstufe steigen der Druck und der Stress für die Schüler auf ein unzumutbares Maß an. Wenn Sie vor sieben Jahren Schüler an einem Gymnasium befragt hätten, was sich hinter "Ritzen" verbirgt (Form der Selbstverletzung, d. Red.) , hätten Sie nur Unverständnis geerntet. Heute kennen Schüler der Oberstufe oft gleich mehrere Mitschüler und Freunde, die bereits Erfahrungen gemacht haben. Immer mehr Schüler klagen immer öfter über Kopfschmerzen.

Wenn man aufmerksam den Schulalltag an Lüneburger, aber auch an Gymnasien in anderen Städten betrachtet, so wird man ähnliche Beobachtungen machen können - die Schüler werden mit dem Schulstress nicht mehr fertig. Die Folge sind psychische Probleme, deren Symptome dann zu beobachten sind. Alles in allem glauben wir, dass wir Ihnen in einem Brief niemals vermitteln können, was es heute heißt, Schüler in einem Gymnasium zu sein. Daher laden wir - das Gymnasium Johanneum Lüneburg - Sie ganz herzlich ein, zwei Wochen an unserem Unterricht teilzunehmen. Nehmen Sie sich die Zeit und schauen Sie, wie der Schulalltag eines Schülers, beispielsweise in der Oberstufe, aussieht. Verbringen Sie eine Weile mit uns und entscheiden Sie dann selbst, ob Sie sich so die Schulpolitik für Ihre und für alle Kinder an Gymnasien in Niedersachsen wünschen.

Oskar Graap, Schulsprecher am Gymnasium Johanneum Lüneburg

Die Zuschriften geben die Meinung der Einsender wieder. Kürzungen vorbehalten.

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