Der 55-jährige Schnittmeister Andrew Bird hilft den Schülern der Kirchdorfer Nelson-Mandela-Schule, Filme zu untersuchen.

Wilhelmsburg. "Fatih Akins Filme schaffen Vorurteile gegenüber anderen Kulturen aus dem Weg", sagt Mustafa Baris Türkoðlu, 18 Jahre alt und Schüler an der Nelson-Mandela-Schule in Kirchdorf. Gestern besuchte der Schnittmeister Andrew Bird die Schule und beantwortete Schülern des 12. Jahrgangs für eineinhalb Stunden ihre Fragen. Der 55-Jährige schnitt vor etwa 20 Jahren seinen ersten Film, seit vielen Jahren arbeitet er mit dem Regisseur Fatih Akin zusammen.

Dessen Streifen, "Auf der anderen Seite" ist in den Vorgaben des Zentralabiturs des Fachbereich Deutsch in Hamburg fester Bestandteil. Das bedeutet, dass jeder Abiturjahrgang an Hamburgs Schulen diesen Film gesehen, besprochen und bearbeitet haben muss in Vorbereitung auf den Abschluss. "Wir müssen zum Beispiel eine Filmanalyse schreiben oder Semesterübergreifend den Film mit anderen Materialien vergleichen", sagt Mustafa.

"Als ich gefragt wurde, ob ich für die Schüler einen kleinen Vortrag über den Film und die Aufgaben eines Schnittmeisters halten könnte, war ich sofort dabei", sagt Andrew Bird. Viele Menschen wüssten gar nicht, wie viel Arbeit es sei, einen Film zu schneiden.

Der vielfach ausgezeichnete Kinofilm, den die Schüler sich in diesem Jahr vornehmen, ist der zweite Teil einer geplanten Trilogie über Liebe, Tod und Teufel, die mit "Gegen die Wand" begann. Der Regisseur erzählt in seinem selbst verfassten Drehbuch die Geschichte von sechs Menschen aus drei Familien sowohl deutscher als auch türkischer Herkunft. Jeden Protagonisten verschlägt es im Laufe des Films "Auf die andere Seite". Entweder zieht es die Figuren aus Deutschland in die Türkei oder andersrum.

Das Thema Tod ist ein wesentlicher Bestandteil des Films. Zwei Protagonisten des besprochenen Films sind beispielsweise früh verwitwet, zwei weitere werden unabsichtlich getötet. Jeder der an den Todesfällen Beteiligten muss lernen, sich mit seinem Schicksal auseinanderzusetzen. Weitere Themen des Films, die die Schüler erkannten, sind Reue, Versöhnung und Vergebung, ebenso Zufall. Passend zum Semesterthema "Grenzüberschreitungen: Identität und Kultur".

Mustafa Baris Türkoðlu, geboren in Deutschland, sagt: "Der Regisseur zeigt nicht die typischen Klischees in dem Film, das gefällt mir." Auch Andrew Bird ist der Ansicht, dass die Streifen bei der Integration helfen. "Das ist allerdings nicht Akins Motivation. Es geht ihm um die Geschichte." Trotz allem würden in den Filmen teilweise religiöse Wertevorstellungen über Bord geworfen. "Wir schauen natürlich auch auf unsere Zuschauer in Istanbul", sagt Andrew Bird. Die Filme werden auch in der Türkei gezeigt. Aber auch kulturelle Unterschiede und Distanzen überwinde Akin in seinen Geschichten.

Einen Kinofilm zu schneiden, dauere ungefähr ein halbes Jahr, sagt Bird. "Manchmal muss man die Geschichte erst einmal richtig entdecken." Der Schnittmeister selbst, der auch Cutter oder Editor heißt, sei oftmals nicht am Set, dem Ort, an dem gedreht wird. Manchmal entstehe ein Film komplett neu im Schneideraum.

"Wichtig sind die Farbverläufe. Sie erzeugen eine bestimmte Stimmung", sagt Bird. "Auf der anderen Seite" wurde in Bremen, Hamburg und Istanbul gedreht. Die Hamburger Szenen erhielten eine etwas bläuliche Farbe. "Passend zum HSV und zum Wasser. Bremen wurde grün und in Istanbul scheint so schön die Sonne, da haben wir eher warme Farbverläufe genommen."

Auch den nächsten Film wird Andrew Bird mit Fatih Akin bearbeiten und fertigstellen. Auf die Frage eines Schülers, ob der Cutter sich vorstellen könne, selbst einmal einen Film zu drehen, antwortete Bird entschlossen mit "Ja". Er habe sogar schon ein Projekt nebenbeilaufen. Dabei hilft ihm seine Erfahrung. "Ich schneide so viele Filme und würde manche Geschichten anders schreiben oder Kleinigkeiten verändern, wenn ich selbst Regisseur wäre."

"Mir hat es schon geholfen, dass Andrew Bird da war", sagt Boris N'Guessan, 20, der an der Elfenbeinküste aufgewachsen ist und seit vier Jahren in Deutschland lebt. "Wenn ich den Film im Abi analysieren soll, kein Problem."