Die begehrte Miniphänomenta aus Flensburg macht Station in Harburg. Entwickler will der virtuellen Welt etwas entgegensetzen.

Harburg. Vorsichtig ziehen Jakob, 9, und Alexander, 10, an einem grünen Faden der über zwei feste Rollen mit einer Holzkugel verbunden ist. Je nachdem, an welcher Stelle sie am Faden ziehen, schwingt die Kugel stärker oder schwächer. Fragend schauen sich die beiden an und diskutieren dann angeregt, warum die Kugel so unterschiedlich reagiert.

Für zwei Wochen hat sich die Aula der Grundschule Marmstorf in einen Parcours voller Experimente verwandelt. Miniphänomenta nennt sich das Projekt, das an der Universität Flensburg entwickelt wurde. An 30 Stationen können die Schüler hier Alltagsphänomenen nachspüren, Ursache und Wirkung auf den Grund gehen.

Mit Wohlgefallen verfolgt Professor Lutz Fiesser das rege Treiben in der Aula. Er ist der Vater der Miniphänomenta und fühlt sich in den Ergebnissen seiner wissenschaftlichen Arbeit immer wieder bestätigt. "Kinder und Jugendliche wachsen heute in einer weitgehend virtuell geprägten Welt auf, Computer und Spielekonsolen prägen ihr Leben", sagt der 69-Jährige. Dadurch gebe es kaum noch eine haptische Wirklichkeitsbegegnung, fürs Ausprobieren und kindgemäße Experimentieren bleibe immer weniger Raum: "Dadurch verkümmert die Fähigkeit, selbstständig zu erkunden, Hypothesen zu entwickeln und kreative Lösungen zu finden."

Diese Erkenntnis veranlasste Fiesser vor zehn Jahren, mit einem Team von fünf Mitarbeitern seines Instituts für Physik, Chemie und Didaktik kindgerechte Experimentierstationen zu entwickeln. Die Forschungsergebnisse aus acht Dissertationen flossen in das Projekt ein, heute umfasst das Arsenal der Miniphänomenta insgesamt 300 interaktive Stationen, an denen sich die Schüler selbstständig mit naturwissenschaftlichen und technischen Phänomenen aus den Bereichen Akustik, Optik und Mechanik vertraut machen können - sehend, hörend, fühlend, gern auch zupackend.

"Nach zwei Wochen können die Kinder 80 Prozent aller Phänomene verstehen und erklären", sagt Susanne Walleck, Klassenlehrerin an der Grundschule Marmstorf und für die fachliche Leitung des Sachkundeunterrichts verantwortlich. Man könne die Freude am Forschen förmlich spüren: "Es entstehen Assoziationen und Erklärungsmuster, das selbstbestimmte Lernen werde auf spielerische Weise gefördert."

Damit die durch die Miniphänomenta geweckte Neugier nicht gleich wieder verkümmert, sollen möglichst viele Stationen an den Schulen nachgebaut werden und dann in den Fluren aufgestellt werden. Aus diesem Grund hat Susanne Walleck auch Elternvertreter in den Experimenteparcours eingeladen. Mit einem durchweg positiven Echo. "Was ich hier gesehen habe, hat mich überzeugt", sagt Marco Müller. Das Fachbuch zum Projekt mit den Bauanleitungen habe er sich gleich geben lassen, das nötige Material werde schon bald geordert. Dabei gilt wie bei den Versuchsanordnungen selbst das Motto "safety first": Die meisten Grundkorpusse entstehen aus Buchensperrholz. Weil es nicht nur sehr stabil, sondern auch schwer entzündbar ist.

Professor Lutz Fiesser hat derweil dafür gesorgt, dass sich das Projekt Phänomenta weiter verbreitet. Inzwischen gastierte seine Experimenteschau schon an 1250 Schulen in elf Bundesländern. In diesem Jahr bekundete auch Thailands Hauptstadt-Uni in Bangkok Interesse an einer offiziellen Kooperation, 2013 will Moskau die Phänomenta erstmals auf russischem Boden präsentieren. Inzwischen haben Fiesser und sein Stab auch ein Konzept für die Miniphänomentaplus entwickelt, die sich speziell an Schüler der Orientierungs- und Sekundarstufe I wendet. "Weil aufgeklärte Menschen mit einem wachen Geist für eine zukunftsfähige Gesellschaft unbedingt gebraucht werden", so Lutz Fiesser.