Der Tipp-Kick-Bundesligaspieler Hubertus Jüttner greift selbst zu Zange und Feile, um seine Spielfiguren treffsicher zu machen.

Wilhelmsburg. Wenn der Wilhelmsburger Hubertus "Hacky" Jüttner sagt, er müsse noch an seiner Schusstechnik feilen, könnte es sein, dass der 56-Jährige das wörtlich meint, auch wenn er andere Werkzeuge bevorzugt, um Füßen, Beinen und Hüften zu Leibe zu rücken. Doch ebenso wie eine Feile vermutet man auch die von Jüttner favorisierte Zange eher in Händen eines Schlossers als in denen eines Sportchirurgen. Das liegt daran, dass die Schussbeine in seiner Sportart durchweg aus Stahl sind - ohne hier ein Sprachbild zu strapazieren. Hacky Jüttner ist Tipp-Kick-Bundesligaspieler und als solcher ein Urgestein. Und auf seinem Leistungsniveau hat das nichts mehr mit einem Kinderspiel zu tun.

"Ich kenne Spieler, die sind nach fünf Turnierminuten klatschnass geschwitzt", sagt Jüttner. "Die hohe Konzentration die man in Top-Spielen braucht, strengt sehr an."

Tipp-Kick ist eine Fußball-Simulation im Tischplattenformat. Die etwa daumenhohen Spielfiguren, die Feldspieler darstellen sollen, haben ein bewegliches Bein, das mit einer Schubstange über einen simplen Hebelmechanismus in eine vorwärtsgerichtete Schwingbewegung versetzt wird. Die Schubstange verläuft von der Hüfte der Spielfigur senkrecht durch Rumpf, Hals und Kopf und endet in einem kleinen Knauf. Auf den drückt der Spieler mit dem Zeigefinger, die Stange bewegt sich nach unten, das Bein schwingt vor und trifft mit dem Fußende den Ball, der sich daraufhin, Newton sei Dank, wegbewegt.

Dieser Ball ist nicht rund, sondern hat zwölf Kanten, so dass er nach einem Schuss auch irgendwo auf dem Spielfeld liegen bleibt. Und er hat zwei verschieden farbige Hälften. Der Spieler, dessen Farbe oben liegt, darf den Ball spielen. Der farblich "unterlegene" darf seinen Feldspieler nur als "Ein-Mann-Mauer" zwischen Gegner und Tor postieren und seinen Torhüter bedienen. Torhüter werden standardmäßig mit einer Knopfdruck-Hebelmechanik ausgeliefert. "Profis" wie Jüttner schwören allerdings darauf, ihren Keeper direkt an der Stange zu haben. "Die Verzögerung durch den Druckvorgang und die mechanische Toleranz wären auf Spitzenniveau tödlich", sagt er.

Hacky Jüttner ist nicht etwa Tipp-Kick-Spieler geworden, weil es zum echten Fußballer nicht gereicht hätte - im Gegenteil: 1966, mit zehn Jahren, schnürte er erstmals seine Buffer für die Knabenmannschaft des TV Jahn Wilhelmsburg. Im Laufe einer langen Amateurfußballerkarriere spielte er für fast jeden Verein der Elbinsel - in der letzten echten Glanzphase des Wilhelmsburger Fußballs zum Beispiel in der Verbandsligatruppe von Viktoria, aus der auch spätere Profifußballer, wie Dirk Zander und Klaus Klock hervorgingen. Hubertus Jüttner spielte als rechter Verteidiger im Stil des klassischen "Dreiers" - den Spitznamen "Hacky" verdient man sich nicht als Sturmdiva. Später war Jüttner auch als Trainer aktiv, zuletzt beim ESV Einigkeit.

Privat ist Jüttner eher beständig: Seit er als Neunjähriger von Harburg nach Wilhelmsburg zog, blieb er der Elbinsel treu. Seine Frau Gunda, mit der er seit 1976 verheiratet ist, ist auch seine Jugendliebe und der gelernte Kfz-Mechaniker arbeitet noch immer in dem Betrieb, in dem er einst den Beruf erlernte.

Sein Sportfreund Ingo Brussolo war es, der Hacky Jüttner zum Tipp-Kick brachte: Jung-Jahner Jüttner war irgendwann so fußballverrückt, dass ihm einige Tage Training in der Woche und ein Punktspiel am Wochenende nicht ausreichten. Mit seinen Mannschaftskameraden, vor allem Brussolo und Rainer Möller, verbrachte er die trainingsfreien Abende am kleinen Filzfeld und spielte Fußballspielen mit den mechanischen Männchen.

"Da habe ich die Leidenschaft für dieses Spiel entdeckt", sagt Tipp-Kick-Ass Jüttner. "Ein paar Jahre später, 1979, fand ich in einem Spiel einen Zettel, auf den Kontaktadressen von Tipp-Kick-Vereinen gedruckt waren."

Der nächstgelegene war der TFC St. Pauli. Jüttner ging zum Training, spielte zunächst in einer der unteren Mannschaften, wurde aber noch im selben Jahr ins Bundesliga-Team geholt. Seitdem wechselte Hacky Jüttner zwar ab und zu den Verein, nicht aber die Spielklasse. Von St. Pauli ging es zu Fortuna Hamburg-Wilhelmsburg, Wiking Leck, den TKV Grönwohld, Göttingen und zuletzt zurück nach Grönwohld. Der kleine Ort bei Trittau ist vielen Norddeutschen bekannter, als sie denken: Er dient als Kulisse für das fiktive Fernsehdorf Büttenwarder. Die Spielgemeinschaft Grönwohld/Lübeck beendete die letzte Bundesliga-Saison als Dritter. Weitere Vereinswechsel plant Hacky Jüttner jetzt nicht mehr: "Wenn Grönwohld absteigt, steige ich mit ab", sagt er. Er hat auch schon vieles erreicht: 1993 Deutscher Mannschaftsmeister mit Fortuna Hamburg, 1987 Deutscher Einzelmeister, und ein Platz in der ewigen Ruhmesliste des Tippkickverbandes sind nur die Höhepunkte. Jüttners Spezialität ist das schnelle Spiel: "Das ist die Methode Überfallkommando", sagt er. "Wenn ich den Ball habe, lasse ich meinen Gegnern nur wenig Zeit, sich auf meinen Schuss einzustellen." Jeder Spieler hat vier Spielfiguren zur Auswahl. Sie unterscheiden sich in den Schussbeinen und -füßen: Es gibt Beine für Lupfer, für Gewaltschüsse und für angeschnittene Bälle. Im Gegensatz zu den Druckgussbeinen der Standardspielfiguren, sind die Beine der "Profis" durchweg aus Werkzeugstahl gefräst. Viele Spieler passen Beine und Füße mit Zange und Feile noch individuell an.

Hacky Jüttner biegt lieber, als zu feilen. Als Metallhandwerker beherrscht er jedoch beides präzise. Seine Geheimwaffe ist eine Spielfigur mit kugelgelagerter Hüfte "Damit gehen ganz genaue Distanzschüsse", freut er sich. Wichtig dabei ist, dass der Ball nicht ins Kullern kommt, sondern sich nur auf der senkrechten Achse dreht. So bleibt die Farbe des angreifenden Spielers oben. "Ein Farbfehler führt in der Bundesliga fast immer zu einem Gegentor", sagt Jüttner.

Am ersten Novemberwochenende packte Hacky Jüttner seine Spielfiguren wieder in den schaumstoffgepolsterten Turnierkoffer: Die Saison 2012/13 begann für die Grönwohlder mit einem Unentschieden in Berlin und einer Niederlage gegen Hannover. Vier Spieltage mit je zwei Spielen liegen für jedes der zehn Teams an, die besten vier kommen in die Play-offs. Reisen bis nach München und Stuttgart sind da keine Seltenheit. "Wir haben mal zusammengerechnet, dass jede Mannschaft pro Saison auf 3500 Reisekilometer kommt", sagt Hacky Jüttner, "dazu kommen noch die Turniere. Viele der großen Einzelwettbewerbe finden im Raum Frankfurt statt. Wenn man Erfolg hat, ist das wie eine Sucht; ein Kick wie beim Bungee-Springen", sagt Jüttner, "wobei das Schöne ist, dass man dieses Spiel bis ins hohe Alter spielen kann und sich dabei trotzdem ständig mit Jüngeren misst."