Ein Chor, den ihr umtriebiger Leiter motiviert, aber den dennoch Nachwuchsprobleme plagen. Der Verein ist schon 157 Jahre alt.

Hollenstedt. So eine Stimmgabel ist eine feine Sache. Sie hilft immer, den richtigen Ton zu finden. Auf den kommt es schließlich beim Singen an. Und so schlägt Chorleiter Ulrich Weymann, der neben seinen rund 40 Männern in beigefarbener Cordhose im Saal des Hollenstedter Hofes steht, gegen die Stimmgabel, hält sie sich ans Ohr, summt, horcht an der Gabel, summt noch einmal, und erst dann stimmt er die erste Strophe an.

Seit 36 Jahren gibt Ulrich Weymann nun schon den Männern der Liedertafel Estetal aus Hollenstedt den richtigen Anfangston vor. Wenn man es genau nimmt, hat er einen großen Anteil daran, dass der Verein morgen um 19 Uhr von der Gemeinde Hollenstedt im Küsterhaus mit dem Umwelt- und Bürgerpreis 2012 ausgezeichnet wird. Mit ihm trifft der Chor nicht nur den richtigen Ton.

Der 75-Jährige, der Gesang an der ehemaligen Studiooper in Göttingen studiert hat, habe die Liedertafel Estetal zu einem leistungsfähigen Chor gemacht, sagt August Kahrs, 69, Vorsitzender des Vereins. Weymann bringt die Männer dazu, bei der Senioren-Weihnachtsfeier der Gemeinde Hollenstedt zu singen. Er mobilisiert sie für den Erntedankgottesdienst im Hamburger Michel, für die Adventstage, damit sie im Alten- und Pflegeheim Wenzendorf auftreten, damit sie im Seniorenzentrum Kuurs Hoff und auch beim Open Air Gottesdienst im Hollenstedter Schützenholz singen.

Wann immer also etwas in der Gemeinde läuft, liefert die Liedertafel Estetal meistens die Musik dazu. Deshalb hat die Gemeinde Hollenstedt den Chor für den Umwelt- und Bürgerpreis auserkoren. "Es ist ein Verein, der das Liedgut und die Liedkultur hochhält", sagt Jürgen Böhme, Bürgermeister der Gemeinde Hollenstedt.

Der Gesang ist aber nicht alles für den Verein. Auf die Brauchtumspflege legt er auch viel Wert. Insgesamt 32 Jahre lang haben die Männer das Aufstellen eines Maibaums vor dem Hollenstedter Rathaus organisiert, das immer mit einem kleinen Volksfest verbunden ist. "Das ist ein beeindruckendes ehrenamtliches Engagement", sagt Bürgermeister Böhme. 32 Jahre sind dem Chor nun aber genug. Ab nächstem Jahr übernimmt die Hollenstedter Feuerwehr das Aufstellen des Maibaums.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Liedertafel für ihr Engagement geehrt wird. 1989 hat der Bundespräsident die Liedertafel mit der Zelter-Plakette ausgezeichnet. Diese Plakette erhalten alle Vereine, die besonderen Wert auf die Pflege der Chormusik und des Volksliedes legen und die mindestens 100 Jahre alt sind.

Dabei war lange gar nicht klar, dass der Verein schon so viele Jahre existiert. Bis 1988 waren die Sänger davon ausgegangen, dass ihr Chor im Jahr 1929 gegründet wurde. Doch der damalige Vorsitzende Heinrich Thomas stieß bei seinen Nachforschungen zur Historie auf einen Artikel im Wochenblatt für die Stadt Buxtehude und Umgebung, in dem von einer im Jahre 1855 gegründeten Liedertafel zu Hollenstedt die Rede ist. Und so musste die Vereinsgeschichte umgeschrieben werden.

Die Liedertafel sei seitdem der älteste Chor im Landkreis Harburg, so August Kahrs, noch dazu einer, der seine rund 110 Mitglieder in den vergangenen Jahren in etwa halten konnte. Kahrs schreibt diese Tatsache auch dem Engagement von Ulrich Weymann zu, da er seit 36 Jahren den Chor leitet. Ganz nach dem Credo: Gibt es keine Wechsel an der Spitze, bleiben auch die Sänger. Doch vor Nachwuchsproblemen ist auch die Liedertafel nicht gefeit. Das Durchschnittsalter der Sänger liegt bei 76 Jahren. Das jüngste Chormitglied ist 46, das älteste 84 Jahre alt. Der Chor versucht gegenzusteuern. Neben Volksliedern und Konzertmärschen singen sie Anspruchsvolles wie die Oper Nabucco, Modernes wie "Über sieben Brücken musst du gehen" von Peter Maffay. Sie verschmähen auch eine Begleitung auf der Gitarre nicht mehr. Aber geholfen hat es bislang nichts. "Wir haben noch nicht das richtige Rezept gefunden", sagt Kahrs.

Für Chorleiter Weymann gibt es jedenfalls nichts Besseres als Singen. "Es ist fast so gesund wie Schwimmen", sagt er. Seine Leidenschaft ist so groß, dass er noch nicht mal bei der Verleihung dabei sein wird. Denn mittwochs probt er mit dem Frauenchor und der Liedertafel Amphion, beide aus Klecken. "Das kann ich nicht ausfallen lassen."