Chef des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe sagt in Lüneburg: “Es ist noch viel zu tun“.

Lüneburg. "Keine Gegend in Deutschland ist so katastrophenträchtig wie der ehemalige Regierungsbezirk Lüneburg." Das sagt Christoph Unger, Präsident des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), und der muss es ja wissen. Sturmfluten, Hochwasser, Schneechaos, Waldbrände - so etwas passiert laut Unger meist irgendwo zwischen Cuxhaven und Lauenburg. Doch Naturkatastrophen sind längst nicht mehr die größte Bedrohung, so der oberste deutsche Katastrophenschützer bei einer Tagung des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) in Lüneburg: "Es gibt eine hohe abstrakte Gefährdung durch Terror." Auf die Folgen - ein langfristiger, durch Hacker verursachter Stromausfall oder eine chemische, biologische oder atomare Verseuchung - sei man derzeit noch nicht optimal vorbereitet.

Fukushima habe gezeigt: Auch Katastrophen, die eigentlich nicht passieren können, können passieren. Und wenn sie es tun, dann möglicherweise auch mit komplexeren Folgen als angenommen. Zwar gebe es Notfallpläne, allerdings seien sie unter Umständen nicht ausreichend. Unger: "Vor Fukushima haben wir geglaubt, dass nur Menschen von einem radioaktiven Unfall betroffen wären, die dort wohnen, wo der Wind hinzieht. Also ein überschaubarer Bereich. In Fukushima kam es aber über Wochen zu radioaktiven Austritten. In dieser Zeit wechselte die Windrichtung, sodass es zu einer Verstrahlung rund um das AKW kam. Fukushima hat uns viele neue Probleme aufgezeigt." Das fange an mit Fragestellungen wie "Wie viele Jodtabletten darf ich einem Kleinkind geben?" bis hin zu logistischer Planung. So rein hypothetisch: Ein Super-GAU in Brunsbüttel bei westlichen Winden, die höchstwahrscheinlich sind. Hamburg evakuieren? Unger bläst die Backen auf und zuckt die Schultern.

Zuständig für die Erstellung von Evakuierungsplänen ist aber nicht das BBK, sondern sind die Landkreise. Selbstverständlich gebe es entsprechende Katastrophenschutzpläne, so die Sprecher der Landkreise Lüneburg, Harburg und Stade einhellig. Welche Maßnahmen konkret ergriffen würden, sei von der Schwere der Zwischenfälle und der Wetterlage abhängig. Einen konkreten Evakuierungsplan hat der Landkreis Harburg für die Elbmarsch entwickelt. Bei den meist vorherrschenden westlichen Winden sei dies die am stärksten gefährdete Region, wenn es in Krümmel zu einem atomaren Unfall käme.

Die Sprecherin des Landkreises Lüneburg, Katrin Holzmann, sagt: "Alle Kräfte spielen in einem solchen Fall zusammen: Die Bevölkerung würde von ihrer Gemeinde per Sirene und Lautsprecherwagen, aber auch über Rundfunk, Internet und andere Medien alarmiert." Eine Evakuierung erfolge mit Bussen, Bahnen und privaten Autos. Die Polizei übernehme die Lenkung des Verkehrs. Holzmann: "Für Einrichtungen wie etwa das Klinikum gibt es eigene Evakuierungspläne. Alle Hilfsorganisationen und die Feuerwehr werden beteiligt und sind auf diese Aufgabe vorbereitet. Zudem werden Evakuierungen in regelmäßigen Abständen geübt."

Das größte Risiko aber geht nach Ungers Meinung derzeit von einem großflächigen, langfristigen und von Hackern verursachten Stromausfall aus. "Die Annahme, dass wir mehrere Tage in einer großräumig betroffenen Region ohne Strom auskämen, ist falsch. Wir gehen davon aus, dass wir nach spätestens 24 Stunden ein echtes Problem hätten." Denn in so einem Falle wird es nicht nur dunkel, sondern im übertragenen Sinne zappenduster. Ohne Strom, so Unger, laufe heutzutage nichts mehr - von der Klospülung und dem Wasserhahn, dem Herd und der Heizung zu Hause über die Supermarktkasse, den Bankautomaten und die Benzinpumpe an der Tankstelle bis hin zur Dialysemaschine sei alles auf Stromversorgung angewiesen. "Ich will ja gar nicht verlangen, dass jeder zu Hause einen Notfallgenerator hat", sagt Unger. Trotzdem wird deutlich: Eigentlich fände er das schon gut.

Dabei haben mindestens 80 Prozent der Deutschen, das haben Studien gezeigt, noch nicht einmal das Nötigste im Haus. Trinkwasser für mehrere Tage. Ungekühlt haltbare Essensvorräte, beispielsweise Konserven. Kerzen, Streichhölzer, Feuerzeuge. Und, ganz wichtig: ein Radio samt passender Batterien oder ein Kurbelradio, damit gewarnt und informiert werden kann. Denn Fernsehen, Internet und Telefone funktionieren ohne Strom nun einmal nicht oder nur über einen sehr begrenzten Zeitraum. "Die Sensibilisierung der Bevölkerung für dieses Thema ist eine der zentralen Aufgaben", so Unger. Verantwortlich für die Aufklärung seien die Kommunen, "und die machen das mehr oder weniger engagiert". In Lüneburg etwa gibt es eine Informationsbroschüre, die an verschiedenen Stellen ausliegt.

Ebenfalls "noch viel zu tun" ist nach Aussage des BBK-Präsidenten bei der Optimierung der Warnsysteme. "Die Sirenen wurden Mitte der 90er-Jahre großenteils abgeschafft. Telefon- und Handynetze, Fernsehen und Internet würden aber bei einem großflächigen Stromausfall in mehr oder weniger kurzer Zeit zusammenbrechen", so Christoph Unger. SMS an die betroffenen Einwohner zu schicken, wenn eine Giftwolke oder eine Flutwelle im Anmarsch ist, sei nicht möglich: "Denken Sie an Silvester. Da brechen alle Netze zusammen." Auch rechtlich seien Massen-SMS problematisch.

Um die Bevölkerung "aufzuwecken", geht das BBK deshalb neue Wege. "Es wäre technisch beispielsweise möglich, die Autohupen anzusteuern", so Unger. Auch spezielle Rauchbrandmelder, die extern aktiviert werden können, seien denkbar. Doch aufwecken reicht nicht mehr. Unger: "Die Menschen sind heutzutage so schlecht vorbereitet, dass man ihnen genau sagen muss: Nimm das Auto, fahr auf die B 4. Und zwar Richtung Süden, nach Uelzen, und nicht nach Norden." Wichtigstes Medium für solch gefahrenbezogene Verhaltensregeln ist das Radio, an Alternativen wird im BBK gearbeitet.

"Deutlich verbessert" ist laut Christoph Unger die Koordination der Hilfskräfte. Das Elbehochwasser 2002 habe gezeigt: Das größte Problem war die mangelnde Kommunikation unter den Helfern. Kein Wunder, "denn seit der Wende hatten wir über anderthalb Jahrzehnte nicht mehr geübt, über Ländergrenzen hinweg zusammenzuarbeiten." Seitdem gebe es deshalb regelmäßig große, länderübergreifende Übungen.

Auch in Lüneburg wird fleißig geübt - und zwar gemeinsam. Polizei, Feuerwehr und Sanitätskräfte würden regelmäßig den Ernstfall proben, sagt Harald Kreft, Geschäftsführer des Lüneburger ASB. So habe es gerade erst im vergangenen Jahr eine 36-Stunden-Übung in Sachen Stromausfall gegeben.

Ganz neu ist, dass künftig der Rettungsdienst in den Katastrophenschutz eingebunden wird. So gibt es mittlerweile bundesweit 61 "Medizinische Taskforces" (MTF), rund 100-köpfige Mannschaften mit diversen Fahrzeugen vom Rettungswagen bis hin zu Dekontaminationsfahrzeugen, die im Katastrophenfall kurzfristig ausrücken und vor Ort ein kleines Krankenhaus für bis zu 50 Patienten aufbauen können. Eine davon ist in Lüneburg stationiert und besteht aus Mitarbeitern des Lüneburger ASB und des Uelzener DRK. Finanziert werden Fahrzeuge, Geräte und die Ausbildung der Sanitäter vom Bund; die Fahrzeuge können von den jeweiligen Rettungskräften im alltäglichen Betrieb benutzt werden. Das Einsatzgebiet der Lüneburger MTF ist etwa das des ehemaligen Regierungsbezirks. Christoph Unger: "Wenn also auf der Elbe ein Kreuzfahrtschiff mit 3000 Personen an Bord in Brand gerät, würde die Lüneburger MTF dorthin marschieren können."

Damit das Ganze funktioniert, reicht gutes Equipment aber nicht aus. "Wir brauchen mehr Ehrenamtliche", sagt Harald Kreft vom ASB. "Und zwar sowohl unausgebildete Helfer als auch vor allem qualifizierte." Dazu brauche es Zeit und Motivation - allein die Grundausbildung zum Sanitäter dauert drei Monate, wenn sie in Vollzeit absolviert wird. Eine berufsbegleitende Ausbildung ist ebenfalls möglich. Der Einsatz beim ASB erfolge dann "schonend und individuell". Kreft: "Es muss niemand Angst haben, ins kalte Wasser geschmissen zu werden. Jeder wird entsprechend seiner Fähigkeiten und Interessen eingearbeitet und eingesetzt."

Wer sich für eine ehrenamtliche Tätigkeit beim ASB interessiert, kann sich entweder im Internet auf www.asb-lueneburg.de oder telefonisch unter der Nummer 04131/208660 informieren.