36 Initiativen arbeiten im Stadtteil zusammen gegen Armut und Ausgrenzung. Drei Menschen begründen ihr Engagement

Wilhelmsburg. 36 verschiedene Initiativen arbeiten in Wilhelmsburg zusammen, um Einfluss auf die Entwicklung im Stadtteil zu nehmen. Sie möchten mitreden, bevor über sie entschieden wird. Als fest geknüpftes Netzwerk hofft die Wilhelmsburger Bürgerbewegung, ein ernst zu nehmender Faktor zu sein. Das Abendblatt stellt drei engagierte Menschen von der Elbinsel vor. Sie sagen, warum sie sich einmischen - und was ihnen Sorgen macht.

Bettina Kiehn knüpft. Die Vorstandsvorsitzende der Stiftung Bürgerhaus Wilhelmsburg knotet das Netz der Aktivisten auf der Elbinsel so eng zusammen, dass niemand an der Bürgerbewegung vorbeikommt. "Wir wollen optimale Rahmenbedingungen schaffen für Engagement", erklärt die 46-Jährige die aktive Rolle des Bürgerhauses bei der Selbstorganisation der Elbinselbewohner.

Die Internationale Bauausstellung und die Internationale Gartenschau im kommenden Jahr in Wilhelmsburg verändern den Stadtteil in kürzester Zeit gewaltig. Das sei Stadtentwicklung im Zeitraffer, sagt Bettina Kiehn. "Was hier in sieben Jahren passiert ist, ereignet sich normalerweise im Laufe einer Generation." Bei den großen Umwälzungsprozessen im Stadtteil redet Kiehn mit. Sie ist eine von drei Sprechern des gemeinsamen Bürgerbeteilungsgremiums der Bauausstellung und Gartenschau.

"Meine Sorge ist, dass Armutsbekämpfung mit Statistik betrieben wird", sagt die Betriebswirtin. Soll heißen: Teurer Wohnraum wird gebaut, das Einkommensniveau im Stadtteil erhöht und vorhandene Armut dadurch statistisch verschleiert. Kiehn will sich einmischen, damit das nicht geschieht. Nur Gebäude und Parks zu bauen, reiche nicht aus. Ohne gleichzeitige Entwicklung von Bildung, Arbeit und Kultur, mahnt sie, gehe nichts.

Kaffee oder Tee? Serdar Bozkurt wählt das koffeinhaltige Heißgetränk. Mit Milch und Zucker - so, wie es die meisten Deutschen mögen. "Daran können Sie sehen, wie gut integriert ich bin", scherzt der Vorsitzende des Türkischen Elternbundes Wilhelmsburg. Der Verein ist ein wichtiges Sprachrohr der türkischen Bevölkerung im Stadtteil.

Serdar Bozkurt und seine Mitstreiter vermitteln zwischen Eltern und Lehrern, wenn Kinder aus Migrantenfamilien Probleme in der Schule haben. Sie organisieren Nachhilfe, manchmal dolmetschen sie auch. Die Übersetzertätigkeit im Elternbund sei weniger geworden, sagt der 55-Jährige. Mittlerweile lebe die dritte und vierte Generation türkischer Menschen in Wilhelmsburg, die sehr gut Deutsch spreche.

Jeder dritte Einwohner Wilhelmsburgs ist ein Migrant. Die Elbinsel sei ein besonderer Stadtteil, sagt Bozkurt. Die Freundschaft zu den übrigen Einwohnern ziehe den Türkischen Elternbund mit ins Boot, erklärt der Türkischlehrer an der Schule Fährstraße, warum der Verein sich auch öffentlich einmischt. "Wer draußen bleibt, kann auch nicht mitreden", plädiert er für Bürgerbeteiligung.

Die Bedeutung des Mitredens nimmt in dem Stadtteil zu. Früher sei das Wohnen in Wilhelmsburg preisgünstig gewesen. "Heute", sagt Bozkurt, "haben die Migranten Angst, dass mit der Internationalen Bauausstellung die Mieten steigen."

Die Bürgerbewegung in Wilhelmsburg hat sogar ihre eigene Zeitung. Das selbst verwaltete Non-Profit-Blatt "Inselrundblick", rechtlich ein Verein, erscheint einmal im Monat mit bis zu 8000 Exemplaren. Die Aufgabe einer Chefin vom Dienst übernimmt eine Woche pro Monat die freie Journalistin, Texterin und Volkskundlerin Sigrun Clausen. Die Hierarchie einer klassischen Redaktion, betont die 41-Jährige, kenne der "Inselrundblick" aber nicht: "Wir pflegen den herrschaftsfreien Diskurs", sagt sie.

Zwischen sechs und zehn Stunden Arbeit pro Woche steckt Sigrun Clausen ehrenamtlich in das Sprachrohr der Bürgerwegung. "Ich hänge an dieser Zeitung", sagt sie. Weil jeder Einwohner, jeder Verein auf der Elbinsel darin publizieren dürfe und die Schwerpunkte selbst setze. Der "Inselrundblick" sei die Zeitung von vielen für alle.

Skeptisch beobachtet die Journalistin, wie die Internationale Bauausstellung (IBA) Hamburg ihre Nachbarschaft verändert. Die IBA sei mit dem Anspruch angetreten, eine Stadtentwicklung zu initiieren, die sozial förderlich sei. "Dass die IBA das anpackt", sagt Sigrun Clausen, "hat sich noch nicht gezeigt." Wenn sie aus ihrem Büro aus dem Fenster schaut, blickt sie auf die Essensausgabe der Wilhelmsburger Tafel. Arbeitslose, Geringverdiener und Rentner erhalten hier für zwei Euro eine Mahlzeit. Die Schlange wartender Menschen, so ihr Eindruck, sei im Vergleich zu früher eher etwas länger geworden. Deshalb mischt Sigrun Clausen sich ein. Immer auch dann, wenn ein Baum in ihrem Stadtteil fällt. Naturzerstörung, sagt sie, sei auf der Elbinsel ein großes und schlimmes Thema.