Harburger Polizeipräsident musste am 4. Oktober 1932 gehen - er war Sozialdemokrat. Absetzung war Teil des sogenannten Preußenschlags.

Harburg. Heute vor 80 Jahren wurde der Polizeipräsident der Stadt Harburg-Wilhelmburg, Erich Wentker, seines Amtes enthoben. Die Absetzung des sozialdemokratischen Behördenleiters war Teil des sogenannten Preußenschlags. Mit diesem Staatsstreich, der mit einer Entlassungswelle weiterer Sozialdemokraten in Führungspositionen der Weimarer Republik einherging, deutete sich bereits im Jahr 1932 die spätere Machtergreifung der Nazis an. Im Freistaat Preußen, dem wichtigsten Land des Deutschen Reiches, hatte die NSDAP bereits die relative Mehrheit der Mandate erreicht. Da die Nazis aber keinen Koalitionspartner fanden, blieb die SPD-geführte Landesregierung kommissarisch im Amt. Sie wurde dann aber dem damaligen konservativen Reichskanzler Franz von Papen, dem späteren Vizekanzler im Kabinett Adolf Hitlers, unterstellt.

Welche Auswirkungen die Vorgänge im Berlin des Jahres 1932 für die Polizeiführung im Hamburger Süden hatte, hat der Historiker und Urenkel des abgesetzten Polizeipräsidenten Erich Wentker, Marcus Herrberger, in einem 25-seitigen Beitrag eines Buches über die norddeutsche Heimatgeschichte dargestellt. Der 1890 geborene Wentker gerät demnach schon im Jahr 1914 als Volksschullehrer mehrfach in Konflikt mit den konservativen und aus seiner Sicht rückständigen Ansichten der Schulbehörde. Nach seinem Kriegsdienst beginnt er, sich kommunalpolitisch für die SPD zu engagieren. Mit 29 Jahren wird er Stadtverordnetenvorsteher im damals zu Preußen gehörenden Wandsbek.

Auch Harburg und Wilhelmsburg gehörten zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu Hamburg. In der neu entstandenen Großstadt der zwei zusammengelegten Städte südlich der Norderelbe übernimmt Wentker im Januar 1927 nach einem Mandat als Abgeordneter des Provinziallandtages in Kiel und Tätigkeit als Leiter der Polizei in Altona zunächst kommissarisch das staatliche Polizeipräsidium an der Nöldekestraße 17 - noch bis vor wenigen Jahren Standort des Hamburger Polizeikommissariats 45.

Wentkers Behörde war nicht nur für die Sicherheit im Stadt- und Landkreis Harburg-Wilhelmburg mit mehr als 100.000 Einwohnern verantwortlich. Ihr Zuständigkeitsbereich umfasste eine neue Landeskriminalpolizeistelle, die unter anderem auch für die Landkreise Lüneburg, Bleckede und Winsen zuständig war. Die Zusammenarbeit zwischen der großstädtischen Behörde und den ländlichen Polizeiposten funktionierte allerdings nicht immer reibungslos.

Probleme machten teilweise auch die politischen Einstellungen der Beamten. Insbesondere die Polizeioffiziere waren nicht durchweg Unterstützer des republikanischen Einheitsstaates der Weimarer Republik. Um mehr demokratisch gesinnte Personen in die höheren Ebenen zu berufen, wurden Quereinsteiger, oft mit sozialdemokratischem Parteibuch, für die Polizeiverwaltungen angeworben. Neben der allgemeinen Polizeiarbeit beschäftigte die Harburger Beamten vor allem das Erstarken rechts- und linksradikaler Bewegungen in der Region.

In Lüneburg gab es im August und September 1929 Sprengstoffanschläge auf ein Regierungsgebäude und auf das Haus des jüdischen Rechtsanwalts Dr. Emil Strauß. Einige der rechtsextremistischen Bombenattentäter wurden gefasst und vor Gericht gestellt. Zwei Jahre später gab es dann eine blutige Massenschlägerei vor dem Harburger Gewerkschaftshaus.

Höhepunkt der gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen linken und rechten Gruppen war aber der sogenannte Altonaer Blutsonntag mit 18 Todesopfern am 17. Juli 1932. Ausgerechnet, weil die Nazi-Schläger der SA so brutal vorgegangen waren, mussten die sozialdemokratischen Polizeipräsidenten in Preußen wegen unterstellter Unfähigkeit nach einem Erlass des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg ihren Hut nehmen.

Der sogenannte Preußenschlag führte auch zur Entlassung Erich Wentkers zweieinhalb Monate nach dem Vorfall. Sein späterer Nachfolger in Harburg wurde der Marineoffizier Carl Christiansen, dessen älterer Bruder Friedrich Christiansen ein Fliegerkamerad des damaligen preußischen Innenministers Hermann Göring war. Verbände von SA und SS, die Wentker noch wenige Monate vorher überwachen ließ, zogen unter Christiansens Kommando als Hilfspolizisten in die damalige Polizeikaserne am Harburger Schwarzenberg ein.

Spätestens zwei Jahre später, als der SS-Führer Albert Stange Polizeipräsident von Harburg-Wilhelmsburg wurde, entwickelte sich die Wache an der Nöldekestraße zur Schaltstelle für Verfolgung und Repression in Harburg. Eine Gedenktafel erinnert an Harburger Sinti und Roma, deren Verfolgung und Deportation von diesem Gebäude aus betrieben wurde.

An eines der ersten Opfer der Gleichschaltungspolitik, die bereits vor der Machtergreifung Adolf Hitlers begann, erinnert nichts. Auch an Erich Wentkers letzter Wirkungsstätte gibt es keinen Gedenkort. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er Landrat in Celle. Später übernahm er die Stelle des Oberkreisdirektors für den Landkreis Celle, bevor er im Herbst 1947 starb.