Beim Leuphana Energieforum 2012 fordern Forscher eine Energiewende im Kleinen statt von oben diktiert. Gebäude-Energie-Gesetz gefordert.

Lüneburg. Die Energiewende hat sich die Bundesregierung bekanntermaßen auf die Fahnen geschrieben. Doch Wissenschaftlern gehen die Gesetze aus Berlin dazu nicht weit genug. Wie die Energiewende im Kleinen, also auf regionaler Ebene, möglich wäre, darüber haben jetzt 260 Teilnehmer der Konferenz Leuphana Energieforum 2012 in Lüneburg debattiert.

Blockheizkraftwerke versus Atomkraftwerke, wenige Windräder auf dem Land versus Offshore-Windparks auf dem Meer, dezentrale versus zentrale Energieproduktion: Anlässlich der Lüneburger Tagung haben Wissenschaftler aus Berlin, Potsdam und Lüneburg eine neue Gesetzgebung über den Anteil von zentraler und dezentraler Energieproduktion gefordert.

Dabei prophezeit der Kommentator des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) der aktuellen Gesetzgebung keine lange Lebensdauer. "Das EEG läuft sich gesetzgeberisch tot", sagte Prof. Thomas Schomerus. Der Jurist ist der wissenschaftliche Leiter des Forums, das Wissenschaft, Wirtschaft und Politik verknüpfen will. Dabei gehe es den Wissenschaftlern nicht darum, zentrale und dezentrale Konzepte "gegeneinander auszuspielen", sagte Prof. Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. "Wir wollen ein kluges Marktdesign schaffen, das Angebot und Nachfrage einbezieht." Gleichzeitig brauche es finanziell attraktive Möglichkeiten für dezentrale Kraftwerke - sprich Fördermittel. "Die permanente Forderung der Abschaffung des EEG ist nicht förderlich. Aber ich habe mehr Vertrauen in den dezentralen Ausbau als in die Energiewende von oben."

Dabei sei die Wissenschaft in der Pflicht, einerseits Wissen darüber zu schaffen, welche Effekte die Energiewende mit sich bringt und andererseits dieses Wissen zu transferieren, sagte Dr. Kathrin Goldammer, Leiterin des Institute for Advanced Sustainability Studies in Potsdam. "Damit ließe sich das Maß an Beteiligung und Akzeptanz steigern."

Dafür sind nach Meinung des Vorstandsvorsitzenden der Naturstrom AG, Dr. Thomas E. Banning, Bürgerbeteiligungsmodelle notwendig wie etwa Genossenschaften. "Es ist wichtig, dass die Menschen vor Ort Kristallisationspunkte haben." Daher habe sich die Aktiengesellschaft beispielsweise an der ersten Photovoltaikanlage der Lüneburger "Zukunftsgenossen" beteiligt, einer regionalen Initiative, die mit den Einlagen der Mitglieder sowohl kommunale als auch private Anlagen erneuerbarer Energien bauen will. Banning nennt Großkraftwerke in Zukunft "nicht mehr zwingend nötig", und Professor Schomerus geht noch einen Schritt weiter. "Wenn die technischen Möglichkeiten ausgereift sind, brauchen wir kein Netz mehr. Wir werden unabhängig vom Netz sein."

Da der Professor für Energie- und Umweltrecht überzeugt davon ist, dass die Energie nicht aus den oberen Etagen der Politik oder gar Energiekonzerne kommen wird, will Schomerus die Distanz zwischen Erzeugung und Verbrauch verringern. "Das gilt für die räumliche ebenso wie die mentale Distanz", sagte der Jurist. Bürger sollen selbst Energie erzeugen anstatt vom "Strom aus der Steckdose" auszugehen. Eine Art "Energiegraswurzelrevolution" schwebt dem Lüneburger Professor vor, die seiner Einschätzung nach am Ende den Tod der großen Energiekonzerne bedeuten wird.

"Wenn wir auf regionale Konzepte setzen, der Strom also dort produziert wird, wo er verbraucht wird, brauchen wir viele Übertragungsnetze gar nicht mehr." Problem dabei ist nach wie vor die ungelöste Frage der lokalen Speicherung von erzeugter Energie - dass der Besitzer einer Photovoltaikanlage seine Geräte nicht allein mit den Kollektoren auf seinem Dach betreiben kann. Dass Windräder daher still stehen, weil der Strom nicht abtransportiert werden kann.

Dabei sei die sogenannte Netzparität bei Haushalts-Sonnenstrom bereits gegeben, sagte Schomerus: "Photovoltaikstrom ist mittlerweile genauso teuer wie der aus der Steckdose." Als Wissenschaftler vertrete er weder Wirtschaft noch Politik, seine Einschätzung macht der Kommentator des EEG daher ohne Umschweife deutlich: "Die großen Konzerne setzen mittlerweile zwar auch auf Erneuerbare, allerdings zentral und groß. Das geht aber alles viel kleiner."

Doch auch jeder Einzelne sei immer wieder gefragt, wenn es um die Energiewende geht, machte der Professor deutlich. "Der Gesamtverbrauch an Strom wird nicht geringer." Und beim Thema Strom endet das Thema Energie nicht. Schomerus forderte daher nicht nur eine veränderte Gesetzeslage zur dezentralen Energieproduktion, sondern auch zur energetischen Sanierung von Häusern, eine Art Gebäude-Energie-Gesetz. Damit die Eigentümer mehr Fördermittel als bisher erhalten. "Das Problem der energetischen Sanierung der 99 Prozent Bestandsbauten bekommen wir wegen der hohen Kosten für den Einzelnen sonst nicht in den Griff. Und es ist viel größer als das Strom-Problem." Und am liebsten sofort würde der Jurist nur zu gern mal eben ein Gesetz formulieren, das Tempo 120 auf Autobahnen vorschreibt: "Das wäre puppeneinfach." Ganz im Gegensatz zum EEG, so Schomerus: "Ein normaler Mensch kann dieses Gesetz überhaupt nicht mehr verstehen."