Viele Firmengründerinnen entdecken die Elbinsel für sich. Großveranstaltungen wie die igs und IBA versprechen gute Geschäfte.

Wilhelmsburg. Eigentlich will Sengül Bulut nicht mehr darüber sprechen. Sie ist es leid, etwas zu erklären, das aus ihrer Sicht etwas ganz Normales ist: ein Café zu eröffnen. Doch in Wilhelmsburg ist Sengül Bulut so etwas wie eine Pionierin. Sie hatte vor vier Jahren das Café Kaffeeliebe an der Fährstraße eröffnet, in dem es Latte macchiato, Fritz-Cola und Rhabarberschorle gibt, und in dem die Gäste auf Blümchensofa vor grünen und lilafarbenen Wänden sitzen. Es ist ein Café, das damals typisch war für Ottensen, aber nicht für Wilhelmsburg, wo sich Wettbüros und Kioske aneinander reihen und der Ausländeranteil 57 Prozent beträgt.

Doch inzwischen ist Kaffeeliebe auch nicht mehr das einzige seiner Art. Es gibt Mittenmang und Blaues Gold und viele andere neue Geschäfte. Wer sein Unternehmerglück sucht, geht offenbar nach Wilhelmsburg. Auffallend ist: Immer mehr Frauen tun das. Vor fünf Jahren lag der Anteil der Frauen, die sich beim Verein "Unternehmer ohne Grenzen" über Existenzgründungen auf der Elbinsel erkundigten, noch bei 27 Prozent. Im vergangenen Jahr ist ihr Anteil bereits auf 44 Prozent gestiegen. "Und die Frauen sind oft erfolgreicher als manche Männer", sagt Loreto Pizzileo, Existenzgründungs- und Betriebswirtschaftsberater bei dem Verein. Pizzileo führt in dem Zusammenhang den Bericht über das Kleinstkreditprogramm der Hamburger Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) an. Danach lag der Anteil der bewilligten Kredite bei den Frauen im Jahr 2010 bei 44 Prozent, während die Bewilligungsquote bei den Männern lediglich 38 Prozent betrug. "Die Frauen sind in ihrem Gründungsvorhaben besser vorbereitet", sagt Pizzileo. Das deckt sich mit seinen Erfahrungen aus seinen Beratungsgesprächen in Wilhelmsburg. "Frauen geben im Vergleich zu Männern ihre Unwissenheit eher zu. Sie sind besser vorbereitet. Sie sind vorsichtiger, und sie lassen sich beraten."

Ratschläge von Wilhelmsburgern wie Loreto Pizzileo anzunehmen, kann Gold wert sein. Denn aus Angst davor, dass künftig Yuppies den Stadtteil für sich entdecken, begegnen die Bewohner der Elbinsel Zugezogenen aus Bereichen nördlich der Elbe nicht selten mit Argwohn.

Von der Sorge, dass Wilhelmsburg das gleiche Schicksal erleiden wird wie die teuren Szeneviertel Ottensen und Schanze, zeugt allein das Graffiti an einer Hauswand am Vogelhüttendeich, auf dem Bud Spencer und Terence Hill abgebildet sind. Darunter steht der Spruch "Vier Fäuste gegen Gentrifizierung".

+++ Wilhelmsburg bekommt eine Schwebebahn +++

Menschen wie die Cafébetreiberin Sengül Bulut, die aus Ottensen kam und in Wilhelmsburg ihren Traum vom eigenen Café endlich erfüllen konnte, weil hier die Miete um ein Vielfaches günstiger ist, waren bisher offenbar so etwas wie ein Sinnbild der Gentrifizierung für einige Wilhelmsburger. Zumindest musste die Cafébetreiberin feststellen, dass Wilhelmsburg alles andere als ein einfaches Pflaster ist. "Viele haben über zu hohe Preise gemäkelt und meinen Laden boykottiert. Dabei gehöre ich ja nicht mal einer Kette an", sagt die 35-Jährige. Aber sie hat nicht aufgegeben, und wenn man so will, denjenigen, die jetzt nachziehen, das Terrain bereitet.

Christiane Röll, die Anfang des Jahres das Café Blaues Gold an der Mokrystraße eröffnet hat, kann jedenfalls von keinerlei Ressentiments berichten. Die meisten ihrer Kunden arbeiten im Stadtteil und räumen sogar ihr Geschirr selbst ab. "Ich mag die Leute hier. Sie sind unkompliziert", sagt sie. Nachdem die 31-Jährige die Küchenleitung der Altonaer Produktionsschule aufgegeben hat, war sie im Wilhelmsburger Industriegebiet auf der Suche nach einer größeren Küche für ihre eigene Cateringfirma, stieß dann aber auf den leer stehenden Raum an der Mokrystraße. Jetzt kombiniert sie Café mit Catering.

Die neue Gastronomie sei ein deutlicher Indikator für einen Imagewandel im Stadtteil, sagt Pizzileo. "Vor zwei Jahren waren es noch fast ausschließlich Migranten, die sich hier selbstständig machen wollten. Jetzt kommen mehr und mehr Deutsche zu uns."

Sie kommen, weil sie dank der IBA und der igs ein gutes Geschäft wittern. Denn die Architekten und Ingenieure, die die Bau- und Gartenausstellung in den Stadtteil schwemmt, können sich ein T-Shirt für 20 Euro und einen Mittagstisch für sieben Euro leisten. "Die Leute bringen ordentlich Geld mit und fragen auch teure Produkte wie etwa Bioobst nach", sagt Pizzileo.

Bei all den neuen Gesichtern im Stadtteil macht sich auch bei den alt eingesessenen Geschäftstreibenden gute Laune breit. Lucia Scarcelli, 58, Inhaberin des Salons Lucia, freut sich über ihr neues junges Publikum, nachdem ihre in die Jahre gekommene Stammkundschaft so langsam wegblieb. Auch Stephanie Erberk, die ihr ganzes Leben in Wilhelmsburg verbracht hat, freut sich: "Jetzt muss man die Insel nicht mehr verlassen, um essen zu gehen oder Party zu machen." Doch die steigenden Mieten, die stören sie. Die seien schon längst kein neues Phänomen mehr im Stadtteil, sagt sie.

Und weil die 35-Jährige weiß, dass sich so viele Menschen diesem Stadtteil zuwenden, will sie zeigen, wie Wilhelmsburg wirklich ist. Fernab jeglicher Klischees. Zusammen mit Sanja Buljan, 36, hat sie dafür schon das neue Unternehmen "Elbinselguide" gegründet. Die Frauen wollen im nächsten Jahr durchstarten und Besuchern den Charme des Stadtteils näherbringen. "Denn Willytown ist definitiv ein Dorf. Daran hat sich Gott sei Dank nichts geändert", sagt Stephanie Erberk. Und wie in einem Dorf wollen die Wilhelmsburger auch behandelt werden. Arroganz wird bestraft. "Wer als Zugezogener die Nase zu hoch hält", sagt Gründungsberater Pizzileo, "und meint, den Wilhelmsburgern sagen zu müssen, wo der Hase lang läuft, wird hier nicht überleben."