629 Frauen und Männer lassen sich in Tostedt typisieren. Anlass war das traurige Schicksal einer Schülerin, die unter Aplastischer Anämie litt.

Tostedt. Spritzen mag sie nicht. Trotzdem geht Maria Lewitzki, 27, aus Tostedt regelmäßig zum Blutspenden. Sie guckt weg, wenn die Arzthelferin die Nadel in die Vene sticht. Aber sie denkt, ich mache es ja für einen guten Zweck - ihr Blut kann Leben retten!

Deshalb kommt Maria Lewitzki an diesem Sonnabendvormittag auch in die Erich-Kästner-Realschule in Tostedt. Hier muss sie nicht Blut spenden. An diesem Tag wird ihr die Arzthelferin Silke Lachmann, 49, aus Heidenau nur fünf Milliliter davon abnehmen.

In der Schule läuft an diesem Tag eine große Typisierungsaktion der Deutschen Knochenmarkspenderdatei (DKMS). 629 Frauen und Männer im Alter von 17 bis 55 Jahren lassen sich letztlich etwas Blut abnehmen. Die Proben kommen in ein Labor nach Dresden. Dort bestimmen Fachleute die Gewebemerkmale. Sie werden in das Zentrale Knochenmarkregister Deutschland (ZKRD) in Ulm eingespeichert. Einem kranken Menschen kann dieser Datensatz das Leben retten. Wenn die Gewebemerkmale übereinstimmen, wird dem Stammzellenspender Blut abgenommen oder Knochenmark aus dem Beckenkamm entnommen.

Maria Lewitzki möchte schwer kranken Menschen helfen. Die hat selbst eine Tochter, Hannah, acht Monate alt. Das Schicksal eines Mädchens, das die Erich-Kästner-Realschule besuchte, hat sie ergriffen. Deswegen ist sie heute mit ihrem Mann Remo, 35, hier. Es ist das Schicksal von Miriam aus Otter. Sie wurde nur 14 Jahre alt. Miriam litt unter Aplastischer Anämie, einer lebensgefährlichen Erkrankung des blutbildenden Systems. Mit einer Häufigkeit von zwei bis drei Erkrankungen auf einer Million Personen ist die Aplastische Anämie so selten, dass die meisten Mediziner nie mit ihr zu tun haben. Miriam fand schnell einen passenden Spender. Aber ihr Körper war schon sehr geschwächt. Die letzten Wochen ihres Lebens verbrachte Miriam auf der Intensivstation. Sie starb am 24. Juli.

Sechs Frauen und Männer aus dem Landkreis Harburg hat das Schicksal von Miriam besonders bewegt. Sie haben die Typisierungsaktion in Tostedt angeschoben. Auch Miriams Eltern stehen dahinter: "Wir sind sicher, dass es in Miriams Sinn wäre, diese Aktion zu unterstützen."

Gabriele Schwenke, 56, gehört zu den sechs Organisatoren. Sie ist Erzieherin im Kindergarten Otter, wo sie eine Trommelgruppe leitet. Auch Miriam hat dort vier Jahre lang getrommelt - Gabriele Schwenke war ihre Erzieherin. Die Mütter in der Trommelgruppe sagten sich: "Warum machen wir es nicht wie in Holm-Seppensen?" Dort lief im Mai eine Typisierungsaktion.

"Miriam", sagt Gabriele Schwenke, "war ein besonderes Mädchen, ein tolles Mädchen. Sie war lebendig, immer fröhlich und hat immer Spaß gehabt. Sie war immer voll in der Gruppe dabei."

Miriam war eine leidenschaftliche Reiterin. Mit ihrem Wallach Linaro ritt sie im Reit- und Fahrverein Tostedt und Umgebung. Vereinsvorstand Heidi Zemplin, 49, kannte sie sehr gut: "Miriam war sehr temperamentvoll und experimentierfreudig. Sie hat in der Reithalle nicht nur ernsten Dressurunterricht gemacht, sondern auch Cowboy und Indianer gespielt. Sie ist auch ohne Sattel mit viel Spaß geritten."

Mit einem Reitunfall begann Miriams Leidensweg. Mitte März ritt sie mit einer Freundin aus. Auf dem Weg durch die Feldmark verloren die Mädchen die Kontrolle über die Pferde und wurden abgeworfen. Miriams Freundin erlitt eine schwere Gehirnerschütterung. Sie selbst wurde bewusstlos aufgefunden und ins künstliche Koma versetzt. Als es Miriam Wochen später schon wieder etwas besser ging, entdeckten Ärzte die Aplastische Anämie.

Miriams Klassenlehrer Marten Hohls, 31, und ihre Englisch-Lehrerin Stephanie McGauran, 42, sagen: "Es lag Miriams Eltern am Herzen, das diese Aktion durchgeführt wird, damit ihr Tod einen Sinn hat und man etwas Positives erreichen kann. Diese Aktion wäre auch ganz im Sinne Miriams gewesen." Beide Lehrer sind stolz, dass knapp 26 000 Euro Spenden zusammengekommen sind, allein 17 000 Euro durch einen Sponsorenlauf der Schüler.

Auch 13 Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr Neu Wulmstorf kommen an diesem Tag in die Erich-Kästner-Realschule. "Sonst fahren wir mit Blaulicht und Martinshorn zum Einsatz", sagt Ortsbrandmeister Frank Schulze, 49, "heute können wir Menschenleben retten, ohne zu einem klassischen Einsatz zu fahren." 100 Helfer - Einweiser, Schreiber und Blutabnehmer - sind in der Schule im Einsatz. "Eine Welle der Hilfsbereitschaft ist auf uns eingebrochen", resümiert Marten Hohls. "Das zeigt, wie viel Power in einer Gemeinde wie Tostedt steckt."

Auch Tamara Mecklenburg, 45, aus Handeloh gehört zu den Helfern. Sie fühlt mit Miriams Eltern, sie hat selbst zwei Kinder auf der Realschule. "Jeden kann diese Krankheit treffen, niemand ist davor gefeit", sagt die Einzelhandelskauffrau. In das Kondolenzbuch für Miriam schreibt sie: "Ich wünsche ihnen von ganzen Herzen Kraft und Energie, um mit dem tragischen Verlust ihrer Tochter weiterleben zu können."