Szenen aus “Schwarzwaldklinik“ und “Absolute Giganten“ entstanden auf der Elbinsel. Kulturtour mit dem Fahrrad zu zahlreichen Drehorten.

Wilhelmsburg. Wo hat Klausjürgen Wussow als Doktor der Nation Fernsehgeschichte geschrieben? Wo sprangen Nicolette Krebitz und Jasmin Tabatabai als Gängsterbräute von der Brücke? Und wo ist der Komponist geboren, der Deutschlands Beitrag zum Eurovision Song Contest 2009 produziert hat? Ein Ort beantwortet alle Fragen: Wilhelmsburg lautet die Lösung!

Die Elbinsel hat bei den meisten Hamburgern noch einen eher zweifelhaften Ruf als schmuddeliger Hafenstadtteil. Der Filmbranche dagegen dient sie als beliebte Kulisse. Regisseure verlegten die Nordsee und sogar den Schwarzwald dorthin. Im Film steht Wilhelmsburg für ganz Hamburg oder auch den glitzernden Stadtteil St. Pauli.

Marco Antonio Reyes Loredo hat sich auf die Spuren der glamourösen Film-Vita Wilhelmsburgs gemacht. Der Kulturschaffende, bereits zweimal Anwärter auf den Grimme-Preis, ließ ausnahmsweise mal nicht sein Heim für die "Konspirativen Küchenkonzerte" verwüsten, sondern führte 30 Männer und Frauen bei einer Radtour zu den Dreh- und Musikorten auf der mehr als 35 Quadratkilometer großen Elbinsel.

Gras sprießt spärlich aus dem Sand. Die Natur wirkt unentschieden, nicht Sandstrand, nicht Wiese. Trist wirkt hier das Elbufer, von Containertürmen umgeben auf der Südseite ganz in der Nähe des Alten Elbtunnels. Wäre da nicht die prächtige Aussicht auf die Schokoladenseite Hamburgs, die St.-Pauli-Landungsbrücken, den Michel.

Cineasten bekommen hier aber nicht wegen des Panoramas glänzende Augen. Der schnöde Uferabschnitt ist ihnen Kultur- und Kultort zugleich. Denn hier mitten in der Hafenwirtschaft spielte die Schlussszene des wohl schönsten Hamburg-Films: "Absolute Giganten". Mit der rührend-rauen Hamburg-Hymne und Kumpel-Dramödie aus dem Jahr 1999 machten die Schauspieler Frank Giering ("Tatort", "Polizeiruf 110"), Florian Lukas ("Good Bye Lenin") und Julia Hummer ("Die innere Sicherheit", "Tatort") auf sich aufmerksam.

Nur einige Hundert Meter weiter eröffnet sich ein prächtiger Blick auf die Köhlbrandbrücke. In dem Kinofilm "Bandits" inszenierte Regisseurin Katja von Garnier einen Sprung von dem mächtigen Hafenbauwerk mit prominenten deutschen Schauspielerinnen. Nicolette Krebitz und Jasmin Tabatabai spielten die Gängsterbräute Angel und Luna, die keine andere Möglichkeit zur Flucht sehen, als sich in die Tiefe zu stürzen. Weiter geht's auf den Spuren der Kultorte: Raus aus dem Hafen, hinein in das urbane Wilhelmsburg. In der kleinen Künstlerkolonie am Puhsthof hat nicht nur die Band Tocotronic geprobt und "Hamburger Schule" gemacht. Nein, hier an einem Türmchen befindet sich auch Wilhelmsburgs prominentester Balkon.

Der eher schlichte Stahlbau spielte in dem "Tatort"-Folge 545 "Sonne und Sturm" (2003) mit Maria Furtwängler als Kommissarin Charlotte Lindholm mit. Um einen dramatischen Balkonsturz zu inszenieren, erzählt Marco Antonio Reyes Loredo, ließ Regisseur Thomas Jauch den Balkon an die niedersächsische Nordseeküste verfrachten und an einen Leuchtturm schrauben. Wilhelmsburg importiert also auch Todeskulissen. Der Hamburger Hafenstadtteil war auch an einem der größten Kulissen-Bluffs der deutschen Fernsehgeschichte beteiligt: Das Studio Hamburg verlegte den Schwarzwald nach Wilhelmsburg und drehte die Innenaufnahmen der ZDF-Kultserie "Schwarzwaldklinik" im Krankenhaus der Elbinsel. Wenn bis zu 15 Millionen Menschen Klausjürgen Wussow als Professor Klaus Brinkmann beim Operieren zusahen, geschah dies in Wilhelmsburg. Nur ein kleiner Bluff dagegen ist das Restaurant "Soul Kitchen" aus dem gleichnamigen Film von Fatih Akin. Das Gebäude in der Industriestraße beheimatet zwar keinen Esstempel, existiert aber wirklich. Die marode Fabrikhalle ist heute ein alternativer Kulturort für Konzerte, Partys und Kunstausstellungen. Ihm droht der Abriss, weil er Lkw-Plätzen weichen soll.

"Baden verboten - Kontakt mit dem Wasser kann Gesundheitsstörungen verursachen" steht heute auf einem Schild am Veringkanal. Das Verletzliche ist dem Ort offenbar eigen: Vor einem Vierteljahrhundert drehte Hark Bohm an dieser Stelle und weiteren Orten Wilhelmsburgs das Filmdrama "Nordsee ist Mordsee". Das Feuilleton reihte die moderne Huckleberry-Finn-Story in eine "Welle der Jungfilmer" ein, die Werner Herzog oder Werner Fassbinder folgen könnten. Der Film machte auch Udo Lindenberg ein wenig populärer, er schrieb die Musik.

Auch als Musikort schreibt die Elbinsel schöne Geschichten: In einem ehemaligen Toilettenhäuschen am heutigen "Energiebunker" haben die WM-Song-Dichter Revolverheld einst geprobt. Der Musikproduzent und Komponist Alex Jörg Christensen ist in Wilhelmsburg geboren. In seiner Heimat schuf er einen der erfolgreichsten deutschen Techno-Hits: den Track "Das Boot" des Musikprojektes U 96. Am 16. Mai 2009 vertrat er gemeinsam mit dem Sänger Oscar Loya als das Duo "Alex Swings Oscar Sings" Deutschland beim Eurovision Song Contest in Moskau.

Vor dem Werfteingang von Blohm & Voss unweit des Alten Elbtunnels hat die Band Die Sterne im Jahr 1994 das Video zu ihrem Song "Universal Tellerwäscher" gedreht. Der Song gilt als der erste größere Erfolg der Band um Sänger Frank Spilker, die neben Tocotronic als wichtigster Vertreter der sogenannten "Hamburger Schule" gilt.

Warum Die Sterne ausgerechnet im tristen Hafengebot ihr Video aufgenommen haben? Auch dazu erzählt Marco Antonio Reyes Loredo ein schöne Geschichte: Ursprünglich hätten die Musiker am Bahnhof drehen wollen. Eine Gang im wilden Wilhelmsburg habe ihnen aber Prügel angedroht. Deshalb seien die späteren Botschafter deutscher Popkultur des Goethe-Instituts in eine unbewohnte Gegend ausgewichen.

Seine Kulturtour zu den Kultorten schließt Fernsehmann Reyes Loredo mit einem offenen Ende: Eine Wiederholung gibt es in diesem Jahr nicht - vielleicht aber im nächsten Jahr.