Auf der Deponie in Francop lagert mit Schadstoffen belasteter Elbschlick. Bald soll der Hügel als grüner Park Touristen und Anwohner einladen.

Am Rand des Weges steht ein Mann in weißem Ganzkörperschutzanzug, vor dem Gesicht eine Atemmaske, über der Schulter ein blauer Plastikschlauch - Kontrollmessung im Inneren des Schlickhügels in Francop. Hier, im Alten Land, wo seit Jahrzehnten im Frühjahr Obstbäume weiß und rosa erblühen und zahlreiche Ausflügler anlocken, wird seit Anfang der 90er-Jahre mit Schadstoffen belasteter Schlick aus der Elbe abgelagert.

Bauingenieur Christian Hoch von der Hamburg Port Authority (HPA) leitet die Deponie. Das sei richtig, meint der 43-Jährige - aber schöner klinge es, wenn er sage: "Ich schaffe ein Naherholungsgebiet." Denn die Schlickdeponie soll in wenigen Jahren, wenn sie an ihre Aufnahmegrenzen gelangt ist, zum öffentlichen Park werden. Die Umwandlung, die hier Botanisierung heißt, ist seit vielen Jahren im Gange.

Einer grünen Düne gleich erhebt sich der Hügel über die flache Landschaft. Die höchste der drei Kuppen misst 38 Meter. Auf dem bepflanzten Teil der Deponie wachsen dichte Sträucher, dazwischen wiegen sich kleine Birken im Wind und in den grünen Wiesen hat sich eine ganze Maulwurfssippe ausgetobt. Im Sommer bauten Kiebitze ihre Nester in der Wiese, erzählt Christian Hoch bei der Rundfahrt über den Hügel. "Wenn man sich ihnen nähert, veranstalten sie ein Mordsgezeter, um von den Nestern abzulenken. Wie bei Hitchcock." Dann bremst er ab, deutet hinter dichte Sträucher: "Da, ein Reh."

90 Prozent der Deponiefläche sind bereits bepflanzt. Doch erst wenn die gesamte Oberfläche des etwa 500 Meter langen Hügels verschlossen und begrünt ist, wird er für die Öffentlichkeit freigegeben. Eigentlich sollte es in diesem Jahr so weit sein. Doch die Suche nach einem Nachfolgestandort hat sich hingezogen, deshalb bleibt die Deponie länger in Betrieb. Fest steht: Naherholung für alle ist erst in einigen Jahren zugelassen.

+++ Die Stadtteilserie: Francop +++

Der vordere Teil der Deponie wird noch mit Schlick aufgefüllt. Vier bis sechs Millionen Kubikmeter Sedimente müssen im Hamburger Hafen jährlich aus der Elbe gebaggert werden, gut eine Million wird an Land gebracht, rund eine halbe Million bleibt nach der Entwässerung dauerhaft auf der Deponie. Zum Vergleich: Ein großer Müllcontainer fasst etwa einen Kubikmeter. In dem Schlick, der, einmal ausgebaggert, nicht zurück in den Fluss darf, haben sich Schadstoffe abgelagert, darunter Arsen und Schwermetalle wie Quecksilber, Chrom, Cadmium und Blei. Im menschlichen Körper können sie das Nervensystem angreifen, ungeborene Kinder schädigen oder krebserregend wirken. Sie wurden vor vielen Jahren viele Kilometer weiter östlich in den Strom geleitet, vor allem von Fabriken in Tschechien. Im Hamburger Hafen sammeln sich all diese Altlasten. Zwar wird die Elbe seit Anfang der 90er-Jahre immer sauberer, doch das alte Gift muss irgendwohin.

Auf der hafenabgewandten Seite grenzt die Deponie an Obstplantagen, in der Ferne sind Windräder zu sehen. Etwa 400 Meter sind es von hier bis zu den Häusern an der Francoper Durchgangsstraße. Dort wohnt Karl Tamke, geborener Francoper, gelernter Gärtnermeister und mittlerweile engagierter Rentner. 15 Jahre hat er das Bepflanzungsprojekt Schlickhügel geleitet. Dabei war er anfangs wenig begeistert von den Deponieplänen der Hafenbehörde. Viele Anwohner sahen das ähnlich.

"Es gab Konflikte", sagt Karl Tamke. Die Landwirtschaft machte sich Sorgen und der alteingesessene Pferdehof Domäne Blumensand wurde für die Hafenerweiterung abgerissen, an gleicher Stelle entstand der Schlickhügel. Mehrere Anwohner klagten dagegen. Noch heute stören sich einige Francoper daran, dass der Hügel die Sicht versperrt. Früher konnten sie über die flache Elblandschaft bis Finkenwerder sehen.

Auch Karl Tamke lehnte den Hügel zunächst ab. "Aber irgendwann habe ich eingesehen, dass eine begrünte Schlickdeponie besser ist als ein Logistikpark." So geht es mittlerweile vielen in Francop. Fortan setzte sich Tamke für den Erhalt der offenen Landschaft ein. Er hatte beschlossen, den Hügel zu einem Hügel für die Menschen zu machen.

Von seinem Haus aus ist es nur ein kurzer Spaziergang. Am Fuße des Hügels angekommen, versperrt ein Gittertor den Weg. Doch das kümmert Karl Tamke, einen groß gewachsenen Mann mit Wetterjacke, randloser Brille und sorgsam gekämmter Frisur, nicht. "Dann gehen wir eben unten rum", sagt der 64-Jährige, steigt eine Böschung hinunter und stapft durch den feuchten Erdboden an Apfelbäumen vorbei. Eine Wildwechselspur im Matsch zeigt: Die Rehe nehmen denselben Weg.

Karl Tamke überquert erst den Hakengraben - nicht ohne auf die Fische im klaren Wasser hinzuweisen - und dann die halb fertige Straße, die als Finkenwerder Ortsumgehung zwischen der Deponie und den Obstbäumen entsteht. Dann der inoffizielle, aber offenbar viel genutzte Eingang zum Hügel: ein niedergetretener Maschendrahtzaun, offen für jeden Besucher mit halbwegs festem Schuhwerk. Ohne zu zögern steigt Karl Tamke über die Drahtreste am Boden.

Bis zum Jahr 2010 - so dachte man noch vor zwölf Jahren - könnten Spaziergänger vom Francoper Hügel auf eine saubere Elbe blicken, der Schlamm könnte dann wieder landwirtschaftlich genutzt werden, statt aufwendig auf eine Deponie aufgetragen zu werden. Diese Prognose der Internationalen Kommission zum Schutz der Elbe hat sich nicht bewahrheitet. Mindestens bis 2025, so die Einschätzung heute, muss der ausgebaggerte Schlick sicher gelagert werden. Dass dafür eine neue Deponie gebaut werden muss, entfachte einen Standortstreit. Nun trifft es Moorburg. Der Stadtteil grenzt an Francop, wo vor 20 Jahren der erste Schlickhügel entstand.

Im Auftrag der Hafenbehörde machte sich Gärtnermeister Tamke damals daran, den Hügel auf dessen zweites Leben als Naherholungsgebiet vorzubereiten. Er erzählt von einer Reise nach Neuseeland, die unberührte Landschaft hat ihn tief beeindruck. Auf dem Weg hat er einen Stopp in Hongkong eingelegt, er wollte an den Hafen. Natur und Technik: Für Karl Tamke, dessen Familie zur Hälfte im Obstbau und zur anderen Hälfte in der Schifffahrt beschäftigt ist, ist das kein Widerspruch. Der Schlickhügel hat für ihn mehrere Gesichter. Es komme auf die Sichtweise an, sagt Karl Tamke. "Durch die ökologische Brille ist das natürlich eine dramatische Veränderung." Andererseits sei das hier Hafenerweiterungsgebiet.

Davon ist auf dem Hügel tatsächlich wenig zu spüren. In der Abenddämmerung watscheln zwei Gänse über die Wiese, unten an der Süderelbe schnattern ihre Artgenossen, vereinzelt gurren Tauben. Und plötzlich ein heiseres Bellen. "Ein Fuchs." Karl Tamke lächelt. So hat er sich das vorgestellt. Wenn jetzt noch der Kranich aus dem nahe gelegenen Moor vorbeifliegen oder wieder einmal mehrere Dutzend Gössel im Pulk über den Weg drängeln würden ...

Doch es taucht nur ein Schwarm Mücken auf, der eine Weile um Karl Tamkes Kopf schwirrt und erst wieder abzieht, als der sich nach einem Weidenstrauch bückt. Eigentlich müssten diese weichen Pioniergehölze langsam rausgenommen werden, um Platz für langlebige Harthölzer zu machen, meint er. Doch das ist nicht mehr seine Aufgabe, vor fünf Jahren ging er in Altersteilzeit und schloss beruflich mit dem Projekt Schlickhügel ab. Heute steht er als Privatmann zwischen Pyramidenpappeln, die wie italienische Zypressen den Weg an seiner schönsten Kurve säumen, und genießt den Blick über die Süderelbe und das Mühlenberger Loch bis nach Blankenese auf der anderen Seite des Flusses.

Unter der grünen Oberfläche steckt ein technisches Bauwerk. Es besteht aus mehreren Schichten: Fundament der Deponie ist das ebenfalls belastete Altspülfeld Blumensand. Damit dort kein Regenwasser eindringen und Schadstoffe rausspülen kann, wurde es mit einer Kunststoffbahn sowie einer 1,50 Meter dicken Lage Schlick abgedichtet. Auf eine Zwischendichtung folgen weitere Schlickschichten. Obenauf verhindert ein lehmiger Boden, dass die Wurzeln zu tief in das Bauwerk eindringen. Grundlage für die Pflanzen ist eine dicke Schicht Mutterboden. 30 Zentimeter dicke Pufferschichten aus Sand nehmen das Wasser auf, das mit der Zeit aus dem Schlick gepresst wird. Das Wasser, in dem sich die Schadstoffe lösen können, wird in eine Art Klärbecken geleitet. Es muss gründlich gereinigt werden, bevor es wieder zu Elbwasser werden darf.

In der Kurve am Ende der Deponie bringt Christian Hoch den Wagen neben den Pyramidenpappeln zum Stehen und steigt aus. Wind zerzaust ihm die Haare, Nieselregen benetzt seinen Pullover, er zieht den Zippkragen hoch. In der Ferne ist der Hafen zu sehen und schemenhaft der Kran einer Werft. Das sei der schönste Aussichtspunkt, sagt Christian Hoch. "Es ist so idyllisch hier." Auf der anderen Uferseite steht ein verziertes Fachwerkhaus, daneben ein etwas bescheideneres weißes Haus mit Bootsanleger. Vor einiger Zeit sei es versteigert worden, sagt Christian Hoch. "Traumhaft." Aber er habe zu lange gezögert. Der Bauingenieur glaubt, dass der einstige Graben zwischen Ort und Deponie überwunden ist. Immer wieder fragten Jogger, wann sie auf dem Hügel ihre Runden drehen dürften. Christian Hoch bittet dann um ein paar Jahre Geduld.

Gärtnermeister Karl Tamke hat erreicht, dass die Deponie so grün wie möglich wird. Doch ein Naturschutzgebiet - wie die angrenzende Süderelbe - soll sein Hügel möglichst nicht werden. Zu viele Vorgaben hätte das zur Folge. Für den Obstbau natürlich, aber auch für die Ausflügler, mit denen er fest rechnet. Stände der Hügel unter Schutz, könnte das Karl Tamkes eigentliches Ziel erschweren: die Annäherung von Mensch und Hügel. "Ich fände es schöner, wenn der Hügel offen für alle wird. Man muss den Leuten eine Chance geben, ihn zu nutzen."

Das Gebiet sei enorm wertvoll, ja geradezu prädestiniert für die touristische Naherholung, meint er. Doch in diese Richtung werde leider viel zu wenig unternommen. 20 Millionen Mark waren ursprünglich für die Gestaltung des Umfeldes eingeplant gewesen. Vor allem die geplante Anbindung an Finkenwerder über einen Fuß- und Radweg hatte große Hoffnungen bei den Francopern geweckt. Endlich hätten sie wieder ohne Umweg die Elbfähren erreicht. Zwei Brücken über die Süderelbe sollten gebaut werden.

"Aber bisher wurde da noch nichts gemacht. Das ist sehr bedauerlich", sagt Karl Tamke. Mehrfach hat er sich deswegen an HPA und Politik gewandt, bisher ohne Erfolg. Er selbst hat viele Jahre seines Lebens in das Langzeitprojekt gesteckt, das so prägend für Francop ist. Sein Ziel sei es gewesen, etwas für die Nachwelt zu erhalten, sagt Tamke. "Ich habe immer gedacht: Das muss so gut werden, dass es nie wieder wegkommt."

Am Ende der Deponie, im am dichtesten bepflanzten Bereich, ist die kontrollierte Rückführung zum Natürlichen kaum noch zu erkennen. Lediglich die mit Metallplatten abgedeckten Schächte sind als dauerhafte Narben zurückgeblieben. Regelmäßig wird an diesen Stellen gemessen, welche Emissionen der Hügel noch von sich gibt. Durch die organischen Zerfallsprozesse können sich zum Beispiel Faulgase bilden. Auch wenn der Schlickhügel in wenigen Jahren für jeden zugänglich ist - sein Inneres wird noch viele Jahre, vielleicht Jahrzehnte beobachtet.