Eine Glosse von Maike Grunwald

Die Zeit zwischen den Jahren ist ja immer auch eine Zeit der geistigen Einkehr. Man lässt das vergangene Jahr Revue passieren und stellt sich Fragen wie: Hätte ich meiner Tochter wirklich erlauben sollen, dieser obskuren Sekte beizutreten, mit der sie jetzt für drei Monate nach Indien gehen will? War es nicht doch ein bisschen gemein, mit den Lieblingskollegen die Kaffeekasse zu versaufen und das Ganze dann der neuen Praktikantin in die Schuhe zu schieben? Hätte ich schweigen sollen, statt meiner Freundin zu sagen, dass sie in dem teuren Designerkleid aussieht wie eine schlecht gestopfte Presswurst?

Es ist auch die Zeit der guten Vorsätze. 2012 werde ich aufhören zu lügen, wenn man mich nach meinem Alter, Gewicht oder Familienstand fragt. Ich werde den kleinen Hund meiner Chefin nicht mehr heimlich mit dieser Knoblauchwurst füttern, von der ihm immer unter ihrem Schreibtisch schlecht wird. Kartoffelchips werde ich ab 2012 stets dankend ablehnen, diese ungesunden Dinger.

Vor allem aber ist das Jahresende eine Zeit der Entspannung. Der Weihnachtsstress ist vorbei, der Neujahrsstress kommt erst noch. Die Verwandten sind wieder abgereist, die Kollegen sieht man erst im Januar. Endlich mal Zeit, um mit dem Mann zu streiten, den Kindern Vorwürfe zu machen und einer einsamen Sinnkrise zu frönen. Und: Die letzte Gelegenheit, so viele Kartoffelchips wie möglich zu essen, bevor das neue Jahr anbricht. Denn dann wird alles anders. Wie jedes Jahr.