Harburger Traditionsgeschäfte Für Modelleisenbahner gehört der Lokschuppen zu den ersten Adressen

Harburg. Alteingesessene, inhabergeführte Geschäfte - es gibt sie noch in Harburg. Oft sind es Familienbetriebe mit einer jahrzehntelangen Tradition. Sie erzählen Geschichten von Kaufleuten, die ihre Kunden noch persönlich kennen, vom Glauben an eine besondere Idee, von der Liebe zum Detail. Aber auch vom schleichenden Niedergang einer Verkaufskultur, die sich im Zeitalter der Shopping-Center und Großmärkte immer schwerer behaupten kann.

Als Märklin, der Inbegriff deutschen Modelleisenbahnbaus, 2009 Insolvenz anmeldet, erschüttert das nicht nur die Mitarbeiter des Spielwarenherstellers im schwäbischen Göppingen. Die Nachbeben dieser Pleite breiten sich im ganzen Land aus. Sie pflanzen sich auch bis in den Harburger Lokschuppen in der Denickestraße 92 fort. Dort sind sie bis heute zu spüren. "Schlechter lief das Weihnachtsgeschäft noch nie", sagt Ingo Czekai, der 46 Jahre alte Inhaber. "Innerhalb von drei Jahren hat sich der Umsatz halbiert, ich kämpfe ums nackte Überleben."

Die Welt der Miniaturzüge ist noch halbwegs in Ordnung, als der gebürtige Münsterländer das kleine Geschäft 2008 übernimmt. Da stört es ihn auch nicht weiter, dass es in einem ziemlich erbärmlichen Zustand ist, ein "verrauchter Trödel- und Kramladen", wie er es selbst beschreibt. Viele Jahre hat der gelernte Konditor sein Geld nach einer Umschulung zum Versicherungskaufmann mit der Vermittlung von Policen verdient. Nun bietet sich die einmalige Chance, sein großes Hobby zum Beruf zu machen: "Ein eigenes Modelleisenbahngeschäft - davon habe ich immer geträumt."

So geht Czekai mit viel Enthusiasmus ans Werk. Er entmüllt die Regale, trennt sich von Ladenhütern. Er stattet das Geschäft mit einem neuen Tresen und Glasvitrinen aus. Und er bringt die Buchhaltung auf Vordermann, die von seinem Vorgänger ebenfalls sträflich vernachlässigt worden ist. Seine wichtigste strategische Entscheidung fällt er schließlich mit der Konzentration auf die Spur N.

Diese Nenngröße im Maßstab 1:160 liegt voll im Trend und verspricht hinsichtlich des Umsatzes die größten Zuwachsraten. Weil die Spur N deutlich platzsparender ist als die weltweit verbreitetste Spur H0 im Maßstab 1:87. Und sie eignet sich ideal für die immer stärker aufkommende Modulbauweise.

Czekai: "Früher verschwanden die Herren der Schöpfung oft stundenlang im Keller oder auf dem Dachboden, um an ihren Miniaturwelten zu basteln. Die entstanden auf riesigen Platten, die je nach Platzangebot bis zu 15 Quadratmeter umfassen konnten." Die neuartigen Module aus verwerfungsfreien Holzleisten würden nun nur noch etwa einen halben Quadratmeter groß sein. Sie ließen sich damit auch in der Wohnung beliebig zusammenfügen. Und anschließend auch rasch wieder demontieren, um sie dann in einem Regal zu stapeln.

Lange war Modellbau vorwiegend ein saisonales Hobby, das vor allem im Winter betrieben wurde. Heute wird auch im Sommer kräftig gebastelt, weil sich die leichten Module schnell mal auf den Balkon oder die Terrasse transportieren lassen. Das Kardinalproblem ist nur: Die Modelleisenbahner werden immer älter. Weil die junge Generation sich lieber in die virtuellen Welten der Computer flüchtet. Wo die eigene Fantasie zumeist weder gebraucht, noch stimuliert wird. Interaktivität reduziert sich hier oft aufs reine Bespielen programmierter Oberflächen.

Dabei hat es in den vergangenen Jahren auch im Modelleisenbahnbau eine rasante technische Entwicklung gegeben. So sind längst Miniloks mit allen Finessen auf dem Markt. Ein gutes Beispiel ist die Neukonstruktion der Dampflokomotive BR 10 vom Hersteller Roco. Der "schwarze Schwan" der Bundesbahn aus den 50er-Jahren hat nicht nur ein Drei-Licht-Frontsignal und zwei rote Schlusslichter in LED-Technik. Er brilliert auch mit dynamischem Dampfausstoß durch Schornstein und Zylinder sowie darauf synchron abgestimmten Sound.

"Wer will, kann das alles mithilfe spezieller Apps sogar über sein Smartphone digital steuern. Doch diese Innovationen sind oft gänzlich unbekannt, weil die Branche ein massives Marketing- und Werbeproblem hat", sagt Czekai. Dass die alte Bastler- und Sammlerleidenschaft mit modernster Technik verbunden werden könne, werde einfach nicht richtig kommuniziert. Weshalb sich die gesamte Branche in einem permanenten Abwärtstrend befinde.

Das Märklin-Desaster hat die Verunsicherung der Modelleisenbahner nur noch verstärkt. Lohnt die Investition in solch teure Loks wie den "Schwarzen Schwan", der Czekai im Einkauf stolze 599 Euro kostet, tatsächlich? Und wird es in Zukunft überhaupt noch genügend Ersatzteile geben?

Was Czekai aber noch viel mehr ärgere, sei die grassierende "Geiz ist geil"-Mentalität vieler Kunden. Die kämen in den Laden und würden mit ihren Smartphones herum wedeln, den aktuellsten Dumpingpreis irgendeines Online-Händlers stets abrufbereit. "Das macht mich regelrecht krank, weil es uns kleine Einzelhändler in den Ruin treibt", sagt er. Denn ein Zehn-Prozent-Rabatt auf die unverbindliche Preisempfehlung des Herstellers sei bei ihm ohnehin schon Usus.

Und ab 750 Euro Jahresumsatz kämen noch einmal vier Prozent Stammkundenrabatt hinzu: "Noch mehr Nachlass geht einfach nicht, beim besten Willen." Die Umsatzverluste im Laden will der Münsterländer mit einer Erweiterung seines Online-Shops kompensieren. 70 000 Artikel sind derzeit dort gelistet. Ab Februar 2012 sollen es mit 150 000 mehr als doppelt so viele sein. Außerdem setzt er weiter auf den eigenen Reparaturservice. "Wir schicken nichts ein, sondern führen alle Arbeiten selbst aus. Dazu zählen auch Digital- und Faulhaber-Umbauten, also die Umrüstung auf langlebige, wartungsfreie Motoren", berichtet Czekai.

Dabei steht ihm mit Ulrich Walliser (65) der erste Ladeninhaber als väterlicher Freund zur Seite. Der gebürtige Schweizer hatte 1970 beim Fachgeschäft Andersson am Harburger Rathaus begonnen, bevor er 1977 in der Niemannstraße den ersten eigenen Laden gründet. 1984 ist er dann in die Denickestraße 92 gezogen, wo zuvor ein Friseur dicht gemacht hatte.

"Wir bräuchten mal einen echten Topartikel für den Massenabverkauf wie das iPhone", sagt Ingo Czekai. Anderenfalls könne wohl nur noch ein Wunder für die große Trendwende sorgen. Sonst gingen in dem kleinen Laden über kurz oder lang die Lichter aus.