Künstler Michael Dörner zeigt im Kunstverein Buchholz alte und neue Installationen. Ausstellung geht noch bis zum 18. Dezember

Buchholz. Im Schaufenster des Kunstvereins wirft ein einsamer Retrospiegel mit Glühlämpchen seine Strahlen, spiegelt sich bunt in den gegenüberliegenden Fensterscheiben. Er hängt auf einer bunten 60er-Jahre-Tapete. Ansonsten ist es dunkel, klirrend kalt, ein grauer Dezembermorgen in Buchholz. Die Tür des Kunstvereins ist noch geschlossen. Dann biegt Pressefrau Bärbel Blunck um die Ecke und öffnet die Tür. Sie schaltet die Installationen ein, und dieses eine Mal empfängt einen nicht das kalte Weiß der neonbeleuchteten Kunsträume, sondern ein auratisches Szenario aus Licht und Dunkelheit.

Im großen Raum hängt geheimnisvoll die Lichtinstallation des Künstlers Michael Dörner. An die 30 Lampen im Retrodesign hängen gleichförmig von der Decke. Bis kurz über dem Deckenboden, die Lichtkegel malen runde Scheinwerfer auf den Boden und betonen damit auch das Unausgeleuchtete, Zwischenräume, Ornamente aus Licht und Schatten in den Raum zeichnen.

Da ist sofort die ästhetische Wirkung: Geheimnisvoll, fast sakral, malen die Lichtinseln gedämpfte Feierlichkeit in den Raum, eine Atmosphäre wie unter Watte. "Schein oder nicht schein" nennt Michael Dörner seine Ausstellung im Kunstverein Buchholz und deutet darauf hin, dass wir die Dinge immer in einem gewissen Licht sehen, sie im Kontext unserer Alltagswelt interpretiert haben. Meist ist es der Horizont des Funktionierens, des einfachen Zur-Hand-Seins, wie ihn der Philosoph Martin Heidegger so meisterlich für unser Dasein beschrieben hat. Indem Michael Dörner die Dinge aber aus diesem Kontext des Funktionierens löst, erlangen sie eine eigene ästhetische Aura.

Dörners Kunst ist Wahrnehmungskunst, die mit kleinsten Brüchen spielt, Brüche, die zum Ereignis werden. Seine Lampen, mit liebevoller Sammelleidenschaft auf dem Flohmarkt gesucht, bilden eine rätselhafte Konstellation von zeitloser Schönheit, die auch einen zeitlichen Index trägt: jede Lampe stammt aus einer eigenen Zeit mit eigenen Codes, jede Lampe hat ihre eigene Geschichte, die im Gesamten der Konstellation aufgeht, aber auch mit Kraftlinien spannungsvoll darüber hinausweist. Dieses Spiel mit Stilzitaten und verrückten Wahrnehmungswelten, die ein zeitliches Spannungsfeld eröffnen, ist typisch für Dörner.

Im Kontext der Kunst sind die Dinge plötzlich meilenweit von ihrem Funktionieren entfremdet und zu einem definitionslosen So-Sein, einem ruhigen Existieren gewandelt. Mit solchen Umcodierungen hat Dörner, den sie in der Szene Bolisch rufen, öfter verblüfft. Hat Fruchtgummi in den Kunstkontext geholt, die süßliche Masse in leere Kekspackungen gegossen, gestürzt und so futuristische, ja geometrische Städteszenarios kreiert. "Kunstmenus" nannte er diese Interventionen auch und spielte nicht nur mit der Konsumierbarkeit, der Einverleibbarkeit von Kunst. Er habe ein Material auf seine eigentliche Funktionalität reduzieren wollen, erzählt er. "Am Fruchtgummi interessierte mich die Flexibilität, aber auch die Transparenz."

Eigenschaften, die Dörner an zutiefst Menschliches denken ließen, an unsere Gedanken und unsere Kommunikation. Auch weich, auch flexibel, im Idealfall jedenfalls. Solche gallertartigen Skulpturen, so durchscheinend wie Wackelpudding und von ähnlicher Farbigkeit, tischte Dörner kürzlich wieder im Süden der Republik auf: in Weingarten. Doch seine Fruchtgummikreationen sind so sehr Neutrum, so verwirrend identitätslos, dass kein rechter Gaumenkitzel aufkommen will, wohl aber die ästhetische Attraktion. Dörner lud bereits zu dreigängigen Kunstmenus, zwölf Personen durften an eigens entworfenen Tischen alle Fruchtgummiskulpturen verzehren, zuerst mit den Augen, dann mit der Zunge. "Mich interessiert eine solche doppelte sinnliche Wahrnehmung", sagt Dörner. Und so berührt das Außen der Kunst in seiner Kunst in einem ganz faktischen Sinne auch das Innere.

Die Darreichungen des Künstlers sind allerdings nicht immer süß, die Botschaft manchmal eher bitter: Wie im Falle seiner "Lollis", die 2007 plötzlich auf der grünen Wiese in Hohenlockstedt aufleuchteten. Genau genommen vor der Gesamtschule. Die Kegellollis waren aus Beton und der Blick auf ihre Griffe verblüffte: Da prangte ein martialischer berittener Soldat am Lollistiel oder auch mal ein Jäger. Dörners subtiler Beitrag zum Ort, denn wer erinnerte sich ohne diese brutale Botschaft des Kunstwerkes im öffentlichen Raum (übrigens mit dem aufreizenden Titel "LoLA"), dass hier dass "Lockstedter Lager" (LoLA) war, ein Barackenlager für gefangene Soldaten, später dann einer der größten Militärübungsplätze Deutschlands.

Mehr als sichtbar waren die "Türme für Allermöhe", die Dörner mit dem Künstler Christoph Fischer baute, Zuckerstangentürme, die wendeltreppenartig zu besteigen waren und auf so etwas wie das Fehlen eines symbolischen Zentrums in der Stadt deuteten, das ein Turm früher symbolisierte. Im Kunstverein Buchholz präsentiert Dörner nur einen Ausschnitt seines Werkes. "Es ist, als würde man eine Tür einen Spaltbreit öffnen", beschreibt er die Situation. Ein Spalt, der allerdings so neugierig macht, wie vielleicht ein Kind ist, das auf die baldige Bescherung wartet.

Der Kunstverein rund um Kunstvereinsvorstand Christoph Selke liebt solche feinen Kunst-Irritationen und zeigt dafür Einsatz. Wie damals, als für den Street-Art-Künstler Brad Downey ein Asphalt aus Berlin geholt und mit Erdklumpen und Wurzelgestrüpp in den Kunstverein gehievt wurde. Einige künstlerische Autokilometer mehr, viele Erdbrocken auf dem Vereinsboden und ein gequetschter Künstlerdaumen von Brad Downey, der allerdings sogleich zu neuer Kunst inspirierte, waren die ansehnliche Bilanz.

Mittlerweile hat die Stadt Buchholz den Kunstwirbel wohlwollend registriert: Im November bekam der Kunstverein Buchholz den Kulturpreis der Stadt Buchholz von Bürgermeister Wilfried Geiger überreicht. Feierlich. Und der lobte Kunstvereinsvorstand Selke, zur Feier des Tages in dunklem Zwirn mit Einstecktuch und weinroter Krawatte: "Ohne diesen Verein wäre unsere Stadt deutlich provinzieller."

Diesem Lob von höchster Stelle will der Kunstverein im neuen Jahr natürlich weiter nachkommen. Eröffnet wird der Kunstreigen ehrgeizig mit Alex Diamond, der aufregenderweise verspricht, mehr "Fantasie als Realität zu sein." Niemand weiß, wer hinter Diamond steckt. Nur gelegentlich tauche er auf, "undercover" unter einer Maske aus Fell und Haaren. Ob das Fellwesen tatsächlich der Künstler ist, oder nur eine weitere Inszenierung, Maskerade und Projektion, bleibt zu erfahren. Doch "Kontaktmann" Christoph Selke vom Kunstverein Buchholz müsste das jetzt eigentlich schon wissen.

Michael Dörner, Schein oder nicht schein. Nur noch bis 18. Dezember, Kunstverein Buchholz, Kirchenstraße 6. Ab 15. Januar Alex Diamond.