Das Forum für Zivilcourage engagiert sich gegen rechtes Gedankengut. Prävention bedeutet auch ein zähes Ringen um Geld vom Staat.

Tostedt. 24 Millionen Euro stellt Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) für die Prävention gegen Rechtsextremismus bereit. Das sind zwei Millionen Euro mehr als ursprünglich vorgesehen. Eigentlich hatte die Ministerin den Initiativen gegen Rechts das Geld kürzen wollen. Doch dann wurde die Neonazi-Mordserie bekannt, die alle Sicherheitsbehörden in der Republik überraschte.

Während die Bundesregierung und die Länder über den Sinn eines NDP-Verbotes und einer zentralen Neonazi-Datei nachdenken, fordert Cem Özdemir mehr Geld für die Prävention gegen Rechtsextremismus. für die Menschen, die vor Ort die "Drecksarbeit" übernehmen, wie es der Grünen-Vorsitzende in der Bundestagsdebatte über die Mordserie ausdrückte.

Leute, die die Drecksarbeit machen. Ohne sie zu kennen, könnte Cem Özdemir damit den Gymnasiallehrer Ulrich Graß, die Realschullehrerein Elke Müller und den Sozialarbeiter Michael Himmel gemeint haben. Alle drei engagieren sich im Forum für Zivilcourage in Tostedt gegen die rechte Szene im Ort. Genauso wie Forums-Mitbegründer Jens Petersson, dem Rechtsgesinnte die Reifen am Wohnmobil zerstochen haben, weil er sich seit 1989 unermüdlich bemüht, dass Jugendliche nicht in den brauen Sumpf abrutschen.

Das Geschäft "Streetwear Tostedt", das das in der rechten Szene identitätsstiftende Modelabel "Thor Steinar" vertreibt, gilt laut dem niedersächsischen Innenministerium als Anlaufstelle der überörtlichen rechtsextremen Szene. Für das Forum für Zivilcourage ist der Laden mit Tischkicker ein Jugendraum, in dem Neonazis ihren Nachwuchs heranziehen.

Das Forum für Zivilcourage hat genaue Vorstellungen, wie zusätzliches Geld helfen könnte, den Einfluss der rechten Szene in Tostedt zu brechen. Unabhängig davon, ob das Oberlandesgericht Celle das Urteil des Landgerichts Stade bestätigt oder nicht, dass der bekannte Rechtsextremist Stefan Silar seinen "Streetwear"-Laden zu schließen habe. Wann das Oberlandesgericht seinen Beschluss verkündet, ist noch offen.

Was das Forum vorschlägt, könnte beispielhaft für jede Stadt oder Gemeinde sein, die gegen eine rechte Szene ankämpft. Die Initiative versucht gerade, die Verwaltung und den Samtgemeinderat in Tostedt davon zu überzeugen, eine Beratungsstelle für Eltern zu finanzieren, deren Kinder in den Einfluss der Neonazis geraten sind.

Das Personal wäre im Ort. Michael Himmel, bekannt aus der Jugendarbeit der Gemeinde, und eine Sozialarbeiterin haben sich fortgebildet, Eltern rechtsextremer Kinder zu helfen. Die Berater müssten mobil arbeiten, bewusst nicht in einem Büro im Rathaus oder in einer Schule. "Die betroffenen Eltern brauchen einen neutralen Ort, der vertraulich ist", nennt Ulrich Graß eine Erfolgsvoraussetzung der Beratung. Der Gymnasiallehrer hofft, dass die Samtgemeinde oder der Landkreis die Beratungsstelle finanzieren werden. Denn der Druck, der auf den betroffenen Eltern laste, sei groß, sagt er.

In Dortmund, wo eine besonders aggressive Neonazi-Szene vorzufinden ist, gibt es jetzt einen ähnlichen Ansatz: Die neue Beratungsstelle "Back up" zur Unterstützung von Opfern rechter Gewalt in ganz Westfalen hat ihre Arbeit aufgenommen. Finanziert wird sie von der Stadt Dortmund und der Landeszentrale für politische Bildung.

Auf Geld von der Landeszentrale für politische Bildung können Initiativen gegen Rechts in Niedersachsen nicht hoffen - sie existiert nicht mehr. Als der heutige Bundespräsident Christian Wulff (CDU) 2003 Ministerpräsident in Niedersachsen wurde, löste er sie dort ein Jahr später auf.

Das Forum für Zivilcourage, von der linksradikalen Antifa als zu lasch belächelt, setzt auf bildungspolitische Strategien. Demokratietraining soll braunes Gedankengut aus den Köpfen der Kinder bannen, nicht Straßenkämpfe. Hauptschule, Realschule und Gymnasium in Tostedt tragen den Titel "Schule gegen Rassismus". Kleiderordnungen verbieten hier jede rechtsradikale Symbolik. Lehrer, Eltern und Schüler haben gemeinsam beschlossen, dass Kleidung des Modelabels "Thor Steinar" an den Schulen tabu ist.

Als die Medien die Neonazi-Mordserie bekannt gemacht haben, sagt Elke Müller, hätten ihre Schüler eine Diskussion darüber eingefordert: "Sie wussten nicht damit umzugehen. Fragten, ob es so etwas auch in Tostedt gibt." Ähnliches erlebte Ulrich Graß am Gymnasium. Seine zehnte Klasse las gerade im Deutsch-Unterricht Heinrich Bölls Roman "Die verlorene Ehre der Katharina Blum". Ulrich Graß machte kurzerhand die Literatur und das Tagesgeschehen zum Unterrichtsstoff. Als Aufgabe sollten die Schüler auswerten, wie die Boulevard-Zeitungen und seriöse Tageszeitungen über die rechte Terrorserie berichten. Das Rollenspiel des niedersächsischen Verfassungsschutzes mit dem Titel "Demokratie und Extremismus" könnte laut dem Forum helfen, Schülern den Wert einer Demokratie zu vermitteln. Jugendliche schlüpfen dabei in die Rollen von Islamisten, Rechtsextremisten und liberal-demokratischen Parteien. Pädagogisch wichtige Voraussetzung für das Experiment sei, dass die Schüler dazu außerhalb der Schule zusammenkommen.

Bisher organisierten nur 25 Schulen in ganz Niedersachsen das Rollenspiel. Dass das fesselnde Demokratie-Spiel nicht öfter gespielt wird, dürfte am Kultusministerium liegen: Es gibt kein Geld dafür. Das Ministerium, schlägt Ulrich Graß vor, müsste Lehrern, die als Spielleiter fungieren, eine Ermäßigung bei den Pflichtstunden geben und die Fortbildung finanzieren. Dann, so der Gymnasiallehrer, könnten wenige Pädagogen das Rollenspiel im ganzen Land verbreiten.

Ein Problem bei der Förderung von Initiativen gegen Rechts: Förderprogramme seien zwar reichlich vorhanden, die Vorgaben aber so rigide, dass gute Ideen kleiner Initiativen sofort herausfielen. Wenn das Forum für Zivilcourage eine Lesung mit einem Neonazi-Aussteiger organisieren wolle, nennt Ulrich Graß ein Beispiel, gebe es keinen Fördertopf dafür. "Wir bräuchten einen unbürokratischen Pool", sagt er. Etwa, um Schülerfahrten ins Anne-Frank-Haus nach Amsterdam zu fördern.

Die 3000 Euro für das selbst entwickelte Pilot-Projekt "Courage macht Schule", ein Demokratie-Training an fünf Tagen mit Experten des Mobilen Beratungsbüros gegen Rechtsextremismus in Hamburg, hat das Gymnasium in diesem Jahr selbst auftreiben können. Das Geld reicht aber gerade einmal, dass eine einzelne neunte Klasse daran teilnehmen kann. Sollte jeder Schüler in Tostedt einmal "Courage macht Schule" durchlaufen, würde das pro Jahr 20 000 Euro kosten. Gut angelegtes Geld, meint das Forum für Zivilcourage. Nur ein Geldgeber fehlt noch.

Hilfe, Jugendliche von der rechten Szene fernzuhalten, erhofft sich das Forum von Sozialpädagogen an Schulen. Das Land Niedersachsen finanziert Sozialarbeiter lediglich an Hauptschulen. "Wir bräuchten sie auch an Gymnasien und Realschulen", sagt Ulrich Graß.

Ein Sozialpädagoge könne ein anderes Vertrauensverhältnis zu Kindern und Jugendlichen aufbauen, argumentiert die Realschullehrerin Elke Müller. In Tostedt gebe es viele junge Familien. Sie haben ein Haus gebaut, Vater und Mutter arbeiten beide. Da sei eine Anlaufstelle wie der rechte "Streetwear"-Laden verlockend, sagt Elke Müller. Dort seien sie nicht allein, bekämen Hilfe bei den Hausaufgaben, eine Cola inklusive. Ein Sozialpädagoge könnte dem etwas entgegensetzen.