Harburger Traditionsgeschäfte. Seit 31 Jahren bietet die Unternehmerin in ihrem kleinen Laden in Heimfeld erlesene Trüffel, Pralinen und Weine an

Harburg. Alteingesessene, inhabergeführte Geschäfte - es gibt sie noch in Harburg. Oft sind es Familienbetriebe mit einer jahrzehntelangen Tradition. Sie erzählen Geschichten von Kaufleuten, die ihre Kunden noch persönlich kennen, vom Glauben an eine besondere Idee, von der Liebe zum Detail. Aber auch vom schleichenden Niedergang einer Verkaufskultur, die sich im Zeitalter der Shopping-Center und Großmärkte immer schwerer behaupten kann. In unserer neuen Serie stellen wir in loser Folge Harburger Traditionsgeschäfte vor. Heute: "Süßwaren - Spirituosen - Marietta Flottran"

Das weiß getünchte Haus in der Gazertstraße wirkt wie aus der Zeit gefallen: Eine Etage zu ebener Erde, Flachdach, fertig. Rundherum sind die Häuser im Heimfelder Quartier zwischen Heimfelder Straße und Haakestraße zumeist drei- und viergeschossig, was den Flachbau seltsam deplatziert erscheinen lässt. Doch gäbe es ihn nicht, wäre der Stadtteil um einen steinernen Zeugen der funktional orientierten Nachkriegsarchitektur ärmer.

Zumal das Gebäude ein inhabergeführtes Geschäft beherbergt, das in seiner Art in ganz Norddeutschland einzigartig ist. "Süßwaren - Spirituosen - Marietta Flottran" steht in antiquierten Lettern über dem großen Schaufenster. Wer durch die jahrzehntealte Eingangstür tritt, fühlt sich in eine Zeit versetzt, als Tante-Emma-Läden die Milch noch literweise aus großen Metalltrögen verkauften.

"Das Inventar habe ich vor 31 Jahren von meinen Vorgängern übernommen und stammt aus den 50er-Jahren", sagt die Inhaberin. Die hätten, ebenso wie sie, mit Süßwaren und Spirituosen gehandelt. "Es gab Schokolade aus dem Karton und Kröver Nacktarsch. Als dann die Supermärkte aufkamen, die so etwas noch deutlich billiger anboten, war der Laden einfach nicht mehr konkurrenzfähig", so Marietta Flottran.

Die gebürtige Hamburgerin hatte bis 1980 mit ihrem damaligen Partner, einem Österreicher, einen Weinhandel in Eißendorf betrieben. "Wir wollten Qualitätsweine aus der Kremser Wachau nach Deutschland holen", erinnert sich die gelernte Verlagskauffrau. Doch viele Leute verlangten da nach süßen Weinen aus Rheinhessen und der Pfalz. Reben wie der grüne Veltliner waren weitestgehend unbekannt.

So lief nicht nur das Geschäft schlecht, irgendwann auch die Ehe. Während ihr Partner zu expandieren gedachte, wollte sie sich trennen. Durch eine Zeitungsannonce erfuhr Marietta Flottran, dass ein neuer Pächter für den kleinen Laden in Heimfeld gesucht wurde. "Ich bin hingefahren, hab's mir angeschaut und wusste: Das isses." Dass sie überhaupt hinter dem Tresen landete, verdankt Marietta Flottran ihren Söhnen. Als sie nach zwölf Jahren Pause in die Stabsstelle des Jahreszeitenverlages zurückkehren wollte, ließ man sie kurz und bündig wissen: "Betrachten sie sich mal als ungelernt."

Bereut hat die heute 63-Jährige den Wechsel nie. Mit Leidenschaft und Verve herrscht sie in ihrem kleinen, nur 24 Quadratmeter großen Reich. Oft zehn bis zwölf Stunden am Tag, weil sie mit Hilfe ihres Mannes Eberhard dreimal in der Woche auch einen Lieferservice anbietet.

2000 verschiedene Artikel drängen sich in den zumeist gläsernen Regalen: neben Spirituosen und Schokoladen auch erlesene Weine, Tabak, Eis, allein 45 verschiedene Sorten Tee, teure Trüffel und edle Pralinen. Dauerbrenner sind die "Harburger Spezialitäten" wie Elbwasser (Kräuterlikör) oder Kieselsteine (Dragees mit Früchtefüllung), die sie extra herstellen lässt. "Als beliebtes Mitbringsel für Fernreisende gehen die immer."

Ansonsten ist das Sortiment, das sie bei mehr als 50 Lieferanten ordert aber durchaus von den Jahreszeiten geprägt. Im Sommer werden verstärkt Geleefrüchte, Eis oder Schorlen bestellt, im Winter eher Tee, Marzipan und Rotweine. Aktuell wird ein Großteil der Auslage vom nahen Weihnachtsfest dominiert. Von Lebkuchen und Zimtsternen, Vanillekipferln und Printen.

Und es fehlt es auch nicht an außergewöhnlichen Kreationen für die Gourmets unter den Leckermäulern: So gibt es in diesem Jahr sogar Schokolade mit Stiefmütterchen- oder Rosengeschmack.

Wer den ganzen Tag in solch einem Arsenal der Leckereien steht, muss der nicht ein Meister der Selbstbeherrschung sein? "Nein", wehrt Marietta Flottran entschieden ab, und ihre Figur bestätigt sie, "angucken reicht mir vollkommen". Abends auf der Couch nasche sie lieber gutes Salzgebäck und gönne sich dazu gern mal einen italienischen Rotwein aus Kampanien.

Ihren teuersten Artikel, eine Flasche Dom Pérignon im Wert von 140 Euro, hat Marietta Flottran übrigens nie verkauft - der Champagner wurde 1998 geklaut. "Seitdem steht so was auch nicht mehr in der Auslage, sondern wird nur noch auf Kundenbestellung geordert und bis zur Abholung im Weinkeller aufbewahrt."

Dennoch war sie vor Dieben nicht sicher. Innerhalb von 15 Jahren gab es ein Dutzend Einbrüche. Da kapitulierte sogar die Versicherung und kündigte den Vertrag. Erst die Investition in diverse Sicherheitsauflagen verschaffte ihr eine neue Assekuranz. "Dank Panzerglas und moderner Alarmanlage ist der Laden jetzt so sicher wie Fort Knox", sagt Marietta Flottran und hat seit einigen Jahren tatsächlich Ruhe.

Hat sie trotzdem schon mal daran gedacht, den Laden aufzugeben? "Nein", sagt die taffe Geschäftsfrau und schaufelt lose Kekse in eine Tüte, die auf ihrer altmodischen Baufa-Tarierwaage mit den alten Eisengewichten liegt.

Sie sei schließlich konservativ und bodenständig und außerdem eine Nostalgikerin: "95 Prozent meiner Besucher sind Stammkunden und die Umsätze in den vergangenen Jahren trotz Wirtschafts- und Finanzkrise konstant. Ich werde vermutlich hier irgendwann hinterm Tresen tot umkippen." Aber mit dieser Vorstellung könne sie gut leben.