Logistikbranche in der südlichen Metropolregion Hamburg fordert Wahrnehmungstrainings für ältere Kraftfahrer, um Unfälle zu vermeiden

Harburg/Lüneburg. "Berufskraftfahrer sind das Rückgrat der Logistikwirtschaft", erklärt Jürgen Glaser von der Wachstumsinitiative Süderelbe AG. Doch dieses Rückgrat schmerzt: Insbesondere ältere Lkw-Fahrer spüren die physischen und auch psychischen Strapazen ihrer langen Arbeitstage "auf dem Bock" sprichwörtlich am eigenen Leib.

"Ich hatte eigentlich schon vor fünf Jahren meine Lebensarbeitszeit erreicht", sagt Joachim Ritter. Der 55-Jährige aus Winsen arbeitet seit drei Jahrzehnten als Berufskraftfahrer, täglich mehr als zwölf Stunden. Noch ein weiteres Jahrzehnt will er der Hamburger Stapelfeldt Transport GmbH treu bleiben, um keine Abstriche bei der Rente machen zu müssen.

Graue Haare im Fahrerhaus sind keine Ausnahme, sondern die Regel. "Deutlich mehr als ein Drittel der Fahrer ist mittlerweile älter als 50 Jahre", erklärt Jürgen Glaser. "Umso wichtiger wird die Bindung älterer Mitarbeiter." Denn der professionelle Fahrernachwuchs muss aufgrund einer EU-Vorschrift eine dreijährige Berufsausbildung absolvieren.

"Wir finden keine Azubis", beschreibt Hubertus Kobernuß ein großes Problem seiner Branche. Der Spediteur aus Uelzen macht dafür die vergleichsweise geringe Bezahlung und das schlechte Image der Brummifahrer verantwortlich. Sie würden während dem Be- und Entladen bei den Kunden teilweise "unmöglich" behandelt. Kobernuß: "Und in Berichten über spektakuläre Unfälle wird der Berufsstand oft ins falsche Licht gerückt."

Dennoch sieht Rainer Höger das steigende Durchschnittsalter der Lkw-Chauffeure als bedrohliches Verkehrsproblem an: "Ab 50 Jahren steigt die Unfallquote wieder an." Der Professor für Arbeits- und Ingenieurspsychologie an der Leuphana Universität Lüneburg führt etwa 90 Prozent aller Verkehrsunfälle auf menschliche Fehler zurück. Typische Unfallursachen seien fehlende Aufmerksamkeit und falsche Einschätzung von Risiken, Stress und Müdigkeit. "Sicherheitsschulungen helfen, viele Schäden zu vermeiden."

Höger empfiehlt, Lkw-Fahrern ähnlich wie Flugzeugpiloten regelmäßige Tests in Fahrsimulatoren zu verordnen. Eine solche Anlage entsteht derzeit auf dem Campus Rotes Feld als Projekt des sogenannten Innovations-Inkubators, mit dem die regionale Wirtschaft in den elf Landkreisen des ehemaligen Regierungsbezirks Lüneburg gefördert werden soll. "Bis Mitte 2012 läuft am Institut für Experimentelle Wirtschaftspsychologie ein Projekt, mit dem Tools für die Weiterqualifikation von Lkw-Fahrern entwickelt werden sollen", erklärt Höger.

"Wir führen Interviews mit den Fahrern und ermitteln kognitiv-psychologische Risikofaktoren im Bereich Wahrnehmung und Aufmerksamkeit", beschreibt Psychologieprofessor Höger die wissenschaftliche Vorgehensweise. Er sucht nach brenzligen Alltagssituationen. "Daraus entwickeln wir ein gezieltes Training am Simulator."

Entwicklungsarbeit ist nach Meinung von Hartmut Lorenz auch noch an der Steuerung des Simulators notwendig. "Dieser Lastwagen müsste stillgelegt werden", sagt der Fahrschullehrer aus Soltau nach seiner Testfahrt durch eine bergige Fantasielandschaft auf dem Riesenmonitor. "Am Anfang wurde mir ganz schummrig", sagt der 50-Jährige, der seit kurzem zur Zielgruppe des Simulators für die Generation 50 plus gehört und selbst gewerbliche Lastwagen- und Busfahrer ausbildet.

"Als nächstes werden auch Rück- und Seitenspiegel programmiert", erklärt Swantje Robelski. Die 25-Jährige ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der ausführenden Forschungseinrichtung mit dem Namen LüneLab. "In der Praxis müssen die Fahrer bis zu sechs Spiegel im Blick behalten." Besondere Gefahren birgt dabei der sogenannte tote Winkel, der ebenfalls in die Simulation integriert werden soll.

"Und auch Geräusche spielen eine ganz wichtige Rolle für die Fahrer", benennt Hans Gellermann ein weiteres Manko am aktuellen Stand der Technik. Der vor sechs Jahren pensionierte ehemalige Leiter des Autobahnpolizeikommissariats Winsen bietet seit mehreren Jahren in Seevetal Weiterbildungen für Berufskraftfahrer an.

"Die gesetzlich vorgeschriebenen Weiterbildungen sind wegen der veränderten technischen Anforderungen erforderlich", sagt Gellermann. "Aber es ist auch eine Bewusstseinsänderung notwendig." Teilweise würden die Routiniers die unterstützenden Assistenzsysteme ihrer Lkw einfach abschalten.