Psychotherapeuten in Ausbildung betreuen Patienten, werden dafür aber häufig nicht angemessen entlohnt. Praktikum ist Pflicht.

Harburg/Lüneburg. Wenn Barbara Hintze arbeitet, therapiert sie einzelne Patienten, leitet Gruppentherapien, schreibt Entlassungsbriefe oder macht Entspannungsübungen mit Patienten. "Wir übernehmen dieselben Aufgabe wie die angestellten Therapeuten", sagt die Diplom-Psychologin. "Nur, dass wir praktisch nicht bezahlt werden." Denn um nach dem Studium als psychologischer Psychotherapeut arbeiten zu dürfen, ist je nach Schwerpunkt eine drei- bis fünfjährige, mehrere Zehntausend Euro teure Vollzeitausbildung notwendig.

Neben dem Theorieteil, der in staatlich anerkannten Instituten vermittelt wird, müssen die angehenden Psychotherapeuten ein mindestens einjähriges Praktikum absolvieren. Und das wird in den allermeisten Fällen schlecht bis gar nicht bezahlt (siehe Kasten). In ganz Deutschland beginnen die so genannten PiAs - Psychotherapeuten in Ausbildung -, gegen die Ausbildungsbedingungen zu protestieren.

"Wir fordern eine faire Bezahlung für unsere Arbeit", sagt Marco Wenzel, PiA-Sprecher der Psychotherapeutenkammer Niedersachsen, die 580 PiAs als Mitglieder führt. "Denn wir sind fertig ausgebildete Psychologen." Vor allem in Ballungsgebieten wie Hamburg werde den Praktikanten meist gar nichts gezahlt, nur in ländlichen Gebieten gebe es zum Teil bis zu 1400 Euro. Die Ausbildung könne "sehr teuer" werden und sei meist nur über Kredite oder mit Unterstützung der Eltern finanzierbar, sagt Wenzel. Er selbst lebt von 700 Euro im Monat, der Rest seines Gehalts fließt in die Ausbildung.

Der 37-Jährige kritisiert auch die großen Unterschiede zwischen den Ländern. "Das ist sehr unübersichtlich." Niedersachsen sei allerdings in einigen Punkten bereits sehr "fortschrittlich". In der Ausbildungsstruktur müsse vor allem das Praktikum verbessert werden. Oft müssten die PiAs ohne Vorbereitung verantwortungsvolle Aufgaben übernehmen, so Wenzel. "Sie werden ins kalte Wasser geworfen. Natürlich besteht dann die Gefahr, dass Fehler zu Lasten der Patienten passieren." "Das Praktikum ist der große Schwachpunkt der Ausbildung", sagt auch die Harburgerin Barbara Hintze. In ihrem bunt geringelten Pullover strahlt die 43-Jährige eine energische Fröhlichkeit aus, die ihr in den vergangenen Jahren schon so manches Mal vergangen ist. Von anderen PiAs habe sie schon oft gehört, dass diese völlig allein gelassen würden und ganze Stationen betreuen müssten. "Sie haben 1000 Fragen und keinen Ansprechpartner." Zudem stellten viele Kliniken die Praktikanten oft nur als Vollzeitkräfte ein, sodass keine Zeit bliebe, auf anderem Weg Geld zu verdienen. Barbara Hintze hat das Jahr im Krankenhaus Ginsterhof in der Gemeinde Rosengarten absolviert. "Ich wurde gar nicht bezahlt. Die Ausbildungskonditionen waren dort allerdings gut, ich wurde eingearbeitet und hatte ein wöchentliches Gespräch mit der Oberärztin."

Heute werden die PiAs im Ginsterhof bezahlt. Es sei im Grunde ein "Skandal", dass das entsprechende Gesetz angehende psychologische und ärztliche Psychotherapeuten so unterschiedlich behandele, sagt der Ärztliche Direktor Dr. Rainer Papenhausen. Ärzte machten ihre fachliche Weiterbildung während der bezahlten Berufstätigkeit, Psychologen müssen meist eineinhalb Jahre in die unvergütete Ausbildung investieren. "Am Ende machen beide das Gleiche - Psychotherapie nach den Richtlinien."

Die fehlende Bezahlung war für Barbara Hintze das größte Problem. Denn die Ausbildungskosten muss sie selbst tragen. "Ohne die Ausbildung bekommt man hier keine therapeutische Stelle", sagt sie. Also arbeitete die Alleinerziehende erst einmal unbezahlt und zog mit ihrem heute 14-jährigen Sohn wieder bei ihren Eltern ein.

Mittlerweile hat Hintze einen Teil des 1800 Stunden umfassenden Praktikums hinter sich. Wann sie die noch fehlenden sechs Monate machen kann, weiß sie nicht. Im Moment kann sie es sich nicht leisten. "Ich hoffe auf ein kleines Wunder." Mit wechselnden Vertretungsverträgen arbeitet Hintze montags bis donnerstags im Krankenhaus Ginsterhof, freitags behandelt sie ihre sechs Lehrpatienten, dazwischen belegt die Psychologin Seminare, geht zur Supervision und absolviert die Selbsterfahrung. Sie hat eine 50-Stunden-Woche und bekommt 1700 Euro netto. Als Praktikantin habe sie nur rund 300 Euro bekommen. "Das ist wie ein Taschengeld, davon kann ich nicht leben", sagt sie.

"Es ist eigentlich unfassbar, in was für einer prekären Lage wir sind. Viele PiAs aus meinem Bekanntenkreis sind krank geworden oder krebsen am Existenzminimum herum.

Im Krankenhaus machten die Verantwortlichen die Augen zu. Obwohl sie ja eigentlich die Experten für psychische Belastung seien, sagt Hintze. "Wir reden immer von Selbstfürsorge und davon, dass man seine Grenzen nicht überschreiten sollte. Aber wir selbst können uns überhaupt nicht daran halten. Das fühlt sich schlecht an." Noch weiß Barbara Hintze nicht, wann sie die Ausbildung endlich abgeschlossen haben wird, die Approbation in den Händen halten wird und ihr Ziel, eine eigene Praxis, angehen kann. Durchziehen will sie es auf jeden Fall. "Ich liebe diese Arbeit. Aber wir werden ausgenutzt."