Warum die Devise “Vom Winde verweht“ Risiken birgt. Hamburger Stadtreinigung schiebt im Süden Sonderschichten

Harburg. Wie von Geisterhand bewegt, wirbeln die Blätter plötzlich durcheinander - und tanzen auf die Straße. Manch Mitbürger betrachtet das herbstliche Schauspiel dieser Tage mit einem gewissen Wohlwollen: Was die Böen mit sich tragen, damit muss er sich nicht mehr herumschlagen.

Wer den großen Literatur- und Filmklassiker "Vom Winde verweht" indes dauerhaft zu seiner Devise macht, könnte sich das eine oder andere Problem einhandeln. Denn im Rahmen der Anliegerverpflichtung sind Grundstückseigner, gern auch deren Mieter, zur Laubbeseitigung verpflichtet. Und zwar entschädigungslos, so die geltende Rechtsprechung.

"Nasses Laub bedeutet Rutschgefahr für Fußgänger und Autofahrer", warnt denn auch Rüdiger Siechau, Geschäftsführer der Stadtreinigung Hamburg (SRH). Bis zu 15 000 Tonnen werfen die rund 845 000 Hamburger Bäume pro Jahr ab. Damit könnte man 300 000 Standard-Hausmülltonnen (120 Liter) füllen. Die, übereinander gestapelt, 32-mal so hoch wie der Mount Everest, der mit 8848 Metern höchste Gipfel der Erde, wären.

Theoretisch. Praktisch aber hat das Laub in der gemeinen Hausmülltonne nichts verloren. Weil es nämlich viel zu wertvoll ist, um in Müllverbrennungsanlagen einfach durch die Esse gejagt zu werden. "Das Hamburger Laub, das die Stadtreinigung einsammelt, wird von der Firma ETH Umwelttechnik in Veddel in einer speziellen Aufbereitungsanlage gereinigt, zu Pellets verpresst, mit Mineralien angereichert und landet schließlich als Bodenverbesserer in der Landwirtschaft", erklärt SRH-Sprecher Andree Möller.

Doch bis zum Acker ist es ein weiter Weg. Erst einmal muss die Blätterflut gebändigt werden. Deshalb hat die SRH in diesem Herbst extra vier neue Blasgeräte angeschafft. Die sogenannten Flüsterpüster sind Elektrogeräte mit einer Leistung von 750 Watt, die eine Luftgeschwindigkeit von bis zu 220 km/h erzeugen. "Die neue Technik arbeitet nicht nur deutlich leiser, sondern auch noch emissionsfrei", so Möller.

Gleich zwei der neuartigen Gebläse kommen in diesen Wochen auch in Harburg zum Einsatz, neben neun traditionellen Zweitaktern und weiteren neun geräuschreduzierten Viertaktern. 50 von insgesamt 400 Reinigungskräften hat die SRH nach Harburg beordert, um dort neben den Straßen auch 535 km Gehwege pro Woche von der Blätterflut zu befreien. "Derzeit schieben unsere Kollegen auch an Sonnabenden Sonderschichten, um den Laubbergen im Süden Herr zu werden", weiß Möller. Der Fahrzeugpark umfasst unter anderem zehn Kehrmaschinen mit Großsaugern, fünf Kleinlaster mit Sauggeräten und vier kleinere Kehrmaschinen für den Einsatz auf Gehwegen.

Wegen ihrer Lautstärke werden die tragbaren Gebläse oft kritisiert, sind für die SRH aber unverzichtbar. "Nur so können wir die Verkehrsgefährdung durch nasses Laub so schnell wir möglich und zu vertretbaren Kosten beseitigen", sagt Geschäftsführer Siechau.

Dem Normalbürger steht solch effiziente Technik zwar nur selten zur Verfügung, die Verpflichtung zur Laubbeseitigung als Anrainer von öffentlichen Gehwegen und Straßen obliegt ihm trotzdem - und zwar auf der gesamten Frontlänge des angrenzenden Grundstücks. Kommt es dort wegen glitschigen Laubes zu Unfällen, sind Schadenersatzklagen nicht ausgeschlossen.

Als ordnungswidrig gilt übrigens auch, das Laub einfach in den Rinnstein zu schieben, weil dies zu Überschwemmungen durch verstopfte Gullys führen kann. Mit all diesen Problemen müssen sich Grundeigentümer, die etwas weiter draußen wohnen, nicht herumschlagen: Entlang von Wäldern, Feldern und Wiesen besteht keine Räumpflicht.