Forscher der Leuphana Universität liefern weltweit größte Studie ab

Lüneburg. Auch junge Muslime gehen auf Emanzipationskurs: Diesen Trend haben Forscher der Leuphana Universität Lüneburg ausgemacht. Für ihre Untersuchung haben die Wissenschaftler Umfragedaten von mehr als 130 000 Menschen aus 83 Ländern analysiert. Es ist die nach Angaben der Universität wohl umfangreichste Studie zu diesem Zusammenhang, die bislang durchgeführt wurde.

Die Resultate sind im renommierten International Review of Sociology erschienen. Uni-Sprecher Henning Zühlsdorff fasst zusammen: "In muslimisch dominierten Ländern haben Frauen oft ein geringeres Mitspracherecht als etwa in protestantisch geprägten Gesellschaften. Allerdings trifft dieses Machtungleichgewicht bei jungen Muslimen auf deutlich weniger Zustimmung als bei älteren." Die Lüneburger Forscher werten das als "Indiz, dass der weltweite Trend zur Emanzipation auch vor muslimisch geprägten Gesellschaften nicht halt macht". Andererseits zeigten die Daten auch, dass patriarchale Werte stark in der muslimischen Identität verankert sind.

Die Moslems in Deutschland sind im Schnitt patriarchaler eingestellt als etwa die Katholiken hierzulande, lautet ein Ergebnis der Studie. Ein weiterer Punkt: Im Schnitt sind Muslime deutlich religiöser als etwa Katholiken oder Juden.

In Gesellschaften, in denen viele Menschen dem Islam angehören, gibt es meist eine ausgeprägte Kluft zwischen den Geschlechtern: Männer erhalten im Schnitt eine bessere Ausbildung, gehen häufiger einer bezahlten Arbeit nach und bekleiden weitaus öfter Positionen mit Macht und Einfluss. Diese Zusammenhänge sind gut belegt, strittig war bislang aber, woran das liegt.

Laut den Lüneburger Wissenschaftlern "scheint es so zu sein, dass der Islam selbst eine Ursache dieser patriarchalen Strukturen ist". Allerdings seien Muslime nicht per se Anhänger des Patriarchats: Frauen unterstützen die traditionelle Rollenverteilung weniger als Männer, Muslime mit Universitätsabschluss weniger als solche mit einem niedrigen Bildungsniveau. Zudem scheint auch in islamischen Staaten die Unterstützung für patriarchale Werte abzunehmen: Junge Muslime sind - unabhängig von ihrem Geschlecht - weit weniger als ihre Eltern davon überzeugt, dass Frauen hinter den Männern zurückstehen müssen. Vor allem Musliminnen unter 30 Jahren emanzipieren sich zunehmend von dem ihnen zugedachten Platz in der Gesellschaft. Ein besserer Zugang von Frauen zu Ausbildung und Arbeitsmarkt könnte diesen Trend weiter fördern.

Überrascht waren die Lüneburger Forscher von einem anderen Ergebnis: Je höher der Anteil von Muslimen in einer Gesellschaft ist, desto höher ist die durchschnittliche Identifikation aller Gruppen in dieser Gesellschaft mit patriarchalen Werten. In einem muslimisch dominierten Land vertreten also auch die Nicht-Muslime vergleichsweise weniger emanzipatorische Ansichten. Prof. Christian Welzel erklärt das so: "Wir werden in unserem Denken stark vom Meinungs- oder Werteklima in der uns umgebenden Gesellschaft geprägt."

Dass es diesen Effekt gibt, wissen Soziologen schon lange. Allerdings ist er unerwartet stark.