Etwa 350 ehrenamtliche Helfer haben an der großen Sicherungsübung teilgenommen. 30 von ihnen waren am Kreetsander Hauptdeich in Wilhelmsburg im Einsatz

Wilhelmsburg. "Ein Depot", ruft Zugführer Christopher Clasen. Seine Männer sollen doch bitte ein Depot bilden. Aber statt auf einem Haufen vor dem Deich landen die Sandsäcke aus den Händen der Reservisten immer wieder direkt auf dem Halbkreis, der eine undichte Stelle am Deich abdichten soll. Aus dem Loch, vielleicht ein Mäusegang, sprudelt trübes Wasser.

So stand es zumindest auf dem Zettel, den die Männer von der Deichverteidigung erhalten haben, als sie vor gut einer Stunde am Kreetsander Hauptdeich in Wilhelmsburg eingetroffen sind. Tatsächlich sprudelt kein Wasser und es gibt auch kein Loch - bei der großen Deichsicherungsübung am Freitagabend wird der Ernstfall nur simuliert.

Es ist kurz vor 20 Uhr, dunkel und kalt, als die ehrenamtlichen Deichwarte Klaus Wülfken, Carsten Clement und Rüdiger Braasch an Deichkilometer 7,6 die Schadensstelle mit einer Taschenlampe inspizieren. Schnell steht fest: Eine sogenannte Quellkade soll gebaut werden. "Die Sandsäcke werden etwa 80 Zentimeter hoch in Form eines Hufeisens geschichtet. Das so aufgestaute Wasser erzeugt Gegendruck auf die undichte Stelle", erklärt Carsten Clement, 45. Nach einem Blick in ihren Handzettel fordern die Deichwarte per Funk 700 Sandsäcke und zehn Mann an.

Um die Logistik kümmert sich die Zentrale im Wilhelmsburger Rathaus, das Material kommt aus einem der 13 Depots in der Stadt. Die Männer wissen nicht, ob sie Unterstützung von Feuerwehr, Bundeswehr oder Technischem Hilfswerk bekommen. Ihr Einsatzort ist einer von vier in Wilhelmsburg, an denen geübt wird. Weitere Teams - in Hamburg gibt es 150 Deichwarte und etwa 500 weitere Helfer - sind entlang der 100 Kilometer langen Hochwasserschutzlinie von Stade bis an die Grenze Schleswig-Holsteins im Einsatz.

Am Kreetsander Hauptdeich entdecken die Helfer, dass sie bei der Schadensmeldung etwas missverstanden haben. Die Grasnarbe ist auf der Wasserseite beschädigt, nicht auf der Straßenseite. Eine Plane wird nachgeordert, sie soll das schützende Gras ersetzen. "Die Grasnarbe ist entscheidend für die Sicherheit", sagt Clement. Normalerweise arbeitet der Wilhelmsburger bei der Bahn, einmal im Jahr steht eine große Übung an, außerdem eine kleine und zwei Funkübungen - sozusagen Trockenübungen ohne Material und Einsatzkräfte.

Zwar wohnt Clement nicht direkt am Deich. "Aber wenn das hier richtig zur Sache geht, sind wir alle betroffen." Sein Kollege Rüdiger Braasch nutzt die Wartezeit für eine Zigarette. Rot glüht sie in der Dunkelheit auf, der 44-Jährige deutet über die Straße. "Wir wohnen gleich dahinten, klar, dass ich hier mitmache", sagt der Sozialpädagoge, der seinen Sohn mitgebracht hat. "Das ist total spannend, hier zuzugucken", sagt der Zehnjährige. Und dass er auch mit anpacken will, wenn er älter ist.

Dann treffen die Einsatzkräfte ein. Aus einem Lastwagen springen dunkle Gestalten in Tarnuniformen. Zugführer Carsten Clasen, 28, ordnet an: "Kräfte sammeln und Verpflegung für die Männer." Zwei Frauen schenken heißen Kaffee und Tee aus, die Reservisten, auch sie alle freiwillig hier, stehen am Deich und wärmen sich an weißen Plastikbechern. Ihr Zugführer bespricht unterdessen mit den Deichwarten die Lage. "Habt ihr Scheinwerfer dabei?", fragt Klaus Wüfken. "Negativ." Dafür hat Clasen 27 Mann statt der angeforderten zehn mitgebracht. "Ihr ruft, wir kommen."

Von einem weiteren Lastwagen werden per Kran zehn Paletten mit jeweils 70 Sandsäcken abgeladen. "Kette bilden", ruft Clasen. Und schon wandern die Säcke von Hand zu Hand, direkt auf den Halbkreis am Ende der rund zehn Meter langen Menschenkette. Den Schritt mit dem Depot überspringen die Helfer trotz mehrfacher Ermahnung. Am Ende steht die Quellkade trotzdem. Der Ernstfall, der keiner war, ist abgewendet.