Die alten Fabrikgebäude auf der Elbinsel Wilhelmsburg geben noch bis zum Wochenende einen Vorgeschmack auf blühendes Kulturleben

Wilhelmsburg. Da standen sie. Die grauhaarigen Damen mit den sorgfältig frisierten Haaren. Sie kamen aus dem Volksdorfer Bildungsbürgertum und standen plötzlich in den maroden Räumen am Valentinskamp und sympathisierten mit langhaarigen Künstlern, die aus ihren Ateliers vertrieben werden sollten. Das ist nicht lange her: Die Angelegenheit um die Gängeviertelkünstler wurde zum Politikum hochgejazzt und die Künstlerbesetzer plötzlich zu Lieblingen der ganzen Hansestadt mit Pressesprecherin und eigenem Anwalt.

Seitdem wissen alle, dass Künstler einer Stadt ein Gesicht geben können. Die Öffentlichkeit ist sensibilisiert, Künstler begehrt, doch bezahlbare Atelierräume immer noch Mangelware.

Bezahlbare Räume für die Kunst will man nun acht Kilometer vom Valentinskamp entfernt südlich der Elbe schaffen - auf der Elbinsel in Wilhelmsburg. Ein Ort, der früher nicht im Verdacht stand, zu Hamburgs Trendquartieren zu zählen.

Hier im südlichen Reiherstiegviertel hatten von 1913 an die Asbest- und Gummiwerke Merkel ihren Firmensitz. Idyllisch, am Kanal gelegen. Bis 1996 die Firmenverwaltung aufgegeben und die Immobilie mit rund 3600 Quadratmetern, langen Fluren und Besprechungszimmern einem gespenstischen Leerstand und dem Zahn der Zeit übergeben wurde. Bis die IBA kam und eine Kreativnutzung ersann.

Nach Firmenaufgabe durfte die Backsteinimmobilie noch als türkischer Hochzeitssaal, als Fahrschule und russischer Club herhalten. Nun soll laut IBA bereits im Sommer kommenden Jahres hier in den Veringhöfen Nord die pulsierende "Künstlercommunity" der Elbinsel arbeiten. Kreative aus allen Sparten - Fotografie, Film, Grafikdesign, Performing Arts, Kunsthandwerk, Klangkunst, Architektur oder Start Up-Unternehmen sollen hier ihre Ateliers, Werkstätten und Büros einrichten und in der Arbeitspause vielleicht in Kazim Özsariks neuem "Café Visionnaire" etwas essen. Soweit die Planung. Während noch fleißig energetisch saniert wird, bitten die Kreativen aber schon jetzt in die Veringhöfe, um einen Vorgeschmack auf das Leben zu geben, das mit ihnen in den Stadtteil kommen könnte. "Freiraum und Toleranz", "wahrnehmbar und anfassbar", "bunt und anders", ein "freier Fleck Erde", das waren die Vorstellungen, die sie auf bunte Kärtchen bei IBA-Workshops zur Wilhelmsburger Kreativschmiede notierten. Yvonne Fietz nannte es "Weltoffenheit und Interdisziplinarität", die dieses Künstlerhaus in Wilhelmsburg von anderen Künstlerhäusern unterscheiden werde. Die Geschäftsführerin von "conecco UG" wurde von der IBA beauftragt, zusammen mit "Stattbau Hamburg" ein Nutzungskonzept unter Einbeziehung der Künstler und Kreativen zu entwickeln. "Die Künstler sollen dem Stadtteil auch etwas zurückgeben", findet sie.

Schon zwei Zwischennutzungen habe es gegeben, an denen Künstler in Form eines Tages der offenen Tür ihre Werke präsentierten. "Wie können wir das Zentrum mit dem Stadtteil bekannt machen, war dabei stets unsere Überlegung", sagt Fietz. Und so wie damals wird es auch aktuell in den leeren Hallen richtig lebendig: Bands gaben bereits Konzerte, Künstler zeigten ihre Arbeit, es gab Tanzperformances, Elbinselyoga und immer wieder Workshops, die sich mit dem entstehenden Kreativräumen und den Bedürfnissen der Kreativen auseinandersetzen. Sogar ein Referent aus Florida reiste an, um seine Expertise zu verkünden. Aktuell öffnen die Höfe unter dem Motto "Kunst am Bau" für Besucher und geben Einblick. Zu erwarten sind Aktivitäten vom Kultur-Bauplatz für Kinder bis zum Capoeira-Workshop.

Zum finalen Einzug sollen dann nächstes Jahr 60 Kreativmieter kommen, auf die 3600 Quadratmeter Nutzfläche in den zwei ehemaligen Verwaltungsgebäuden warten. Viele Plätze sind bereits vergeben, doch Bewerbungen immer noch hoch willkommen. Neben der eigenen Gastronomie soll eine Galerie entstehen und laut IBA insgesamt eine "kommunikative und produktive Wertschöpfung", durch die sich bildende Kreativgemeinschaft entstehen. Ein Ziel ist dabei, das Mietniveau für die Kreativen erschwinglich zu halten. Wie tief werden die zukünftigen Künstler der Elbinsel also ab nächsten Sommer in die Tasche greifen? 4,51 Euro klingen attraktiv. Es ist die künftige Nettokaltmiete der Bewohner. Die Bruttowarmmiete für ein Atelier am Veringkanal wird 7,15 Euro betragen.

Künstlerin Svenja Maaß, die im Künstlerhaus am Bullerdeich in Hammerbrook ihre Staffelei in einer großen Halle aufgebaut hat, die sie mit anderen Künstlern teilt, kommt nach einigem Rechnen auf 4,80 Euro warm pro Quadratmeter für ihr Atelier. Allerdings sei der Preis je nach Atelierraum und Lage in der Bullerdeichimmobilie schwankend. Sie findet: "Es ist wichtig, eine Aufmerksamkeit dafür zu schaffen, wie prekär die Ateliersituation für Künstler in Hamburg ist."

Bis vor kurzem hatten die Künstler bei ihr am Bullerdeich noch ganze andere Sorgen. Konnten sie überhaupt bleiben? Ein Wettbewerb im Auftrag des Eigners Vattenfall suchte nämlich nach neuen Nutzungskonzepten für die Immobilie. Unter dem Motto "Schaffensraum Kraftwerk Bille" lief ein Ideenwettbewerb für die Nutzung des 15 000 Quadratmeter großen Kraftwerksareals. Nun ist dieser entschieden und wie es ausschaut sollten die Künstler bleiben. Doch die Angst grassiert ständig.

Auf die Situation der Kreativimmobilien in Gesamthamburg bezogen, ist die Mietlage am Veringkanal in Wilhelmsburg durchaus okay: Experten wissen, dass in den Trendquartieren nördlich der Elbe die Preise für Atelierraum nach Sanierungen oft sprunghaft auf bis zu 12 Euro pro Quadratmeter steigen. Ein Vorteil der Quartiere südlich der Elbe war es bislang, dass sich in den Industriearealen rund um Rothenburgsort das Mietniveau recht günstig präsentierte.

Im Falle der Veringhöfe wird die selbstverwaltende Betreibergesellschaft der Künstler einen Mietvertrag von 30 Jahren mit der Sprinkenhof AG schließen, die das Gelände auf Anraten der IBA 2007 kaufte. Zumindest das dürfte den Künstlern erst mal einige Ruhe schaffen. Und wer weiß, vielleicht lockt die Künstlercommunity bald Besuch von nördlich der Elbe an. Wenn Vernissagen und Veranstaltungen ein blühendes Leben installieren und die Elbinsel zum kreativen Schmelztiegel wird.

Doch da frohlocken nicht alle: Künstler gelten als "1a-Gentrifizierer", durch die ein ehemals strukturschwaches Gebiet aufgewertet und plötzlich für solventere Kreise interessant wird. Mit allen Folgen steigender Mieten, deren Opfer nicht selten die Künstler sind.

Kunst am Bau in den Veringhöfen - bis 15. Oktober Einblicke in den kreativen Schaffensprozess, Am Veringhof 13a (einfach vorbei kommen oder im Internet anmelden)

paula.zamora@gmx.de