Claus Stamann recherchierte in alten Akten, hat “Kriminalgeschichten aus der Heide“ zusammengetragen und zu Papier gebracht.

Schneverdingen. Diebstähle, Schlägereien, Bigamie und Wilderei, sogar Raubüberfälle und Morde gehörten schon in vergangenen Jahrhunderten zum Leben in der heute als so idyllisch betrachteten Lüneburger Heide dazu. Claus Stamann (74) aus Schneverdingen hat über die historischen Verbrechen in der Heide recherchiert und ein Buch geschrieben.

Stamanns "Kriminalgeschichten aus der Heide" sind 2010 erschienen und waren schon kurz danach vergriffen. Inzwischen ist eine neue Auflage gedruckt und über Buchhandlungen in Schneverdingen und Tostedt und direkt beim Autor (0175 495 82 03) erhältlich.

Die Lektüre des 170 Seiten starken Bandes lohnt. Behandelt werden Fälle von sozialen Missständen, von materieller Not und von schweren Verbrechen, oftmals begangen aus purer Verzweiflung.

Gesetzesverstöße sind und waren nicht allein ein Problem der großen Städte, historische Fälle aus der Heideregion zeigen, dass auch auf dem Land Kriminalität zum Leben dazugehörte - wie der Kindesmord in Dorfmark 1820. Catharine Magdalene Worthmann wurde für ihre in höchster Not verübte Tat zum Tode verurteilt, später aber aus der Haft entlassen.

Das gleiche Urteil wurde über Peter Heinrich Marquard aus Schierhorn gesprochen. Der Lehrling irrte im April 1832 auf einer planlosen Wanderung von Schneverdingen nach Schierhorn, dann weiter nach Hassel, Wulfsberg, Handorf, Ehrhorn, Wintermoor und Insel. Unterwegs plante er mal, auf die Jagd zu gehen, dann wieder, seine Flinte zu verkaufen.

Unglücklicherweise begegnete er dem Fuhrmann Hans Heinrich Sander, der mit seinem Pferdegespann und einer Ladung Fracht von Hamburg nach Frankfurt auf der Chaussee bei Wintermoor unterwegs war.

Marquard vermutete Geld bei Sander, er schoss mit seiner Flinte auf ihn, verletzte den Fuhrunternehmer schwer am Bein, flüchtete nach dem Überfall, wurde aber bald gefasst. "Die Tatbestände waren einfach und die Schuldfrage eindeutig zu beantworten", schreibt Stamann. So wurde Marquard zum Tode verurteilt, später zu lebenslanger Strafe begnadigt. 25 Jahre nach seiner Tat durfte er nach Brasilien auswandern, seine Heimat sah er nie wieder. Sein Opfer Hans Heinrich Sander hatte sich über die Jahre stets für ihn eingesetzt.

Ermittlungs- und Gerichtsakten waren Stamanns Quellen, die handschriftlich verfassten Dokumente nicht immer leicht lesbar, die verbrachten Zeiten in den Archiven dafür umso länger. Zusammengestellt hat Stamann Fälle aus den Bereichen der früheren Ämter Harburg, Fallingbostel, Rotenburg, Soltau, Winsen und Zeven sowie aus dem Einflussbereich des Adelssitzes Lauenbrück.

Seit rund 30 Jahren beschäftigt sich der pensionierte Lehrer, der aus Fintel stammt und fast 20 Jahre lang die Sonderschule in Soltau als Rektor leitete, mit der Regionalgeschichte seiner Heimat. Fünf Bücher hat Stamann bereits veröffentlicht - zwei weitere sind in Arbeit - und dabei stets "den Menschen in den Mittelpunkt gerückt". Kriminalität sei Teil der Gesellschaft, es gebe sie überall: "Ein bestimmter Prozentsatz der Bevölkerung wird kriminell", so Stamann und: "Armut fördert Kriminalität." So sind es auch die "Sehnsüchte und Ängste der Menschen, die unter den engen Moralvorstellungen der Gesellschaft jener Zeit lebten, manchmal auch litten", die der Autor in seinem Buch beleuchtet.

Ob Opfer oder Täter - "es sind Menschenschicksale", sagt Stamann. Wichtig ist es ihm aufzuzeigen, dass häufig soziale Missstände hinter den auf den ersten Blick unfassbaren Taten stehen. Sich "in die Rolle der handelnden Menschen zu versetzen" ist Stamanns Methode. Die Akten bieten nach seinen Worten Einblicke "in das Leben der früheren Täterinnen und Täter sowie in deren Umfeld". So in das des Peter Hellmers aus Todtglüsingen, der aus einfachen Verhältnissen stammte, 1793 geboren wurde und die Schule in Otter besuchte. Aus Eifersucht wurde er zum Mörder, im Alter von 25 Jahren starb er schließlich durch das Schwert des Henkers. Doch auch angesehene Amtsträger und Vertreter von Recht und Ordnung waren vor Verbrechen und Verfolgung nicht gefeit. Die Akten verzeichnen, dass Heinrich Anton Wilhelm Schumann zunächst 1821 in Stade wegen der Teilnahme an einer Schlägerei zu acht Tagen Gefängnis und drei Jahre später zu zehn Jahren Zuchthaus wegen Unterschlagung verurteilt wurde. Schumann war zuvor Amtsvogt in Schneverdingen gewesen.

Manchmal gibt es neben den alten Akten auch sichtbare Zeugnisse der früheren Verbrechen - wie die Grabplatte an der Kirche von Amelinghausen, die an den zweifachen Förstermord in der Raubkammer durch eine Gruppe von Wilderern 1866 erinnert.

An der Wümmebrücke zwischen Königsmoor und Otter steht noch heute eine knorrige Eiche mit charakteristisch krummem Stamm. Sie pflanzte einst der Wirt des Gasthauses Brockmann aus Otter, um an eine grausame Bluttat zu erinnern. Hier erschoss 1878 der Hausschlachter Heinrich Cohrs den Viehhändler Friedrich Renken aus Osterwede.

Renken hatte nach seiner Rückkehr von den Harburger Viehmärkten die Nacht im Gasthaus in Otter verbracht und wollte schon sehr früh am nächsten Morgen nach Hause weiterreisen. Bei der Wümmebrücke lauerte ihm Cohrs auf, er erschoss den Viehhändler und zahlte mit dem erbeuteten Geld im Ort seine Schulden zurück.

Der Schneverdinger Gendarm Loose beanspruchte bald darauf die Klärung des Falles und die Festnahme des Täters für sich: Cohrs habe in seinem Vorderladergewehr einen Briefumschlag zum Feststopfen der Schrotladung benutzt, auf dem noch sein Name stand. Diesen Umschlag soll Loose am Tatort gefunden und so den Raubmörder überführt haben.