Schüler der Nelson-Mandela-Schule in Kirchdorf bringen heute Abend mit Profimusikern die Suite Canto Migrando auf die Bühne.

Wilhelmsburg. Wenn Arlinda trommelt, spielt sie mit ihrem ganzen Körper. Zwischen den Oberschenkeln hält die Elfjährige eine Darbuka, eine orientalische Handtrommel, und bewegt sich im Rhythmus ihrer Hände, die über das Trommelfell fliegen.

Mit Arlinda trommeln an diesem Vormittag 27 Fünft- und Siebtklässler in der Nelson-Mandela-Schule, einer Stadtteilschule in Kirchdorf. Gebannt blicken sie auf den Profi-Trommler Gabriel Hahn, 28, der den Takt vorgibt. Alle Schüler sind voll bei der Sache, trommeln mit Herzblut einen 6/8-Takt, denn sie wissen, es geht um die Wurst: Am heutigen Freitagabend um 19 Uhr - der Eintritt ist frei! - spielen insgesamt 100 Nelson-Mandela-Schüler mit 35 Profimusikern des Philharmonischen Jazzorchesters aus München im Wilhelmsburger Bürgerhaus (Mengestraße 20) eine Suite für ein ungewöhnlich besetztes Orchester, Solisten und Chor, komponiert vom einem der weltbesten Jazzgeiger: Hannes Beckmann, 61.

Canto Migrando heißt das Stück - namhafte Instrumentalsolisten aus sieben Ländern und drei Kontinenten, Orchester und Chor, Jugendliche und Erwachsene finden sich unter dem Dach der Musik zu einem "World-Music-Project" zusammen. Der Bogen spannt sich von den Klängen der Sinti und Klezmer über Jazz, klassisch-mitteleuropäische Musik, Tango Nuevo bis hin zu orientalischen Melodien, treibenden arabischen Rhythmen und deutschem Rap. Europäer und Afrikaner, Juden und Araber zelebrieren hier mit ihrer mitreißenden Musik die Botschaft der Völkerverständigung.

Die vom Münchener Jazzgeiger Hannes Beckmann komponierte Suite Canto Migrando entstand in einem Schmelztiegel der Kulturen, in Münchens südlichem Bahnhofsviertel, in dem der Komponist seit langem wohnt. Aus einem griechischen Restaurant drangen eines Abends arabische Rhythmen in Beckmanns Wohnung, da sagte sich der "Derwisch an der Violine": "Mensch, da musst du eine Geschichte draus machen."

Hannes Beckmann macht sich an diesem Vormittag einen Eindruck von den Fortschritten der jungen Nelson-Mandela-Musiker. Er inspiziert die Bläser, den Chor und die Trommler und ist zufrieden: "Der Weg zum Konzert ist harte Arbeit", sagt der Musiker mit dem grauen Vollbart. "Die professionellen Dozenten fordern den Schülern viel Disziplin ab. Ich will das Spielerische aus den Kindern herauskitzeln. Das muss mit fast militärischer Disziplin, aber mit großer Zuneigung geschehen." Eine Woche lang hatten die Lehrer Martina Freund-Krüger, Jan Stubbe, Elisabeth Hintze und Isabel Maack 100 Schüler im Alter von zehn bis 18 Jahren auf die Proben mit den Profimusikern vorbereitet. An diesem Vormittag beobachtet Musiklehrerin Martina Freund-Krüger "eine große Konzentration in den Gesichtern - einen so hohen Grad an Aufmerksamkeit erreiche ich im Englisch-Unterricht nicht".

Alles muss sitzen für den großen Auftritt im Bürgerhaus: Die Schüler müssen bei den Percussion-Grundfiguren punktgenau einsetzen, die Pausen beachten und die Dramaturgie empfinden. "Das Trommeln fördert das Taktgefühlt, Motorik, Fitness, Koordination und Konzentration", sagt Trommeldozent Gabriel Hahn.

Ursprünglich war Canto Migrando als philharmonisches Jazzkonzert für ein rein professionelles Orchester konzipiert. "Nach der Uraufführung war das bayerische Kultusministerium mit der Bitte an mich herangetreten, Jugendliche mit Migrationshintergrund einzubeziehen", sagt Hannes Beckmann. Mittlerweile fördert der Europäische Integrationsfonds Canto-Migrando-Projekte in ganz Deutschland. Bedingung: 120 Schüler aus Drittstaaten müssen im Jahr mitmachen. An der Nelson-Mandela-Schule haben neun von zehn Schülern einen Migrationshintergrund.

Der Auftritt im Bürgerhaus wird der dritte Canto-Migrando-Auftritt mit Jugendlichen in diesem Jahr sein. Professionalität ist dabei oberste Maxime für den Komponisten: "Ich stehe nicht dafür, dass wir mit ein paar Wanderklampfen auf die Bühne gehen", sagt Professor Beckmann. "Ein Auftritt mit dem Philharmonischen Jazzorchester kostet eine fette fünfstellige Summe."

Nach eineinhalb Stunden Probe befindet Arlinda ein wenig erschöpft: "Das Trommeln mit dem Lehrer macht Spaß, der ist witzig." Mit Sorgenfältchen schaut die Elf-Jährige indes auf ihre Finger: "Die werden ein bisschen rot, aber das geht wieder weg."