Pastor Jürgen Stahlhut diskutiert nach Theaterstück mit Flüchtlingen und Schauspielern über die Lage am Hindukusch.

Buchholz. Das kleine Mädchen hüpft über den staubigen Boden, ihr Lachen ist nicht zu hören. Zu den stummen Filmaufnahmen läuft Musik. Himmel und Hölle heißt das Spiel in Deutschland. Das Mädchen in dem rosa Kleid hüpft über afghanischen Boden. "Meine Schwester ist auf eine Mine getreten, sie hat beide Beine verloren." Tariq erinnert sich an sein Leben vor der Flucht. Versteckt unter der Plane eines Lastwagens hat er es in den finsteren Laderaum einer Fähre von Griechenland nach Italien geschafft. Seine Gefühle verpackt er in Rap-Verse. "Seitdem die Männer da sind, ist nichts mehr, wie es war. Ich hab das Jenseits gesehen, ich musste gehen."

Das Theaterstück, das am Dienstag in der Buchholzer St. Johanniskirche vor etwa 80 Besuchern aufgeführt wurde, basiert auf wahren Begebenheiten. Eingeladen hatte den deutsch-italienischen Autor Antonio Umberto Riccò und sein Ensemble der Förderverein Integration und Migration Nordheide. Die eindringliche Vorstellung der Schauspielerin Franziska Aeschlimann und ihres jungen Kollegen, der unter dem Künstlernamen Elijah auftritt und selbst vor elf Jahren aus Afghanistan floh, warf viele Fragen auf - zu der Situation von minderjährigen Flüchtlingen, vor allem aber zu der Lage in Afghanistan.

"Jede afghanische Familie hat ihre Geschichte", sagte Elijah bei der anschließenden Diskussion. Mit seinen Eltern und drei Schwestern flüchtete er vor den Taliban über das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland, zwischendurch war er sechs Monate von seiner Familie getrennt. "Die Schlepper sind sehr skrupellos, sie schrecken weder vor Organhandel noch vor Vergewaltigung zurück. Aber man braucht sie für die Flucht."

Heute studiert der 24-Jährige Psychologie in Hamburg - und hat eine klare Meinung zum Einmarsch der Alliierten in sein Geburtsland. "Das war ein fundamentaler Fehler. Leider ist Demokratie nicht exportierbar. Heute ziehen Warlords, Drogenbarone und Leute, die vom Krieg profitieren, die Fäden. Sobald die Soldaten wieder draußen sind, werden sich die mehr als 2000 bewaffneten Gruppierungen im Land gegenseitig zerfleischen. Jeder will ein Stück vom Kuchen."

Pastor Jürgen Stahlhut war ab November 2006 viereinhalb Monate als Militärseelsorger in einem Lager in Feyzabad. Es sei nicht alles schwarz oder weiß, sagte er. Doch werde in Afghanistan ein großer Fehler gemacht. "Wir wollen unser Denken dahin transportieren und lassen die Menschen nicht ihren Weg gehen." So seien zum Beispiel neue Mädchenschulen in kleinen Dörfern wieder eingerissen worden. "Was aus unserer Sicht gut ist, muss nicht unbedingt auch für die Afghanen richtig sein. Sie müssen das in ihrem eigenen Tempo machen dürfen."

Während seiner Einsatzzeit war der Kontakt zur Bevölkerung noch möglich, die Soldaten fuhren ungesichert durch die Stadt, der Pastor spielte auf einem Basar Schach mit Einheimischen. Die Soldaten aus Deutschland sollten möglichst friedlich auftreten.

Doch einige Afghanen hätten sich gewünscht, dass die Soldaten Waffen trügen. "Sie hätten sich nur dann wirklich beschützt gefühlt. Das hat mich überrascht", sagte Stahlhut. Er ist zuversichtlich, dass auch nach dem Abzug der ausländischen Truppen - wenn diese Sicherheit im Land geschaffen haben - zivile Aufbauarbeit möglich ist. "Allerdings läuft die Vernetzung der beteiligten Organisationen noch nicht gut. Wenn ein Dorf eine Schule bekommt, ein anderes aber nicht, dann entsteht Neid. Das müssen wir verhindern." Deshalb sei es wichtig, dass alle Wünsche gesammelt würden und ihre Umsetzung koordiniert werde.

Um Frieden zu erreichen, sei es unumgänglich, auch mit den Taliban zu reden, sagte Elijah. "Wir haben keine andere Möglichkeit." Er glaubt jedoch nicht, dass sein Geburtsland schon in wenigen Jahren wieder lebenswert sein könnte. "Solange die heutigen Warlords dort herrschen, wird es keinen Frieden geben. Die einzige Lösung ist, in die Zukunft zu investieren. 80 Prozent der Afghanen sind Analphabeten. Wir müssen Schulen bauen."

Eine zentrale Rolle komme den sechs Millionen Afghanen zu, die im Exil leben, sagte der Schauspieler. "Sie müssen zurückgehen und ihr Geld, ihr Wissen und ihre Werte in das Land einbringen. Das wird schwierig werden, aber nicht unmöglich. Es ist die einzige Chance, die wir haben." Zwei ebenfalls eingeladene Buchholzer aus Afghanistan hatten wenig Hoffnung, dass sich das Land bald wieder erholen könne.

"Früher kamen viele Touristen nach Kabul, jetzt sind wir in der Entwicklung wieder 200 Jahre zurück. Waffen helfen aber nicht, es müssen Schulen und Kliniken gebaut werden", sagte Karim Amiri, der 2002 mit Frau und Kindern acht Monate auf der Flucht war. Pinki Tanea, 23, verließ Afghanistan vor zehn Jahren. "Für mich sehe ich dort keine Zukunft", sagte sie. "Frauen haben dort nichts zu sagen, mit der Verbesserung ihrer Rechte sollte man anfangen. Aber ich glaube, das Land braucht noch seine Zeit."

Die Geschichte von Tariq endet mit einer Blutspur auf dem regennassen Asphalt einer Straße bei Bologna. Der Junge hatte sich mit Seilen unter die Achse eines Lastwagens gehängt. Er überlebt die Fahrt nicht. "Ich hätte auch gern ein Happy End gehabt", sagte Autor Antonio Riccò, der die Erzählung drei Jungen gewidmet hat, die in den vergangenen Jahren auf ihrer Flucht in Italien unter Lastwagen gestorben sind. "Aber wir mussten die Geschichte so erzählen, um diese Jungen in Erinnerung zu behalten." Die Einnahmen des Abends gingen an den Förderverein. Er sammelt Geld, um eine Stelle in der Migrationsberatung weiter zu finanzieren.