Die Gedenktafeln für die Opfer der Nationalsozialisten sollen künftig auch auf dem Land verlegt werden

Oldershausen/Lüneburg. Jörn Lütjohann wohnt zwar im kleinen Elbmarschdorf Oldershausen, doch seine Kanzlei hat der Anwalt in Hamburg-Wandsbek. Auf dem Weg ins Büro hält er täglich inne. In den Fußweg sind Stolpersteine eingelassen. Sie sind ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig. Mit diesen Gedenktafeln soll an das Schicksal der Menschen erinnert werden, die im Nationalsozialismus vertrieben, deportiert, in den Suizid getrieben oder ermordet wurden. Lütjohann setzt sich dafür ein, dass Stolpersteine künftig auch in der Elbmarsch an Nazi-Verbrechen erinnern. Die Lüneburger Geschichtswerkstatt beschreitet den gleichen Weg. Sie arbeitet daran, Stolpersteine in die Dörfer des Landkreises Lüneburg zu bringen.

Aus der Verwaltung des Nachbarkreises Harburg in Winsen war zu hören, er stehe jeder Initiative in Sachen Stolpersteine positiv gegenüber. Bislang gebe es aber noch kein kreisweites Engagement in diese Richtung. Lediglich die Stadt Winsen erinnert seit 2009 mit zehn Stolpersteinen an sechs verschiedenen Standorten an die Opfer des Nazi-Regimes in der Luhestadt. Inzwischen gibt es mehr als 24 000 Stolpersteine in Deutschland, Österreich, Ungarn und in den Niederlanden. Auf Initiative von Lüneburger Bürgern und der Geschichtswerkstatt hat Gunter Demnig schon 26 Stolpersteine in Lüneburg verlegt. Die Steine sind mit einer Messingplatte versehen. Die Inschrift gibt Auskunft über Name, Geburtsjahr und das weitere Schicksal der Lüneburger Opfer des Naziregimes.

Peter Asmussen von der Geschichtswerkstatt sagt, es gibt durchaus Hinweise darauf, dass es auch auf dem Land Schicksale gibt, an die erinnert werden müsse. "Wir sind mit unseren Forschungen zwar noch am Anfang. Doch mir fallen wenigstens eine Handvoll Orte ein, in denen sich die Recherche lohnen würde", so Asmussen. Opfer habe es schon deshalb gegeben, weil fast überall Zwangsarbeiter vor allem aus Polen und der Ukraine in der Landwirtschaft eingesetzt wurden. So etwa in Obermarschacht oder Bardowick, das Asmussen als einstige Hochburg bei der Beschäftigung von Zwangsarbeitern bezeichnet. Und nicht immer wurden sie gut behandelt.

Er erinnert beispielsweise an den Mord am Polen Marjan Kaczmarek in Lüdershausen, der auf Befehl der Gestapo am 15. Oktober 1942 im Alter von nur 18 Jahren im Wald erhängt wurde. "1942 gab es in Lüdershausen und Umgebung fast mehr Zwangsarbeiter als Einwohner", sagt Hobby-Historiker Asmussen.

Die deutschen Männer waren an der Front. Die Nazis rekrutierten in Polen Zwangsarbeiter, die die Arbeit auf den Höfen erledigen mussten.

Erst kürzlich war Asmussen auf der Suche nach mehr Namen von Zwangsarbeitern aus dem Landkreis Lüneburg, hinter denen oft brutale Verbrechen stehen. Im Hauptstaatsarchiv in Hannover wurde er fündig. "Die meisten wurden wegen Arbeitsbummelei verhaftet und ins Lüneburger Gestapo-Gefängnis gebracht." Zurzeit wertet die Geschichtswerkstatt die Recherche aus. "Die Ergebnisse wollen wir Ende Januar 2012 vorstellen."

"Außerdem sind wir an dem Schicksal eines Sinti-Kindes dran, das aus Adendorf deportiert wurde. Eine Schulklasse mit ihrer Lehrerin erforscht die Geschichte des Kindes", sagt Asmussen.

Dass auch jüdisches Leben vernichtet wurde, ist aus Bleckede bekannt. Erst vor kurzem weihte die Stadt einen Gedenkstein ein, der an die NS-Verbrechen erinnert.

Asmussen ist sicher, dass die Landbevölkerung auch Todesmärsche von KZ-Häftlingen aus Neuengamme und Bergen-Belsen gesehen hat. "Die Märsche gab es in den letzten Kriegstagen fast überall zwischen Heide und Elbe." So seien viele Gefangene nach Lübeck getrieben worden, um dort die "Cap Arcona" zu erreichen. Sie sollten übers Meer verfrachtet werden. Vor den anrückenden britischen Truppen wurden die verbliebenen KZ-Häftlinge aus dem KZ Neuengamme Ende April 1945 nach Lübeck transportiert. Mehr als 9000 kamen von dort auf Schiffe. Die "Cap Arcona" wurde am 3. Mai 1945 kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs durch britische Flugzeuge versenkt, wobei die meisten der 4600 KZ-Häftlinge an Bord ums Leben kamen. "Es gab damals auch die sogenannte Heidebahn, die zwischen Soltau und Harburg fuhr. Auch auf dieser Strecke wurden Gefangene transportiert", sagt Asmussen.

Jörn Lütjohann hat von einem Augenzeugen inzwischen einen Hinweis erhalten, dass es auch einen der Märsche in Oldershausen gegeben haben soll. "Der Zug kam vom Ilmenaukanal und marschierte in Richtung Elbe. Das ging über mehrere Tage. Vermutlich waren es KZ-Häftlinge", sagt Lütjohann. Anfangs, so der Zeuge, durfte die Bevölkerung den Gefangenen keine Lebensmittel zustecken. Danach jedoch duldeten dies die Wachleute und es wurden gekochte Kartoffeln verteilt.

Lütjohann will diese Geschichte zusammen mit seiner Frau Ute genau recherchieren und zudem weitere Mitstreiter aus den Orten der Elbmarsch für solche Forschungsprojekte gewinnen. "Wir müssen dafür sorgen, dass so etwas nie wieder passiert", sagt er.

In der Elbmarsch, so vermutet er, könnte es weitaus mehr Schicksale von Opfern der brutalen Nazi-Verbrecher geben. "Es gibt Bahnanschlüsse wie in Oldershausen und auch die Dynamitfabrik in Geesthacht war nicht fern, in der möglicherweise Zwangsarbeiter beschäftigt wurden." Auch könnte es sein, dass Behinderte aus der Elbmarsch in der Psychiatrie in Lüneburg Euthanasie-Opfer wurden, sagt er.

Lütjohann hofft, dass viele Menschen aus der Elbmarsch mitforschen, sich Schulklassen beteiligen. Zum einen sei es identitätsstiftend für ein Dorf, wenn Geschichte bewusst gemacht wird. Zum anderen erhofft er sich Zufallsfunde. "Schön wäre es, wenn auch Nachweise für mutige Hilfsaktionen entdeckt werden."

Jörn Lütjohann ist zu erreichen unter Telefon 04133/22 32 28. Die Initiative "Stolpersteine in Lüneburg" trifft sich immer an der Heiligengeistraße 28 im DGB-Haus. Nächster Termin:Montag, 10. Oktober, 19 Uhr. Telefonisch ist die Geschichtswerkstatt unter der Nummer 04131/40 19 36 zu erreichen.