121.000 Meter Gleise, 230 Weichen und rund 60 Meter Kabeltrassen sollen auf Europas größtem Rangierbahnhof erneuert werden.

Maschen. Wolfgang Weber ist die Schnittstelle zwischen Bauarbeiten und laufendem Betrieb auf Norddeutschlands Drehscheibe für den Güterverkehr auf Schienen. Die größte Herausforderung, so Weber, sei die Tatsache, dass die Sanierungsarbeiten an der Zugbildungsanlage Maschen, Europas größtem Rangierbahnhof vor den Toren Hamburgs, "unter dem rollenden Rad" laufen. "Man darf sich das nicht so wie bei der Sanierung einer Autobahn vorstellen, wo zwei Spuren verengt werden können, damit der Verkehr an der Baustelle vorbei läuft. So können wir nicht arbeiten. Güterzüge fahren im Fahrplan, den wir trotz der Arbeiten einhalten müssen", sagt der gelernte Eisenbahner. Güterzüge, die nicht neu sortiert werden müssen, durchfahren in der Bauphase den Güterbahnhof nicht mehr. Sie werden auf die Umfahrungsgleise umgelenkt. Wenn die Logistik es hergibt, weichen Güterzüge, die nicht unbedingt in Maschen neu gebildet werden müssen, auf andere Rangierbahnhöfe aus.

Im Hintergrund dieses mehr als 230 Millionen Euro teuren Projektes steht eine minutiös geplante und ausgefeilte Baulogistik, die Weber und seine Kollegen in Maschen jetzt täglich umsetzen und überwachsen. Mitte 2014, so der korrigierte Zeitplan, sollen unter anderem 121 000 Meter Gleise, 230 Weichen die beiden Ablaufsteuerungen für die Rangiersysteme Nord-Süd und Süd-Nord und rund 60 Meter Kabeltrassen in dieser Zeit erneuert werden. 16 500 Schwellen und 9500 Kubikmeter Schotter werden ausgetauscht. Und der in die Jahre gekommene Rangierbahnhof wird mit einer komplett neuen Rangiertechnik aufgerüstet. Bauherr ist die Deutsche Bahn Netz. "Unter dem rollenden Rad" aber geht die Sanierung immer nur Stück für Stück voran. Weber: "Es kommt natürlich auch vor, dass von uns beauftragte Firmen für eine Arbeit länger als geplant brauchen, dann müssen wir ganz spontan umdisponieren."

Es ist 11.30 Uhr. Bei den Bergmeistern im Stellwerk in der "Einfahrgruppe Süd-Nord" ist es etwas ruhiger geworden. Der Hochbetrieb in den frühen Morgenstunden hat sich in ihrer Schicht von 6 bis 14 Uhr inzwischen gelegt. Von ihrem Tower aus trennen sie die Züge, die von Süden in den Bahnhof einfahren, nach den Angaben der Disponenten auf für die Weiterfahrt zum Hafen, nach Skandinavien oder nach Lübeck. Die roten DB-Dieselloks schieben die Züge auf den Gleisberg. Von der Schwerkraft angezogen, rollen die einzelnen Waggons herunter und werden per Weiche auf das für ihre Weiterfahrt vorgesehene Gleis in den Gleisharfen dirigiert.

Vor der Sanierung haben Paulo Delgado und seine Kollegen vom Stelltisch per Knopfdruck die Weichen gestellt, die Waggons abgebremst. Jetzt sitzen sie vor großen Flachbildschirmen und steuern per Computer die Weichen. Die neue Technik sei, habe man sich erst dran gewöhnt, besser. Dennoch, so ganz ohne den Menschen gehe es nicht. "Ein Bergmeister", so Erik Brentzel, Leiter Qualitätssteuerung bei der DB Schenker, Mieterin des Bahnhofs, "muss sehen, ob nachgesteuert werden muss. Das kann der Fall sein, wenn Sturm ist. Dann nämlich müssen die vom fünf Meter hohen Ablaufberg rollenden Wagen gebremst werden. Das muss ein Bergmeister tun." Inzwischen haben sich die Bergmeister auch an die neue Technik der Förderwagen gewöhnt. Per Mausklick schicken sie die kleinen gelben Wagen in die acht Gleise einer Gleisharfe. Die Wagen schieben dann die angerollten Waggons zusammen.

Eigentlich besteht der Maschener Rangierbahnhof aus zwei nebeneinander liegenden Bahnhöfen, dem Nord-Süd-System und dem Süd-Nord-System. Auf jeweils 16 Gleisen, so werden die Einfahrgruppen genannt, laufen die Güterzüge in die beiden Systeme ein. Die Waggons werden getrennt und in den Gleisharfen je nach Zielbahnhof sortiert. Die Gleisharfe 3 im Süd-Nord-System ist gesperrt.

Die Bauarbeiten laufen auf Hochtouren. Eckhard Krüger ist der Leitende Mitarbeiter der Bauüberwachung. "Wir holen jetzt die alten Schienen, die alten Holzschwellen und den Schotter heraus, um die Gleisanlagen dann zu erneuern." Die Spuren der Zeit sind den Gleisen und Schwellen anzusehen. Das Holz ist teilweise stark zerborsten, Rost setzt den Gleisen zu. Krüger erklärt, warum auch der Schotter erneuert werden muss: "Die Steine sind abgerieben und greifen nicht mehr gut ineinander." Am Ende der Bauzeit werden die Arbeiter 313 000 Tonnen neuen Schotter verbraucht haben. 190 000 Schwellen werden für die Sanierung des Maschener Güterbahnhofs verbaut, davon nur 25 Prozent Betonschwellen. Die alten Holzschwellen landen auf dem Sondermüll. Krüger: "Nach wie vor sind Holzschwellen das beste Material, weil Holz sich im Gegensatz zu Beton dehnt und zusammenzieht, je nach Außentemperatur. Das bedeutet für das Gleisbett eine höhere Stabilität."

Und zum Ende des Besuchs auf Europas größtem Rangierbahnhof vor den Toren Hamburgs hat Erik Bentzel noch eine Anekdote auf Lager. Die Zahl sieben sei, so heißt es in Maschen, eng mit dem Bahnhof verbunden: Am 7.7.1970 war der erste Spatenstich für den neuen Rangierbahnhof, die Einweihung wurde auf den Tag genau sieben Jahre später gefeiert: am 7.7.1977. 30 Jahre später feierte die Deutsche Bahn auf der 7000 Meter langen und 700 Meter breiten Anlage Geburtstag des Rangierbahnhofs.