Der Handeloher ist für die Piratenpartei im Kreistag, sein Geld verdient er als Profi-Zocker. Parteifreund Arne Ludwig ist im Stadtrat Buchholz.

Buchholz/Handeloh. Mit 1,5 Prozent Stimmenanteil und einem Mandat im Kreistag hat die Piratenpartei nicht gerade das Schiff "Landkreis Harburg" geentert. Aber sie haben zum ersten Mal einen Platz an Bord - und der wäre sogar in der Kapitänskajüte, in einer Mehrheitsgruppe, denkbar.

Forsch und gegen die Konvention im Politikbetrieb - so sehen sich die Piraten. "Klarmachen zum Ändern", lautet der Wahlslogan. Und so wähnt sich Erich Romann aus Handeloh, 37, genau richtig bei der jungen Partei, um die sich die Medien im Augenblick reißen. Der einzige Abgeordnete der Piraten im Kreistag in Winsen kommt dann auch mit einem ambitionierten Ziel daher: "Ich will eine Fachhochschule für neue Studiengänge in Buchholz realisieren", sagt er. Und in den Niedersächsischen Landtag will er auf absehbare Zeit auch. Das gehe bei einer kleinen, neuen Partei schneller als bei den vergreisten alten Parteien, sagt Erich Romann. Zack, das sitzt! Da dürfte jedem Kämpfer bei dem etablierten Parteien, der Jahrzehnte lang Plakate geklebt hat, die Kinnlade herunterklappen.

Frech und unangepasst, mit diesem Image kokettieren die Piraten gerade erfolgreich bei Erstwählern. Romanns Biografie passt in dieses Bild: Der studierte Biochemiker arbeitete früher als Molekularmediziner und verdient jetzt nach eigener Aussage sein Geld als Profi-Pokerspieler. Das Hobby: Boxen. Im Garten hält er eine seltene Putenart.

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Förderanträge "auf allen Ebenen bis zur EU" sollen eine Fachhochschule in Buchholz möglich machen. Universitäten seien im Kommen, argumentiert Erich Romann. Und das, sagt er mit einem Seitenhieb auf die Stadt Buchholz, sei allemal besser als Einkaufszentren zu bauen, die kein Mensch brauche. Der Pirat stellt sich eine stattliche Hochschule vor, die Studiengänge in Alternativen Energien oder Recyclingwirtschaft bieten könnte. "Müll ist das Gold der Zukunft", meint Romann.

Im neuen Kreistag hofft der Pirat auf eine Mehrheitsgruppe seiner Partei zusammen mit SPD, Grünen, den Linken und den Freien Wählern Seevetal. Ein wackeliges Bündnis mit dünner Mehrheit wäre das. Aber Romann spekuliert darauf, dass die Grünen nicht mit ihrem "Dissidenten" Harald Stemmler und seiner Wählergemeinschaft zusammengehen werden.

Die Piraten erinnern an die Grünen vor 30 Jahren - so wenig etabliert und bürgerlich kommen sie daher und sammeln Stimmen von Protestwählern. So erklären auch Politikwissenschaftler den Wählerzulauf bei den Piraten. "Ich mag die Grünen gerne", sagt Erich Romann, "aber sie haben den Biss verloren, sich anzulegen." Wahrscheinlich sei einfach Zeit für eine neue Partei.

Die Piraten gelten als die Partei der sogenannten Digital Natives, der Generation, die mit dem Internet groß geworden ist. Die junge Partei trägt eine für junge Leute wichtige gesellschaftliche Frage in die Politik: Wollen wir Freiheit oder Sicherheit im Netz? Die etablierten Parteien haben diese Frage offenbar unterschätzt. Den größten Zulauf erlebten die Piraten 2009 während der Diskussion um die Sperrung kinderpornografischer Internetangebote. Viele sahen darin den Versuch einer Zensur des Internets.

"Das hat uns viel Popularität gebracht", sagt Erich Romann. Viele seien beeindruckt gewesen, dass die junge Partei keine Angst vor einem negativen Medienecho gezeigt habe. Ein andere Pirat und Mandatsträger ist der IT-Unternehmer Arne Ludwig, 43. Er wird im neuen Buchholzer Stadtrat einen Sitz haben. Der stellvertretende Landesvorsitzende in Niedersachsen will die Piraten nicht auf eine reine Internet-Partei reduziert sehen. "Wir sind die Partei der Bürgerrechte", sagt er.

Transparenz und Teilhabe für den Bürger, das sind zentrale Themen der Piraten. Einwohner müssen rechtzeitig informiert und beteiligt werden. Die klassischen Beteiligungsverfahren, sagen die Piraten, hätten dabei versagt. Arne Ludwig setzt sich deshalb für Live-Übertragungen von Stadtrats- und Kreistagssitzungen im Internet ein. Neue Tools im Internet wollen die Piraten in die Politik bringen. Etwas wie das "Liquid Feedback", eine Software, mit der die Piraten intern Beschlüsse vorbereiten. Parteimitglieder erhalten Zugang zu allen Anträgen, können im Internet Alternativen äußern. "Die anderen Parteien", sagt Ludwig, "sind doch bei Parteitagsbeschlüssen und beim Papier hängen geblieben.

So radikal wie in Berlin, werden die Piraten im Landkreis Harburg nicht Politik machen. Die Forderung nach der Legalisierung des Schwarzfahrens hält Erich Romann schlicht für Unsinn. Wem nütze das, wenn das Verkehrssystem wegen Geldmangels zusammenbreche, sagt er. Arne Ludwig dagegen hält das Ziel eines kostenlosen ÖPNV nicht grundsätzlich für unberechtigt. Aber eher in der Großstadt als auf dem Land. "Kostenlose Fahrscheine für den Stadtbus Buchholz haben wir aber nicht im Programm" sagt er.

Die Piraten, betont der stellvertretende Landesvorsitzende noch, "stünden auch für eine völlig neue Familienpolitik. Nicht mehr die klassische Familie mit Mann, Frau und zwei Kindern stehe im Vordergrund, sondern Gemeinschaften, in der Menschen füreinander Verantwortung übernehmen. "Dann kann es sein, dass auch zwei Frauen, die für ein Kind Verantwortung übernehmen, Förderung vom Staat erhalten", sagt Ludwig. Zumindest auf dem Land dürfte das für Furore sorgen.