Der 84-Jährige aus Bötersheim hat sich das Schriftenlesen selbst beigebracht. “Ich bin Autodidakt“, sagt Heinrich Müller.

Seppensen. Heinrich Müller, 84, aus Bötersheim setzt sich eine Brille auf und nimmt eine alte Postkarte in die Hand: eine Feldpostkarte aus dem Jahr 1915. Sie ist ein "Gruß aus der Lüneburger Heide" und zeigt Menschen "Bei der Erntearbeit, Holm". Kaum jemand heute kann die alte deutsche Kurrentschrift auf der Karte entziffern - aber für den Rentner Heinrich Müller ist das kein Problem. Er liest den Text fließend vor.

Geschrieben hat die Karte Martha Böhring aus Holm: am 16. Februar 1915. Sie ist an ihren Sohn Heinrich adressiert - der "Wehrmann" Böhring ist gerade im Krieg, und so gehen die Zeilen an die 37. Reserve Infanterie Brigade.

"Lieber Heinrich!", schreibt die Holmerin vor knapp 100 Jahren, "ergreife die Feder um Dir nochmals eine Ansicht aus der Heimat zu schicken. Du schreibst ja gar nicht, dass Du die andere erhalten hast, die hab ich vor 4 Tagen abgeschickt. Hoffentlich geht's Dir noch wohl so wie uns. Schreibe bald mal wieder. Tausend herzliche Grüße von uns allen, Deine Martha. Auf Wiedersehen."

Der Wehrmann Heinrich Böhring hat die Karte nie erhalten. "Leicht verwundet", hat sein Vorgesetzter mit blauem Bleistift auf der Karte notiert - darauf kam dann ein Stempel mit der Aufschrift "Zurück".

Diese Karte und viele andere Dokumente in altdeutschen Schriften bekam Heinrich Müller, Ehrenmitglied des Geschichts- und Museumsvereins Buchholz und Umgebung, am Freitag im Heimatmuseum Buchholz von 15 Frauen und Männern vorgelegt. Der 1. Vorsitzende des Vereins, Ehrhard Deisting, 69, aus Holm-Seppensen war überrascht, dass so viele Menschen aus dem Landkreis Harburg dem Aufruf gefolgt waren, gemeinsam Briefe und Schriftstücke zur Familiengeschichte zu entziffern.

Rudolf Harms, 71, aus Mienenbüttel brachte einen Kaufvertrag von 1802 mit, in dem eine Generalin von dem Busche das Gut Francop verkauft. "Der Kaufvertrag ist so umfangreich, dass ich Herrn Müller einmal in Bötersheim aufsuchen werde, um ihn zu entziffern." Rolf Hillmer, 63, aus Ohlendorf brachte einen Kaufvertrag von 1865 und einen Schuldschein von 1923 mit. Es geht um ein Darlehen von 8000 Mark. Der Schein stammt aus Völlenerkönigsfehn in Ostfriesland, Hillmers Heimat.

Heinrich Müller aus Bötersheim hat sich das Schriftenlesen selbst beigebracht. "Ich bin Autodidakt. Wir hatten 1962 zweihundertjähriges Familienjubiläum. Aus diesem Anlass wurde an mich herangetragen, eine Familienchronik zu erstellen." Er ging nach Tostedt ins Kirchenbüro und ließ sich Kirchenbücher vorlegen. "Dabei habe ich festgestellt, dass ich nicht alles lesen kann, und die ganze Angelegenheit begann mich zu interessieren. Dann habe ich mir die Texte immer wieder durchgelesen und schließlich hatte ich eine Verbindung zu der Schreibweise." Mittlerweile kann Heinrich Müller alle deutschen Schreibschriften seit dem Mittelniederdeutschen lesen. Kontakt: Ehrhard Deisting, Telefon: 04187/7901.