Zwei Schwäger leben vis-à-vis an der Luhdorfer Straße - der eine flaggt HSV, der andere Werder. Und morgen läuft das Duell . . .

Roydorf. Um es gleich auf den Punkt zu bringen: "Es hat noch nie Streit und Krieg gegeben deswegen", sagt Günter Harms.

Es geht um die wichtigste Sache der Welt, für viele Männer jedenfalls: um Fußball. Und da haben die beiden Schwäger Günter Harms, 57, und Volker Bardowicks, 52, so ihre ganz speziellen Ansichten. Die beiden Roydorfer wohnen nur zwölf Meter voneinander entfernt, Günter in einem Rotklinkerhaus in der Luhdorfer Straße 114 und Volker vis-à-vis in einem Gelbklinkerhaus, Hausnummer 116.

Was die beiden Schwäger in puncto Fußball fühlen, das zeigen sie gleich an der gemeinsamen Einfahrt zu ihren Häusern. Dort stehen, acht Meter auseinander, zwei Fahnenmasten, je acht Meter hoch. Die Flaggen, 180 mal 120 Zentimeter groß, symbolisieren im Winsener Ortsteil Roydorf so ziemlich das Kontroverseste, was Fußballfans im Norden toll finden können: Die eine Flagge ist Blau und trägt eine schwarz-weiße Raute, die andere ist Grün und trägt ein großes, weißes "W".

Die Rede ist vom Hamburger Sport-Verein e.V., kurz "HSV", und vom Sport-Verein Werder von 1899 e.V. Bremen, kurz "Werder". Volker ist HSV-Fan und Günter Werder-Fan. Beide zeigen direkt vor ihren Häusern an der Hauptstraße Flagge für ihren Verein. Und beide fiebern dem fünften Spieltag der Fußball-Bundesliga entgegen. Dann müssen die Mannen vom HSV im Bremer Weserstadion zum Nordduell antreten: an diesem Sonnabend, 10. September, um 18.30 Uhr. Und an der Luhdorfer Straße heißt es dann mal wieder: Nordderby in Roydorf.

Volker und Günter eint nicht nur ihre Liebe zum runden Leder, sie sind beide auch aktive Feuerwehrleute bei der Freiwilligen Feuerwehr Roydorf und kommen an diesem Nachmittag gerade von einem Einsatz auf der Elbe zurück - ein Schüttgutfrachter und eine Schute sind vor Marschacht kollidiert. Zum Glück ist kein Treibstoff ausgelaufen, und so haben die Schwäger jetzt Zeit, vor Günters Gartenhäuschen ein Bierchen zu trinken und über die wichtigste Sache der Welt nachzudenken: Wie wird sich der HSV in Bremen aus der Affäre ziehen?

Volker, der Monteur, sinniert über seinen HSV, der gerade mit einem Pünktchen die rote Laterne hat und in vier Bundesligaspielen schon 14 Gegentreffer kassiert hat. "Was soll man dazu sagen", sagt Volker, "das ist traurig. Die Spieler verstehen sich glaube ich auf dem Platz nicht, sonst kann das nicht angehen." Volker kommt langsam in Rage. "Was jetzt eingekauft wurde, damit bin ich nicht so ganz zufrieden. Die sagen, die brauchen Zeit - ich sage, das gibt es nicht im Fußball!"

Die ersten vier Bundesligaspiele des HSV seien "zum Abgewöhnen" gewesen, sagt Volker, enttäuscht ist er vom HSV-Keeper Jaroslav Drobny, "der passt da überhaupt nicht herein, der schreit die Hintermannschaft nicht zusammen. Wenn die so spielen wie gegen Köln, können die sich die Fahrkosten nach Bremen gleich sparen".

Werder-Fan Günter ist kein Mann großer Worte. Er schweigt und hört wie die Fahnen im Wind wehen. "Wir haben neun Punkte und sind punktgleich mit Bayern und Schalke, da bin ich zufrieden mit. Ich tippe mal zwei zu eins für Bremen."

"Tja, was soll man da tippen?", fragt Volker. "Ich sage mal HSV eins, Bremen drei."

Zur Feier des Tages werden Volker und Günter am Derby-Sonnabend gemeinsam 500 Meter in den "Dorfkrug" stiefeln. Eine reine HSV-Kneipe in Roydorf. Dort läuft das Spiel bei "Sky", und es gibt Kümmel und Bier.

"Darf ich mein Werder-Käppi und meinen Schal mitnehmen?", fragt Günter. "Die Leute werden erst mal ein bisschen blöde gucken", sagt Volker. "Und ich kenne einen aus dem Dorf, der sägt dir vielleicht den Mast ab, wenn du das Spiel im 'Dorfkrug' guckst."

Noch ist Roydorf mehrheitlich in HSV-Hand - es liegt ja auch nur 45 Kilometer von der Hamburger Imtech-Arena entfernt. Ins Weserstadion muss der ehemalige Kraftfahrer Günter 114 Kilometer fahren. "Leider hat das erst einmal geklappt".

Sein erstes Bundesligaspiel sah Volker mit elf Jahren in der Saison 1970/71. Sein inzwischen verstorbener Vater nahm ihn mit ins Volksparkstadion, der HSV bezwang den 1. FC Kaiserslautern mit fünf zu zwei. "Die Menschenmassen und das Raunen im Stadion haben mich fasziniert. Bis dahin kannte ich ja nur den Bolzplatz in Roydorf."

So erlebte Volker auch die größten Stunden des HSV: Europapokalsieger der Pokalsieger 1977, Europapokalsieger der Landesmeister 1983 - beste Mannschaft in Europa! Und er erlebte den Niedergang der Rothosen: 1987 der letzte Titel: drei zu eins im DFB-Pokalfinale gegen die Zweiligakicker von Stuttgarter Kickers. Ernst Happel saß damals auf der Bank und rauchte.

"Im kommenden Jahr", sagt Volker, "feiern wir ein Vierteljahrhundert Nix. Das ist eigentlich unglaublich!"

Günter ist erst seit zwölf Jahren Werder-Fan. "Das kam aus lauter Jux und Dollerei", sagt Günter. "Der Schwiegervater HSV-Fan, der Schwager HSV-Fan, dann ich eben Bremen."

An Werder, sagt Günter, gefalle ihm "alles. Am besten gefällt mir Trainer Thomas Schaaf. Ich bewundere die Ausdauer, die er hat. Zum Glück haben ihn der Sportdirektor Klaus Allofs und der Aufsichtsratsvorsitzende Willi Lemke letzte Saison bekniet zu bleiben. Und dass, obwohl Werder im März auf einem Abstiegsplatz stand."

Bremen rangierte damals auf Platz 17 der Bundesligatabelle - so wie jetzt der HSV. Es war der Tiefpunkt in Günters Fanleben. Aber es gab auch viel Gold für Günter: Er durfte bislang eine deutsche Meisterschaft (2004) und zwei DFB-Pokalsiege (2004 und 2009) feiern. "Stolz" ist er, dass Werder hinter Bayern auf Platz zwei der ewigen Bundesligatabelle steht - einen Platz vor dem HSV.

Mit dem Flaggen angefangen hat an der Luhdorfer Straße der HSV-Fan Volker: vor 15 Jahren mit einer kleinen Flagge im Hinterhof. Vor sechs Jahren kam ein dünner Mast an die Hauptstraße, vor zwei Jahren wurde dann mastmäßig noch einmal aufgerüstet. Günter fing gleich an zu flaggen, als er Werder-Fan wurde: vor zwölf Jahren im Hinterhof. Gemeinsam mit Volker flaggt er seit sechs Jahren an der Hauptstraße. Seitdem waren vier Flaggen abgängig: Eine HSV-Fahne ging kaputt, eine wurde geklaut. Auch zwei Werder-Fahnen waren verschwunden. "Es gibt solche Rüpel, die so etwas machen", sagt Günter.

Für das Nordderby zwischen dem HSV und Werder Bremen finden die Roydorfer Schwäger indes salomonische Worte: "So verbissen ist das nicht zwischen uns", bilanziert Volker. Und Günter sagt: "Man kann es auch so sagen: Der Bessere soll gewinnen."